20.06.-06.07.2021 Von El Hierro nach Tazacorte / La Palma
Ich mache mir durchaus Gedanken, wie der letzte Törn nach La Palma laufen wird. Viel Sprit haben wir nicht mehr, um uns gegebenenfalls aus einer ungünstigen Windsituation stundenlang hinausmotoren zu können. Es muss also im Zweifel eine Lösung unter Segeln gefunden werden, wenn der Wind zu stark aus dem Norden kommt und wir kreuzen müssen. Wir haben eine Strecke von 55 Seemeilen zu fahren. Mit gutem Wind kein Problem, eine Tagesdistanz von 9 bis 11 Stunden. Gegen den Wind aber ein möglicher Alptraum, je nachdem, wie die Wellen kommen.
Wir suchen uns den Donnerstag für die Überfahrt heraus, der schon seit dem Wochenende davor als der ruhigste Tag der Woche vorhergesagt ist. Kaum Böen und ruhige See bis 1,5 Metern. Die Vorhersage ändert sich über die Tage nicht, was ich als gutes Zeichen bzgl. der Zuverlässigkeit der Prognose interpretiere. Wir fahren sehr früh am Donnerstag los, um so viel Tageslicht wie möglich zur Verfügung zu haben. Es ist im Vergleich zu den letzten Tagen zwar tatsächlich ruhiger, die Böen pfeifen allerdings um 5 Uhr immer noch durch den Hafen. Ich rechne mit einer Ankunft gegen 23:00 Uhr. Alleine, es wird völlig anders kommen!
Wir haben am Abend vorher alles so weit seeklar gemacht, was ging. Nur noch wenige Handgriffe sind für das Boot zu tun. Das einzig Wesentliche, was man nicht vorbereiten kann und ohne das ich nicht auslaufen möchte, ist zumindest ein rudimentäres Frühstück. Ohne etwas Vernünftiges im Magen ist Seekrankheit vorprogrammiert. Filip nimmt eine halbe Tablette, es wird heute notwendig werden, vermuten wir.
Ziemlich pünktlich um 6 Uhr ist gefrühstückt, aufgeklart, der Clipper hängt nur noch an Vor- und Heckleine. Ich warte einen Moment. Nach einer besonders giftigen Böe hoffe ich auf kurze Ruhe danach. Die kommt auch. Ich gebe Filip das verabredete Zeichen. Er steht vorne an der Bugleine und holt dieselbe sofort ein. Ich löse meine Leine achtern ebenfalls und fahre rückwärts aus der Box. Kurz muss Filip noch mal abstoßen, er springt zurück auf den Steg, drückt uns weg und kommt wieder. Na ja… Wir sind dann jedenfalls frei. Während ich langsam Kurs auf den Ausgang nehme, holt Filip die letzten Fender und die Bugleine nach Achtern. Wir sind klar und verlassen den Hafen, die Katamaranfähre schläft noch. Wir sind die einzigen, die sich hier um diese Zeit bewegen.
Wir müssen nach Nordwesten, doch zunächst gehen wir auf Kurs 090, direkt nach Osten, um einen besseren Winkel zum Wind zu schaffen und von der Insel freizukommen. Ich fahre heute und setze 10 Minuten nach Verlassen des Hafens die Arbeitsfock und gehe mit dem Groß direkt ins erste Reff, kurz darauf ins Zweite. So ruhig ist es hier nicht, wie die Vorhersage uns glauben machen wollte. Doch je weiter wir von El Hierro weg kommen, desto ruhiger wird es.
Rund um El Hierro scheint man es mit ausgeprägten Kap Effekten zu tun zu haben. Wenn der Wind um ein Kap weht, dann wird er beschleunigt, weil er einen Umweg nehmen muss. Diesen Effekt der höheren Windgeschwindigkeiten an Kaps zur umgebenden normalen Windstärke nennt man den Kap-Effekt.
Wind und Welle werden immer angenehmer. Ich nehme die Reffs nach und nach raus und die Natur begrüßt uns nun auf See mit einem Schauspiel von einem Sonnenaufgang. Der Stern unseres Sonnensystems geht weiter im Osten hinter dem Teide in einer Weise auf, dass er den höchsten Berg Spaniens zum Darsteller eines eindrucksvollen Schattentheaters werden lässt.
Majestätisch schön!
Eine Stunde segeln wir in den Sonnenaufgang und sind zunehmend romantisch. Dann wende ich und ich stelle den Windfahnenmodus des Autopiloten auf 55 Grad zum Wind ein. Meine Taktik soll heute besser werden, als bei dem Weg nach La Gomera, wo ich jedes Grad zum Wind geschunden hatte. Ich will mit komfortablen Winkeln zum Wind kreuzen und nicht zu hart an denselben gehen. Tatsächlich aber liegen wir nun mit unserem Kurs ziemlich genau so, wie wir es auch brauchen. Wenn es dabei bleibt, können wir von hier direkt Kurs halten, auf die Südspitze von La Palma. Das wäre gigantisch gut!
