Die Verproviantierung war gemacht, der Abschied mit Peter am Donnerstag begangen und nun konnte es Freitag Morgen (18.09.) wieder losgehen.
Wir hatten zwei Szenarien entworfen, welches Ziel wir nach Verlassen des Nordseekanals in Angriff nehmen wollten. Es standen zur Auswahl:
– ein kurzer Schlag nach Scheveningen bei Den Haag oder
– die erste Nachtfahrt und mal sehen, wie weit wir kommen.
Grundsätzlich hatten wir schon seit zwei Tagen eine Windvorhersage, wie sie viel besser nicht sein konnte. Für die kommenden 3 Tage, bis Sonntag, Wind aus Osten in der Stärke Bft 5-6, in Böen 7. Also volle Power in die Richtung, in die wir wollen.
Für Plan A, also nach Scheveningen, war die Strömung der Tide in der Nordsee ab etwa 10:00 Uhr günstig, sodass wir planten, etwa um diese Zeit aus der Schleuse zu kommen. Somit standen wir kurz nach 6 Uhr auf, das Boot bekam noch mal Trinkwasser nachgefüllt, wurde seeklar gemacht und es ging in einem malerischen Sonnenaufgang los, zur nächste Etappe gen Süden.
Nach zwei Stunden Kanalfahrt unter Motor, einer letzten Schleuse und Brücke war es dann so weit. Wir waren zurück auf der Nordsee, die uns mit angenehmen 17 Knoten Wind aus Ost empfing. Wir kamen gut voran, boten einiges an Segelfläche auf, den Wind, die Tide und die Wellen mit uns, dass Scheveningen schon sehr bald in Sicht kam und klar wurde: Besseren Wind für unsere Reise werden wir so bald nicht mehr finden und in Scheveningen am frühen Nachmittag schon wieder einzulaufen, erschien wie die Verschwendung eines sehr knappen und dadurch kostbaren Gutes: Wind aus der richtigen Richtung in brauchbarer Stärke.
Somit fiel die Entscheidung, es mit der ersten Nachtfahrt zu versuchen! Aufregend!
Nachdem klar war, dass wir weiter segeln, war die strategische Frage zu entscheiden: wo genau? Also weiter entlang der niederländischen, belgischen und französischen Küste, oder raus auf die Nordsee und später auf der englischen Seite durch den Kanal bei Dover / Calais.
Auch wenn der Weg unter der Küste kürzer ist und man nicht die großen Verkehrstrennungsgebiete queren bzw. befahren muss, hat man dafür Fischer, Windparks, ggf. andere Segler ohne AIS (Gerät zum gegenseitigen Austausch von Positionen, sodass man sich elektronisch sieht) Flachstellen und Strömungsgegebenheiten, die ich unter Umständen nicht kenne und daher nachts nicht berücksichtigen kann. Ich fühlte mich weiter draußen mit mehr Raum sicherer. Das Fahren am Fahrwasserrand hatte ich die letzten Wochen ja reichlich geübt.
Es ging also weg von der Küste, an den Reeden vor Scheveningen bzw. später Rotterdam vorbei in die VTGs.
Wir revidierten die Entscheidung auch nicht, als Filip am Nachmittag leider zunehmend der für ihn ungewohnten und deutlich zunehmenden Bewegung im Boot ihren Tribut sollte, und mit Seekrankheit ausfiel. Ich fühlte mich gut und sicher, hätte mich sehr gerne mit ihm in irgend einer Form abgewechselt, aber war auch so bereit, das Boot in der Nacht alleine zu fahren und in den ruhigen Momenten das Intervall-Schlafen der Einhandsegler auszuprobieren. Man schläft und stellt einem Timer für z.B. 20 Minuten, checkt nach der Zeit, ob noch alles seine Ordnung hat und schläft in diesem Fall direkt die nächsten 20 Minuten, bis zum nächsten Timeralarm und Check.
Und so nahm die erste Nacht ihren Lauf. Der Wind frischte am Abend weiter auf 6 Windstärken von Achtern auf, die Wellen kamen ebenfalls aus der Richtung.
