16.07.2024 – 29.07.2024
Was ist es doch für ein Gefühl der Freude und Erfüllung, welches sich beim Auslaufen und darüber hinaus am intensivsten als Einhandsegler einstellt! Noch sitzen einem die Strapazen des Turns nicht in den Knochen, man ist ausgeruht und entspannt. Achtern liegt die quirlige Großstadt mit ihren Erinnerungen im Kielwasser, vor dem Bug ist die einsam wirkende See. In der Mitte das eigene Boot, kräftig vom Wind angetrieben, womit das Seewasser stetig rauschend am Rumpf vorbeigleitet.
Es ist der Wechsel zwischen Abfahren und glücklicher Ankunft, zwischen einsamer Selbstbestimmtheit auf See und dem Treibenlassen in der quirligen Großstadt. Die einsame Ankerbucht heute und die geschäftige Marina mit den vielen anderen Seglern morgen.
Nichts davon für sich alleine könnte mich auf Dauer glücklich machen, aber der stete Wechsel im Dasein als Fahrtensegler ist es, der dieses Leben so einzigartig und erstrebenswert für mich macht.
In diesem Sinne geht es am 16.07. um 07:00 Uhr nach den dramatischen Ereignissen rund um Filip, dem eignen zweifachen Fieber, der Parade und dem gigantischen Feuerwerk des Nationalfeiertags endgültig los. Der Proviant ist noch einmal aufgefüllt, die Tanks sind nach einem kurzen Besuch an der Tankstelle voll und ich außerordentlich tatendurstig.
Vorbei an den Kerkern des Château d’If segel ich nun endlich hinaus in den Löwengolf, den Golfe du Lion, grobe Richtung Balearen. Der Wind frischt, wie vorhergesagt im Laufe des Tages auf moderate 15 Knoten auf, kommt eher aus Westen.
Allzu einsam ist das Dasein auf See nun allerdings nicht mehr, da mit Starlink für aktuell 2,29 EUR pro GB jetzt auch auf See Internet per Wi-Fi überall auf dem Boot verfügbar ist. Damit stehen nun für einen Bruchteil der früheren Kosten nicht nur Wetterdaten zur Verfügung, sondern obendrein vollwertiges Internet in dreifacher DSL-Geschwindigkeit, statt der Iridium-Bandbreite, bei der eine normale kleine Text-Mail 20 Minuten Downloadzeit benötigt. Ich versuche die Antenne in einen Angelroutenhalter zu montieren, den ich mir auf die Reling montiert habe. Das klappt aber nicht. Zur Probe stelle ich das Ding dann einfach auf die Sitzbank im Cockpit, was trotz der behinderten Sicht zum Himmel nach sehr langer Zeit tatsächlich eine Verbindung zum Internet hervorbringt. Ich kann so sogar an einem Arbeitsmeeting mittels Videokonferenz teilnehmen und über Social Media kommunizieren. Vorbei ist also die von höherer Gewalt verursachte Unerreichbarkeit, die zur geistigen Entschlackung diente. Fluch und Segen liegen hier eng beieinander.
Bald darauf demontiere ich diese wacklige Geschichte aber wieder und verspreche Filip, den ich nach dem Meeting noch über meine neuen Möglichkeiten informiert hatte, dass ich mich abends wieder melde.
Der Wind frischt dann weiter auf zünftige 20–25 Knoten von Norden auf, womit es in die Nacht geht.
Die Grenze zwischen Tag und Nacht ist, abgesehen vom Naturschauspiel, das sich beim Übergang bietet, immer mit dem gleichen Ritual versehen. Die Positionslaternen werden eingeschaltet, wie auch das Radar. Die Bildschirme stelle ich auf eine rote Farbgebung um und dimme deutlich nach unten, sodass sie nicht blenden.
Während es bei Tage und guter Sicht ein optisches Erleben der Natur mit den eigenen Sinnen ist, verändert sich das nachts dramatisch. Es bleibt nur das Hören in das Boot und das Rig, das Fühlen von Bewegung, vereinzelt das Sehen von Positionslichtern, aber viel mehr das Detektieren anderer Schiffe mittels Technik von AIS bis Radar und dem Vertrauen in deren Funktionalität.
Ich fahre allein mit der Genua. Der Wind kommt in fast perfekter Stärke von weit Achtern, womit der Clipper auch ohne weitere Segel bereits eine hervorragende Fahrt von durchgängig über 6 Knoten macht.