Und es bleibt tatsächlich so. Wir haben den Wind von Steuerbord und können daher sehr bequem im Salon auf dem Sofa auf der Backbordseite liegen. Draußen in der Plicht ginge es auch, aber drinnen ist es weicher zum Liegen. Ich döse hier über weite Strecken des Tages und lasse mich von den langen, weichen und nicht allzu hohen Atlantikwellen auf- und abwiegen, wie in Mutters Schoß. Ich wüsste nicht, wie es besser sein könnte.
Wir kommen so unter den allerbesten Bedingungen an der Südspitze La Palmas an. Wir halten uns westlich Richtung Tazacorte, hier haben wir noch mal einen deutlichen Kap-Effekt und ich muss für 10 Minuten die Genua gegen die Fock tauschen. Dann schläft der Wind 1,5 Stunden vor dem Hafen ein und das, was von dem Wind übrigbleibt, kommt von vorne. Für die Zeit haben wir allemal genug Diesel und somit geht es unter Maschine weiter.
Leider meldet sich die Maschine mit einem Alarm, der aber nichts mit dem Dieselvorrat zu tun hat. Die Lichtmaschine lädt die Starterbatterie mal wieder nicht. Also räume ich die Steuerbordbackskiste mal wieder aus und mache mich von dort aus auf den Weg in den Maschinenraum, um die dort befindliche fliegende Sicherung zu tauschen. Es ist mindestens die vierte Sicherung und ich werde mich mal mit der Werft in Verbindung setzten, ob es für dieses Problem mittlerweile eine Lösung gibt. Der Tausch ist lästig, aber mittlerweile habe ich Übung und der Tausch ist nicht weiter kompliziert, auch wenn die Stelle schlecht zugänglich ist. Entweder passt der Kopf zum Gucken durch die Öffnung dort, oder der Arm zum Arbeiten. Beides zusammen geht nicht.
Wir sind kurz vor dem Hafen und ich muss sogar noch aufstoppen und die Maschine dann ganz abstellen. Grund ist aber kein technisches Problem, sondern Filip. Der fand die Bedingungen so gut, dass er Pizza gemacht hat,
Diese genießen wir treibend, kurz vor dem Hafen. Dabei stört das Motorengeräusch und Fahrt brauchen wir gerade sowieso keine. Also geht der Hobel aus, um uns dann sehr entspannt noch bei bestem Tageslicht gegen 19 Uhr in den Hafen zu bringen. Das Hafenbüro ist nicht mehr besetzt, wir bleiben über Nacht am Rezeptionssteg und genießen Einlaufbier und Sonnenuntergang.
Einer der besten Segeltage unserer Reise geht damit zu Ende und gleichzeitig war es der letzte Törn, bevor es mal wieder nach Hause geht.
Am nächsten Tag steht die Wäsche an. Wir konnten, wegen der defekten Wasserpumpe an Bord und wegen noch nicht in Betrieb genommenen Waschmaschinen auf El Hierro, seit Teneriffa nicht mehr waschen. Es war wirklich nötig, ich trug buchstäblich mein letztes Hemd und wir produzierten inklusive der Bettwäsche drei große Maschinen.
Die Marina von Tazacorte ist in Seglerkreisen bekannt und berühmt für eine monumentale Verschwendung von Infrastrukturzuschüssen der EU. Hier entstanden gigantische Mauern, die unter anderem Kreuzfahrtschiffen ein sicheres Anlegen bei widrigen Bedingungen garantieren sollen. Die Mauern halten neben den größten Wellen auch den Wind bis zu einer Höhe von 10 Metern ab. Sollten sie jemals mit ihrer Höhe nur gegen Wellen notwendig werden, würden diese Monsterwellen allerdings alle Orte links und rechts von dem Bollwerk dem Erdboden gleich machen.
Das Ganze hat sicherlich einen ästhetisch künstlerischen Wert, der im Brutalismus zu Hause ist. Die Leute kommen und staunen. Es gibt auch einen riesigen Wartebereich für PKW. Hier könnten Autotransporter oder die größten Fähren ohne Platzprobleme ihre Fracht laden oder löschen.
Was allerdings bei Planung und Vergabe der Gelder nicht weiter auffiel, war, dass es weder für Kreuzfahrtschiffe noch für Fähren, noch für Autotransporter oder irgendetwas dergleichen irgend einen Bedarf gibt. Daran ändern auch gute Hafenbedingungen nichts und das Ganze ist leider eines der Beispiele dafür, welche Fehlentwicklungen passieren können, wenn zu viel gutes Geld in Form von Subventionen auf zu wenig inspirierte Politiker trifft, die dafür von sehr motivierten Lobbyisten der örtlichen Bauwirtschaft beraten werden, deren Visionen eher persönlicher als gesellschaftlicher Natur sind. Gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht.