Die dazugehörigen Wellen machen die Nacht recht bewegt. Ich habe fast keinen Schiffsverkehr und will eigentlich in 40 Minuten Schlafintervallen ruhen. Es kommt aber in der ganzen Nacht zu keinem längeren Intervall als 20 Minuten, in denen ich auch selten wirklich einschlafe. Mal erzeugt die aufgewühlte See Radarechos in meinen Warnsektoren, sodass der dadurch erzeugte Warnton abgeschaltet werden muss. Mal singt ein Fall im Wind, der es so in Schwingung versetzt, dass der erzeugte Ton durchs ganze Boot geht. Mal muss innen etwas fest gebunden werden, das sich sonst nie bewegt. Die Behebung dieser ausgesprochen nervigen Angelegenheiten bedeutet dann mitunter sogar einen Gang auf das dunkle Vordeck, was wiederum das Anlegen von Rettungsweste und Sicherheitsleine voraussetzt. Eine Selbstverständlichkeit in der Nacht, nicht nur wegen des in Wind und Welle stampfenden Clippers.
Immer ist auf diese Weise irgendetwas, sodass gegen morgen auch schon mal der ein oder andere deutlich geäußerte Fluch vom Wind ungehört davon getragen wird, während sich der Einhandsegler ein ums andere Mal von der Koje erhebt, auf die er sich wenige Augenblicke zuvor erst gelegt hatte.
Es ist eine Plackerei und ich mache in dieser Nacht noch ein paar mehr erleichterte Seufzer, dass ich nicht in den deutlich wilderen Bedingungen vor ein paar Tagen mit Fieber obendrein gefahren bin und stattdessen vernünftig gewartet hatte, ohne mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Das wäre andernfalls ein schöner Schlamassel geworden.
Die Mühe der Nacht wird aber doch entlohnt. Gegen morgen darf ich festhalten, dass der Clipper in den ersten 24 Stunden 130 Meilen (ca. 209 km) weit gekommen ist. Das spätere Etmal fällt ähnlich aus. Ein Schnitt von 5,5 Knoten ist schon o. k., wie ich finde, auch wenn ich mit noch etwas mehr gerechnet hatte. Die hervorragende Fahrt hatte ich eben nur in der Nacht und nicht bereits den Tag davor.
Ähnlich wie auf dem Atlantik verfrachtet die See auch wieder Tintenfische an Deck, die ich morgens dort finde. Vielleicht springen die auch in einer spontanen Suizidlaune aus der Welle. In jedem Fall sind sie schon hart, sehr eklig zu entfernen und derjenige, der sein Leben auf der Backskiste beendete, hat mir dort mit seiner Tinte einen Abschiedsbrief hinterlassen, der nicht mehr weggeht.
Leider behält die Vorhersage recht und es wird immer ruhiger. Ich mache stellenweise nur noch 3 Knoten Fahrt und nehme am Nachmittag noch zwei Stunden den Motor dazu, bis es ohne ihn in die zweite Nacht geht. Dafür kann ich einen neuen provisorischen Standort für die Satellitenschüssel ausprobieren. Die Abschattungen sind aber so groß, dass es sehr lange dauert, bis eine Verbindung zustande kommt.
Mit dem Starlink Internet habe ich jetzt alle Möglichkeiten der Recherche, um die weitere optimale Strategie zu planen. Ich weiß, dass der Wind gegen Mitternacht alle sein wird. Ähnliches gilt für mich, ich bin etwas müde und könnte ein längeres Nickerchen gebrauchen, wenn es denn geht. Es wäre also eine Option, im Nordosten Mallorcas zu ankern und schlafend auf den nächsten Wind zu warten. So recherchiere ich die potenziellen Ankerstellen. Favorit ist zunächst Port de Pollença, wo wir vor 3 Jahren waren. Da es dort aber viel zu voll sein dürfte, um in der Nacht dort zu ankern, verwerfe ich das Ziel wieder. Andere Stellen sind besser, aber auf Sand statt Seegras zu Ankern wird mir in der Nacht nur durch Zufall gelingen und die Suche nach den Sandflecken somit langwierig und Umweltzerstörend machen, da ich unweigerlich viel Seegras bei meinen zufälligen Versuchen mit dem Anker zerstören muss, was sowieso illegal wäre.
Stundenlang kann ich mich in Endlosschleifen mit der richtigen Strategie auseinandersetzen. Es ist einfach sonst nicht viel zu tun. Die Entscheidung fällt wegen all dieser Unwägbarkeiten dann doch, einfach weiter durchzuziehen und die Nacht an der Nordküste Mallorcas ab Mitternacht unter Motor zu fahren und keinen Umweg zu machen. So richtig Wind ist hier im Norden der Insel ohnehin die nächsten Tage nicht zu erwarten, aber dafür morgen zwischen Mallorca und Formenterra. Und genau den möchte ich bekommen. Leider verlangt die Küstennähe immer erhöhte Aufmerksamkeit, sodass in dieser Nacht wieder nicht viel geschlafen wird. Immerhin konnte ich einiges am Tag nachholen.
Es passiert nun auch etwas Ungewöhnliches. Der Clipper kreuzt seinen eigenen Weg das erste Mal. Bislang ging es immer nur weiter in unbekanntes Terrain. Diese Stellen hatten wir allerdings auf dem Hinweg bereits besegelt. Ein erstes Gefühl der Vertrautheit, das mich bald an anderer Stelle dieses Turns noch viel stärker packen wird, befällt mich.
In den frühen Morgenstunden zeigt die Navigation dann auch noch runde 10.000 Seemeilen, was mit einem Instagram Post gefeiert wird.
Am Vormittag runde ich die Ostspitze Mallorcas, nehme zur Kenntnis, dass es hier eine vorgelagerte Insel gibt, welche ich sodann an Steuerbord lasse und Kurs auf die Südspitze Formenteras nehme, wo ich mir eine Ankerbucht ausgesucht habe, die sowohl ausgezeichneten Schutz vor Wind und Welle als auch wenig andere Ankerlieger verspricht, was in der Mitte der dritten Nacht angenehm sein wird. Ein mäßiger Wind, den ich mit dem Leichtwindsegel einfange, bringt mich bis auf Sichtweite an die Insel heran. Ab Einbruch der Nacht ist der letzte Wind dann auch Geschichte und der Motor wieder im Einsatz.
Vor dem Ziel nervt dann ein anderes Boot, das sich ganz offensichtlich anschickt, genau die gleiche Stelle zum Verbleib anzusteuern.
Dieses parallel fahrende Radarecho, dessen Positionslichter ebenfalls gut sichtbar sind, folgt mir bereits seit zwei Stunden; ein AIS-Signal gibt es dazu nicht. Er ist im technischen Sinne Überholer und müsste sich von mir frei halten, kommt mir mit fast parallelem Kurs aber sehr langsam immer näher. Dazu ist er etwas schneller und löst die Situation, indem er etwa eine Stunde vor Ankunft die Führung übernimmt. Das stresst, denn man muss ihn zum einen stets im müden Auge behalten, dass er keine plötzlichen Dummheiten macht und zum anderen kann man noch nicht absehen, ob weiterhin genug Platz für alle sein wird, oder der einem jetzt den letzten brauchbaren Parkplatz wegnimmt. Ganz abgesehen davon, dass man Platz und Raum zum manövrieren benötigt, wenn man an einem unbekannten Ankerplatz ankommt und den Ankergrund erst mal in Kreisen erkundet, wie ein Hund oder eine Katze, die sich zunächst ein paar mal um sich selbst drehen, bevor sie sich auf einer beliebigen angehenden Ruhestätte danieder betten.
Etwas später ankommend erspare ich mir dann allzu viel Erkundung und lasse den Anker zügig an der schon lange vorher nach Karte ausgekundschafteten Stelle einfach hinab, fahre ihn rückwärts ein. Hält! Ankerlicht an. Ich bin angekommen. Der andere sucht noch, findet aber schließlich auch sein Plätzchen. Nach dem obligatorischen und verdienten Ankerbier geht es ins Bett. Ich schlafe den langen Schlaf der gerechten Seeleute.
Erst drei Tage später möchte ich weiter fahren. Der Wind wird dann noch nicht perfekt, aber ausreichend für möglichst wenig Motorfahrt sein. Dass diese Wartezeit ausgerechnet in Formenterra stattfindet, ist absolut hervorragend.
Der kleine Sandfleck, südlich von Ibiza, fiel mir erst vor 5 Jahren auf, also bevor es mit dem Clipper losging. Ich wusste bis dahin von dessen Existenz nichts. Die Fotos der Strände mit ihrem Südseeflair und die deutsche Facebook-Gruppe machten dieses Eiland zu einem meiner Traumziele, die ich mit dem eigenen Boot unbedingt einmal erforschen wollte.