Auf dem Weg. Diese begehbare Mauer schützt die Marina hervorragend Für wen ist dieser Parkplatz? Imposant ist es Größenvergleich, da hinten steht Filip. Man sieht ihn kaum Der Blick vom ersten Bollwerk zum dahinter stehenden zweiten. Eine industrielle Kathedrale, leider schon leicht marode
Wie auch immer. Der Hafen samt Einfahrt ist somit auf das Beste geschützt, hat absolut keinen Schwell und wir liegen so ruhig, wie schon lange nicht mehr. Es ist warm, nur ein leichter Luftzug weht. Nachts kühlt es ein wenig ab. Es sind die besten Bedingungen in einer Marina seit Lagos. Nur der Ort ist etwas weiter weg, dafür hat der Hafen selbst aber ein paar gute kulinarische Angebote.
Wir arbeiten noch ein wenig, Filip kocht seine Pflanzen und färbt damit die letzten Stoffe. Ich sitze vorne im Büro und nehme an Telefonkonferenzen teil. Manchmal sitzen wir jetzt auch beide in der Plicht. Ich habe alle Sonnensegel aufgespannt. Das erst mal überhaupt. Es ist unglaublich friedlich und angenehm darunter.
Wir fahren nur einmal einen Tag über die Insel und besuchen die Hauptstadt Santa Cruz de La Palma. Was bin ich froh, um den Smalltalk vor einer guten Woche mit dem Stegnachbarn vor dem Toilettenhäuschen auf El Hierro. Er hatte noch mal über den Hafen berichtet und mir kamen die eigenen Erinnerungen wieder von meinem Aufenthalt vor zwei Jahren. Die Marina in der Hauptstadt war überaus windig und hat, trotz eines geschlossenen Sperrwerks gegen die Wellen in der Einfahrt, einen ordentlichen Schwell im Hafenbecken. Das ist ein Jammer, den die Marina ist schön und mitten in der Stadt, aber man liegt dort nicht ruhig, ist gegen den Wind sehr exponiert und das Boot länger liegen lassen, will ich dort nicht mehr. Ich entschloss mich um nach Tazacorte und bin sehr, sehr froh über diese Entscheidung.
Abends zelebrieren wir hier die schönen Sonnenuntergänge, vom brutalistischen Bollwerk aus. Romantisch!
Am Steg existiert eine sehr freundliche und hilfsbereite, meist deutsche Gemeinde. Der Nachbar, zwei Schiffe weiter, baut sich gerade ein Haus auf La Palma. Mit seinem Boot ist er hier auch bereits fest eingezogen. Die Antenne für das Satellitenfernsehen ist schon auf dem Poller für die Steganlage montiert, damit sie sich nicht mit dem Boot bewegt. Die Wasserleitung gleicht ebenfalls schon mehr einem Festanschluss, als einem Provisorium. Der Sonnenschutz ist perfekt den lokalen Gegebenheiten angepasst. Die Marina kommt einem Campingplatz schon sehr nahe. Der Nachbar hier hat sinnbildlich seinen Karavan schon aufgebockt und die Räder abgeschraubt. Zumindest ist es so gut eingerichtet, auch wenn er wahrscheinlich mit drei Handgriffen loswerfen kann.
Die letzten wenigen Tage gab nur noch Zeit für einen weiteren Höhepunkt. Ich erfuhr über den Sirius Werftchef Torsten Schmidt, dass sein Vater Peter mit seiner Traute auf der Insel ist. Wir bekommen die Gelegenheit, beide zu treffen. Es handelt sich um keinen geringen, als den Vater des Decksalons, der das von mir so geschätzte Konzept überhaupt erst erfand, während sein Sohn Torsten ab 2000 den Decksalon konsequent zu dem weiterentwickelte, was wir heute unser Zuhause nennen und auf dem ich mich so wohlfühle. Wir mögen Traute und Peter sehr und sind außerordentlich dankbar für diese Bekanntschaft.
Unsere Zeit auf diesem Abschnitt unseres Lebens an Bord neigt sich dem Ende. Wir haben hier die letzte Kanareninsel erreicht, werden La Palma selbst aber erst nach unserer Rückkehr erforschen können, bevor wir uns wahrscheinlich über Teneriffa und Gran Canaria von den Kanaren verabschieden und wieder Richtung europäischem Festland segeln.
Der Clipper freut sich, da er zum Anlass unserer Abreise noch mal gründlich in den Ecken gereinigt wird, die beim normalen Reinschiff nicht so genau betrachtet werden.
Ich freue mich auf Mainz, auf Familie und Freunde. Im Sommer, bei besten Inzidenzen und halb, sowie bald vollständig geimpft, sollten soziale Kontakte ja wieder möglich sein, vor denen auch ich mich zu lange versteckte habe. Trotz der fast drei Monate an Bord fallen mir diese Abschiede vom Boot schwer, zumal die Bedingungen im Juli zum Segeln natürlich nicht die schlechtesten sind. Aber ich bin dankbar, vom Leben so privilegiert zu sein, dass ich diese langen Aufenthalte an Bord überhaupt haben kann.
Wir beenden diesen Abschnitt unserer Segelreisen und machen uns am 07.07.2021 auf den Weg zum Flughafen, exakt auf den Tag genau ein Jahr, nachdem wir das Boot am 06.7. und 07.07.2020 in Neustadt/Holstein übernommen hatten.
Happy Birthday Clipper!
Wir werden sehen, wann es wie weitergeht.