Nun bin ich tatsächlich hier gelandet. Im nahen Ort kann ich mir ein Auto leihen und erkunde die Insel einen Tag lang. Am Ende steht das Urteil: Ganz nett, aber sowohl sehr kostenintensiv als auch touristisch außerordentlich erschlossen. Sofort fallen mir im Nordosten Griechenlands mehrere Orte ein, die ich heute Formenterra vorziehen würde. So geht es am Ankerplatz durchaus mondän luxuriös zu, die Herschafften in der Nachbarschaft lassen sich hier mit dem Heli ein- und ausfliegen, was zu einigen Flugbewegungen führt. So spart man sich wohl die langwierige und beschwerliche An- und Abreise. Vielleicht ist es aber auch nur der ADAC Rettungshubschrauber mit dem ADAC-Chef oder eine Lieferung Aspirin, wie böse Zungen aus Mainz aufgrund der Farbe unterstellen.
Unterm Strich bin ich aber durchaus sehr glücklich, hier auf der Insel ein paar Stunden verbringen zu dürfen. Man kann es schon aushalten.
Am 21.7. geht es frühmorgens weiter. Zunächst hatte ich mit einem Zwischenstopp in dem mir ebenfalls noch unbekannten Cartagena gerechnet, das sehr interessant sein soll. Der Wind trägt mich aber weiter und ich pushe, wie ich kann. Ich möchte weiterhin so lang es geht, so viel Strecke wie möglich machen. Das Code Zero ist hier in den Phasen mit schwachem Wind weiterhin im Dauereinsatz. Das Fall zeigt mittlerweile, wie sehr ich es beanspruche. Ich kürze die Stelle einfach weg. Das ganze Ding muss bald getauscht werden.
Der Verkehr wird auf dem Weg nach Gibraltar nun immer dichter. An Backbord die Großschifffahrt, an Steuerbord die Küste und die Fischer.
Warnsektoren auf dem Radar kann ich nicht mehr einschalten. Es ist meist ohnehin bereits ein Kontakt drinnen. Damit verkürzen sich meine Schlafzyklen erneut, um nicht in einen solchen Fischer hineinzufahren, der sein Netz hinter sich her zieht und somit Kurshalter ist, auch wenn er unabhängig davon sonst auch kaum in Erwägung ziehen würde, 20 cm Umweg für mich zu machen.
So geht es recht ereignislos Tag um Tag weiter. Ich komme in einen angenehmen Rhythmus und gut voran, bis ich schließlich am 4. Tag dieses Abschnitts am 24.7. an meinem nächsten technischen Wind-warte-Stopp lande: Fuengirola, südlich von Málaga.
Von dem Ort hatte ich noch nie gehört, den Namen vergesse ich auch ständig wieder. Bei Ankunft kreuzt ein Motorboot meinen Weg. Das Ding fährt mir vor den Bug, nimmt die Fahrt raus, stellt sich mir praktisch in den Weg und Menschen springen selbstmörderischer als die Tintenfische ins Wasser. Ich weiche aus und muss erkennen, dass ich den hier nur weiträumig umfahren kann. Wahrscheinlich ist keiner an Bord mehr nüchtern, ein heran rauschendes Segelboot wird nicht beachtet. Gebadet wird unter Gejohle dann, wenn der Körper nach Abkühlung verlangt und Verkehr findet ohne Kurshalteregeln allerhöchstens in der Kabine statt. Ich bin also gewarnt, um was für einen Ort es sich hier handelt.
Beim Einlaufen tanke ich noch rasch, fahre in meine Box und gehe zum Einchecken. Dabei passiert man das Restaurant Ku‘Damm, dass den Hafen dominiert und mit dem aufwartet, was man für typisch deutsche Speisen hält. So ist das alles hier.
Der Ort ist in der Hochsaison mit seinem Massentourismus furchtbar, welcher mit dauerhaftem Verbrennen von Öl betrieben wird. Die Marina ist ein Stützpunkt entsprechender Freizeitaktivitäten. Den ganzen Tag kommt und geht alles, was Krach macht und stinkt. Speedboote, Jetskies, Ausflugsboote und dergleichen senden ihre Abgase durch mein offenes Dachfenster in den Clipper. Ich atme die meiste Zeit möglichst flach die abgasgesättigte Luft ein. Im Ort selbst, an seiner Straße ist es ähnlich.
Nach drei Tagen, am 27.7., verlasse ich diese kleine Hölle des Massentourismus endlich zum nächsten Abschnitt: Gibraltar. Dort ist Wind und Strömung entscheidend. Die drei Tage waren notwendig, um einen seltenen Luftzug nach Gibraltar und anschließend einen starken Wind durch die Öffnung zu finden, während das Wasser mir immer vom Atlantik entgegenkommt. Bei Ebbe weniger, bei Flut mehr.
So mancher Segler hat sich hier schon fest gefahren, weil er versucht hatte, mit der Maschine gegen Wind und Strömung anzufahren, was oft nicht funktioniert. Ich plane meine Zeit also mit PredictWind, dass ich möglichst wenig Strömung gegen mich und möglichst viel Wind mit mir habe, was eine Durchfahrt vor Sonnenaufgang verlangt. Ich entscheide mich dazu, vor La Linia in der Bucht von Gibraltar zu ankern, um zu warten und zu schlafen.
Auf dem Weg habe ich zwei hervorstechende Ereignisse. Zunächst begegne ich einer größeren Delfinschule, die mich lange begleitet. Oft höre ich sie schon, wenn ihr helles Zirpen, mit dem sie sich verständigen, durch das Wasser und den Rumpf des Bootes im Clipper hörbar wird. Am Ende dieses Videos hört man es sogar durch die Luft. Um Verwechslung zu vermeiden, ein Regiehinweis: Das HiHi am Anfang bin ich, es war nicht zu unterdrücken. Erst danach kommen die anderen Säuger zur Sprache. Wir verstehen uns prächtig.
https://youtube.com/shorts/dm2VCEtIa8c?feature=share
Das zweite Ereignis war ein Freizeit-Fischer-Motorboot mit mehreren stattlich genährten Spaniern. Wir beide unter Motor, er ausweichpflichtig hat mich auf seiner Steuerbordseite, ich Kurshalter, habe ihn auf Backbord. Ich weiß ja bereits, dass hier alles egal ist, aber was soll ich denn machen? Davon ausgehen, dass ich immer ausweichen muss, weil im westlichen oder spanischen Mittelmeer alle anderen grundsätzlich nur geradeausfahren oder vor mir ins Wasser springen können?
Also fahren wir aufeinander zu, ich bereite mich auf das Manöver des vorletzten Augenblicks vor und führe das dann erwartungsgemäß aus, indem ich den Kurs nach Backbord ändere, um hinter ihm zu passieren; vor ihm geht schon nicht mehr. Soweit von mir, dem Kollisionsverhütungsregeln geschulten Deutschen Naseweis erst mal alles richtig gemacht. Dennoch bricht jetzt auf dem Motorboot aufgeregtes Geschrei los.
Ich verstehe in dem spanischen Kauderwelsch nur immer wieder La Linea, La Linea, womit sie vermutlich nicht auf ihre nahe Heimatstadt, sondern auf die Tatsache hinweisen wollen, dass sie ihre dämlichen Angelschnüre unsichtbar hinter sich herziehen. Da platzt mir dann der Kragen.
Hätte diese Chaoten wenigstens ein kleines bisschen Seemannschaft gezeigt, wären sie vorausschauend in Frieden hinter mir durchgegangen und ihr Angelgeschirr wäre vor meiner Schraube und dem dort ebenfalls befindlichen Tauschneider sicher. Weil sie sich aber, wie schon die Badegäste vor Fuengirola, alleine auf dieser Welt wähnen, muss ich notgedrungen aufstoppen und warten, bis diese nutzlose Gang es an mir vorbei geschafft hat.
So mache ich mir etwas Luft und rufe ihnen nun wiederum meine Meinung zur Situation zu. Es ist eine Mischung aus Englisch und Deutsch, was sie mit Sicherheit beides nicht verstehen. Allerdings vermeide ich international erkennbare Qualifizierungen von familiärer Abstammung, mutmaßliche Berufe auf der Gegenseite oder dem der jeweiligen Mutter, mutmaßlichem Wohnort und Einordnung des Gegenübers in andere Gattungen der Familie der Säugetiere als dem Homo sapiens etc.
So fauchen wir uns dann vor dem Fuße des Affenfelsens auf das Allerfeinste an, wie es deren Bewohner nicht besser gekonnt hätten und benehmen uns alle wie dieselben, während die Boote beginnen, wieder ihrer Wege zu ziehen.
Der Ärger verraucht und macht einer neuen Emotion Platz: Nostalgie und Vertrautheit befällt mich. Es ist das erste Mal, dass ich mit dem Boot nach längerer Zeit an einen Ort zurückkehre, an dem wir schon einmal länger waren und der noch dazu so spektakulär ist. Bis jetzt war es sonst immer Fahrtensegeln, nach dem Motto: immer weiter, immer weiter.
Die Ostseite des Felsens habe ich zudem vom Wasser noch nicht gesehen. Schon hier gehe ich nun mit dem Boot ins flachere, etwa 20 Meter tiefe Wasser und somit näher an die Küste, um möglichen Orcas zu entgehen, die sich im seichteren Wasser nicht wohlfühlen und es daher meist meiden.
Die beeindruckenden Schiffe, die hier auf Rede liegen, lassen mich große Augen machen, wie hier einer von zwei Berge- bzw. Hochseeschleppern, die auch Ölplattformen versorgen, große Anker legen oder andere Arten von Spezialaufgaben übernehmen können: Posh Osprey und Posh Teal heißen die beiden allwettertauglichen Kraftpakete.
Ich runde den Felsen im Süden und setze meine Besichtigungstour in der Bucht fort. Viele Schiffe tanken hier, da der Treibstoff durch niedrige Steuern und funktionierenden Wettbewerb unter den Anbietern sehr günstig ist.
Auf der Westseite fahre ich sehr nahe an einen hässlichen Autotransporter heran, dem das aber zu viel Nähe wird.
Meine Übergriffigkeit wird mit einem kurzen Stoß aus seinem imposant lauten und tiefen Schiffshorn kritisiert, der mich überrascht deutlich sichtbar den Kopf einziehend zusammen fahren lässt. Betreten schaue ich mich um, ob das jemand gesehen hat. Weit oben auf dem Autotransporter stehen ein paar Arbeiter. Ich verdrücke mich nun lieber nach La Línea, wo der Anker vor der Marina hervorragenden Halt auf Sandboden bietet.
Landgang ist nicht geplant, da es morgen noch vor Anbruch des Tages weitergeht. Der Plan ist bei einsetzender Ebbe und passendem Wind wieder in der Meerenge zu sein, um möglichst in einem Rutsch und bei Tageslicht das gegenwärtig aktive Orca-Gebiet vor Barbate passieren zu können. Für die Nacht lasse ich die Dachluke zur Lüftung komplett offen. Eine Erinnerung habe ich nicht, wie das hier mit den Mücken war. Das Moskitonetz vor dem Bett schließe ich dennoch sorgfältig.
In der Nacht weckt mich ein Stich. Nun gut, denke ich schlaftrunken, gelegentlich schafft es ein Vieh doch immer mal wieder herein. Ich leuchte mit der stets griffbereiten starken Taschenlampe in der einen Hand den angehenden Tatort aus, die zum Töten bereite Elektropeitsche in der anderen haltend. Lange muss ich nicht suchen und erlege das erspähte Vieh. Ich kontrolliere zur Sicherheit auf eine zweite Schnacke und finde tatsächlich noch eine. Auch diese wird umgehend sachgerecht erlegt, nur um noch eine Dritte zu entdecken, welche es ebenfalls unter das Netz geschafft hat.
Diese extrem ungewöhnliche Anhäufung im Allerheiligsten, meinem Burgfried, macht mich zutiefst misstrauisch. Der Strahl der Taschenlampe wandert nun langsam zum Moskitonetz, von wo mich mindestens 30 Moskitos hungrig anstarren. Das sind üblicherweise auch nur 2⁄3 der Gesamtmenge, die man als im gesamten Boot befindlich ansehen kann. Absoluter Wahnsinn.
Mein Arm geht langsam mit der Elektropeitsche unter dem Netz durch und tötet sachte im E-Peitschen-Auflege-Verfahren ganze Gruppen der auf dem Netz sitzenden Viecher, ohne dabei zu viele Nachbarn aufzuscheuchen, die noch nicht an der Reihe sind. So ernte ich diese ab, während die Peitsche unter der Arbeitslast zischt und knistert. Die Überreste sammeln sich auf der Flurplatte unter dem Netz.
Danach folgt die kompliziertere Pirsch durch das Boot. Hier schlagen noch einmal deutlich über 10 zu Buche. Es wird bis in den Nachmittag des kommenden Tages dauern, bis ich alle blinden Passagiere dieser Behandlung zuführen konnte.
Um 4:30 geht es dann wieder Anker auf. Ein magischer Morgen, an dem es durch die Bucht vorbei an den ruhig, aber hell erleuchtet daliegenden Riesen vorbeigeht, immer in dem Versuch, die Schnellfähren rechtzeitig zu entdecken und denen nicht vor den Bug zu fahren.
Unter Radar, gehörigem Ausguck und ordentlicher Zufuhr von Kaffee kehre ich zurück in die Straße von Gibraltar.
Bald darauf runde ich dicht unter der Küste Tarifa und folge unter Segel und Motor nun weiter konsequent der 20-Meter-Linie in das Gebiet der Orcas.
Das ist die aktuelle Empfehlung zur Vorbeugung von Orca-Attacken:
- Bleibe in flachen Wasser (20 Meter), da sich Orcas bei weniger als 30 Metern nicht mehr wohlfühlen und diese Untiefen eher meiden
- Fahre bei Tageslicht, dass du im Zweifel etwas sehen kannst, wenn doch etwas passiert
- Fahre unter Motor oder Motorsegel. Orcas mögen Segelboote offenbar mehr als Motorboote.
- Hole aktuelle Infos und die Position der Orcas unter orcas.pt vor der Fahrt ein.
Ich fühle mich sicher, sehe andere Segelboote, die es ebenso machen. Man sieht auch mehr von der Gegend, wenn man unter der Küste fährt. Ich hatte mir das enger vorgestellt, es geht aber ganz gut. Seit die oben genannten Empfehlungen raus sind, passiert deutlich weniger. Dass dennoch weiterhin Boote angegriffen werden, liegt auch in der Ignoranz weniger, die sich für unbesiegbar halten. So folgt mir ein anderes größeres deutsches Boot, welches mich langsam überholt und immer mehr den direkten Weg durch die Buchten in tieferem Wasser nimmt. Erst mal nicht mein Problem.
Vor Barbate höre ich dann auf Funk, wie das Boot angesprochen wird, sie mögen doch bitte dringend an der 20-Meter-Linie entlang segeln. Zur Antwort kam ein unsicheres: Wir sind aber doch ein Stahlboot. Die Forscher wiederholen wenig beeindruckt die Aufforderung. Es stellt sich ja weniger die Frage, wie der Rumpf beschaffen ist, als mehr wie das Ruder aufgehängt und gebaut ist und ob es Rammstöße von mehreren Tonnen über lange Zeit standhalten würde.
Die Bismarck wurde im Zweiten Weltkrieg besiegt, weil der kleine, billige und vom Flieger abgeworfene Torpedo die Ruderanlage so beschädige, dass das ganze Schlachtschiff nur noch im Kreis fahren konnte, bis die herbeieilende Royal Navy sie einholen und in Stücke schießen konnte. Da schuf die ansonsten hervorragende Panzerung keinen Mehrwert, denke ich mir, als auf einmal aus dem Funkgerät aufgeregt ORCA! ORCA! gefolgt von einer Position und viel Aufregung kommt. Die Forscher haben die Gruppe ausfindig gemacht. Das Segelboot meldet sich nicht mehr, fährt nun aber zur Küste, derselben folgend nicht etwa auf der 20, sondern der 10-Meter-Linie. Man hat sich dort wohl ordentlich erschreckt. Etwas später wird der nächste Segler sogar vom MRCC offiziell gebeten, doch bitte unter der Küste zu fahren……
Die Fahrt unter Land ist abwechslungsreich, interessant, aber anstrengender als auf dem freien Wasser einfach den Autopiloten geradeaus fahren zu lassen. Man sieht eben mehr. Neben tollen Leuchtturmbildern entdecke ich sogar das Wrack eines Segelboots an der Küste.
So schaffe ich es bis zum späten Nachmittag bis südlich von Cadiz. Hier hat es zuletzt vor zwei Jahren Orca Sichtungen gegeben, sodass ich mich traue, den Bug nun nach Nordwesten zu richten und auf das offene Wasser hinauszufahren. Das Wetter soll in der Nacht durchmischt sein, wenig Wind, nur manchmal aus einer gewinnbringenden Richtung. Danach soll es allerdings bis zum Verhersagehorizont nur noch Gegenwind geben, gegen den ich nicht ankreuzen möchte. Also weiter, der Motor hilft in der Nacht die meiste Zeit mit, während ich vor mir eine große Menge an Wetterleuchten sehe. Mit den neuen Möglichkeiten kann ich auf den Blitzkarten von WetterOnline sehen, wie das Gewitter aus Südwesten über der gesamten Algarve hinweg zieht. Im Internet sieht es nicht danach aus, als ob ich damit in Konflikt geraten sollte. In der wirklichen Welt wirkt es aber durch die gewaltigen Blitze in der Nacht so, als würde ich gerade direkt in mein Verderben fahren.
Bis auf vermehrten Schwell bleibt es auf dem Clipper einigermaßen ruhig. Am nächsten Mittag erreiche ich dann schließlich das Ziel meiner Reise. Ich stehe vor der Einfahrt der Lagune von Faro, eigentlich Naturpark Ria Formosa genannt, und frage mich, ob ich da überhaupt reinfahren kann. Wir haben Ebbe, der Strom aus der Lagune ist stark und drückt an der Ausfahrt gegen den erheblichen Atlantikschwell, der sich über die Nacht aufgebaut hatte.
Ein anderes Boot geht vor mir durch den sich dort bildenden Wirbel und in den kurzen Kanal der Einfahrt hinein. Was der kann, kann ich auch, denke ich. Mit nahezu Vollgas surft nun auch der Clipper dem Eingang entgegen. Gerne liest man, dass das Wasser gekocht hätte. Es sieht tatsächlich auch so aus, denn sowohl beim Kochen als auch in diesem wilden Wirbeln wird Wasser aus der Tiefe nach oben gedrückt, das dann an der Oberfläche genau so aussieht. Mit Motorkraft drücke ich das Boot durch den Eingang. Ganz wohl ist mir nicht, aber sobald ich den Schutz des Wellenbrechers erreiche, wird es auch schon ruhiger und etwa 1,5 Knoten Gegenströmung sind alles, was noch überwunden werden muss.
Der Clipper und ich erreichen genau den Punkt, an dem ich schon das erste Mal vor fast 3 Jahren den Anker geworfen hatte, als ich hier mit Filip ankam. Der historische Track ist immer noch auf dem Plotter erkennbar und genau hier fällt erneut der Anker.
Sehr glücklich mache ich noch ein wenig seeklar zurück, gönne mir ein mittägliches Ankerbier, um dann sogar noch vor dem Zubettgehen einen Drohnenflug zur Feier des Tages durchzuführen. Meinen gesetzten Zeitrahmen habe ich mehr als eingehalten, mein Ziel nach rund 900 Seemeilen erreicht und bin stolz wie Oskar.
So geht es nun für eine ausgedehnte Siesta zu Bett, die vergangene Nacht mit wenig Schlaf ausgleichend und ein paar sehr ruhige Tage vor der Brust, bis Filip mit Mutter und Bruder an Bord kommen. Darauf freue ich mich nun.
Lieber Matthias,
Seit dem du den Blog gestartet hast, freue ich mich immer auf entsprechende Neuigkeiten und lese mit grossen Freuden über Eure Reise und vor allem über die Erfahrungen mit der 35 DS. Ich habe ja die Baunummer 64 und habe von dem damaligen Austausch mit Dir sehr profitiert. Dieser Profit setzt sich fort, wenn Du über technische und alltägliche Probleme und deren Lösungen schreibst. Vielen Dank dafür. Ich komme erst auf ca. 4.300 Seemeilen in der Ostsee seit der Übergabe im Dezember 2022.
Ebenfalls finde ich deinen Schreibstil extrem erfrischend und muss nicht selten beim Lesen Schmunzeln. Unvergessen ist dein Artikel über Eure Heimfahrt mit Fähren und der Bahn nach Frankfurt vor x Jahren. Mit grossen bedauern und späteter Erleichterung habe ich über die Diagnose von Filip gelesen und hoffe und wünsche gute Besserung. Letztlich kann ich deine besonderen Erfahrungen bzgl. des Solosegelns teilen, wobei ich die alleinigen Nachtfahrten noch meide. Dafür habe ich 100te von Seemeilen in den finnischen, norwegischen und schwedischen Schären teilweise solo gemeistert.
In diesem Sinne würde ich mich freuen, auf diesem Wege oder sogar mal telefonisch in Kontakt zu bleiben und wünsche euch allzeit gute Fahrt und weiterhin tolle Erlebnisse an Bord des Clippers oder an Land.
LG Gustav von der MOYENNE.
Lieber Gustav,
vielen lieben Dank für deinen ausführlichen und motivierenden Kommentar. Da warst aber auch schon ganz schön fleißig, wenn du bereits 4.300 Meilen gesammelt hast. Es kommen noch 1-2 Blogposts für dieses Jahr und du erinnerst mich, mal wieder zu meinen Erlebnissen mit der Trinkwasserpumpe zu berichten.
Ach ja, die Reise mit der Fähre und der Bahn über Italien, ich erinnere mich, dass mir die Beschreibung auch viel Freude bereitet hat.
Gerne bleiben wir weiter in Kontakt und früher oder später werden wir uns sicherlich auch begegnen!
Liebe Grüße auch von Filip
Matthias