Wenn man gegen 6-7 Windstärken ankämpft, kracht es mitunter bei kurzer Welle fürchterlich, wenn das Boot gegen die Wellen anfährt und das Stampfen in der See fühlt sich schon dramatisch an. Wenn man aber Wind und Welle mit sich hat, geht es deutlich friedlicher zu. Die eigene Geschwindigkeit kann man ja schon mal von der tatsächlichen Windgeschwindigkeit abziehen, was den scheinbaren Wind, den man auf dem Boot erlebt, reduziert. Alleine die Wellen waren dennoch ab und an ein Problem. Das Boot stampft zwar bei See von Achtern nicht, es rollt aber von der einen auf die andere Seite, da die Segel auf raumem bis Vorwindkurs nur wenig Stabilität bringen. So brach außerdem in der einen oder anderen überholenden Welle immer wieder mal das Heck aus und konnte nur mit Hartruderlagen zurück auf Kurs gebracht werden. Das ließ ich aber den Autopiloten machen, denn nun nutze ich einen der großen Vorzüge meiner Decksalonyacht und fuhr wirklich von drinnen, aus dem trockenen und windgeschützten Salon bei geschlossener Tür. Leider quittierte der Autopilot die harte Arbeit mit einer überhöhten Stromrechnung, sodass ich alsbald immer mehr Verbraucher ausschaltete, um die vitalen Systeme, auch über die nächsten Tage, weiter mit Strom versorgen zu können. Ich bin zwar mit Lithium Batterien, viel Solar und einem Windstromgenerator gut aufgestellt, aber mit den richtigen Verbrauchern bekommt man auch dieses System über ein paar Tage klein, wenn die Sonne nicht gerade jeden Tag brennt.
Wir machten 6-7 Knoten, die Strömung der Tide kam hinzu, das Wetter, der Wind und der Kurs bleiben annähernd stabil, sodass ich mich die nächsten drei Tage an Geschwindigkeiten von 7-10 Knoten bei mitlaufender Tide gewöhnte. Während des Flutstroms, bei dann nur noch 4-6 Knoten Fahrt, wartete ich dagegen wie ein Junkie darauf, das der Tidenstrom wieder kippte. Wie wir allerdings, unabhängig von der Fahrt über Grund, über einen so langen Zeitraum durch das Wasser pflügten, berauscht mich jetzt noch.
Ich schlief mich, in besagten Intervallen, durch die Nacht, wenn nicht gerade Umbauarbeiten an den Segeln durch größere Kursänderungen anstanden oder irgend eine Verkehrssituation zu lösen oder die Lösung zu überwachen war. Das funktionierte erstaunlich gut und am Morgen waren wir ein großes Stück vorangekommen.
Wir fuhren die Nacht und folgenden Tage fast ausschließlich mit dem sogenannten Bullenstander. Der Wind kam sehr knapp von Achtern. Immer mal wieder, drehte eine Welle das Heck aus dem Kurs, sodass mitunter eine Patenthalse drohte, dass also der Baum von der einen Seite des Bootes mit dem vollen Winddruck auf die andere schlägt, was schwere Schäden, bis zum Verlust des Mastes hervorrufen kann. Das verhindert man, indem man den Baum mit einer nach vorne geführten Leine sozusagen arretiert. Das macht einen aber auch unflexibel und es ruft Umbauarbeiten hervor, wenn man von dem einen auf den anderen Bug wechseln muss, wie in nachstehendem Bild beim nächtlichen Einfädeln in einen neuen Verkehrsstrom.
An den beiden ersten Tagen der Reise machten wir so Etmale (Tagesstrecke) von etwas über 150 Seemeilen! Das ist ziemlich viel.
So ging es in den Ärmelkanal und wir erreichten die Engstelle Dover – Calais zur besten Zeit. Wenn man tagelang längs des Tidenstroms segelt, dann ist es ja egal, wie die Tide steht. Mal hat man sie halt gegen sich und sie macht einen langsam, mal hat man sie mit sich und sie macht einen schnell. Allerdings gibt es auf der Reise Engstellen, wie besagte bei Dover – Calais, wo das Wasser schneller fließt. Dass wir hier bei mitlaufendem Strom ankamen, hätte man kaum besser planen können, war aber ein reines Zufallsprodukt.
Dafür gibt es zwei Sprüche. Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln oder das Glück ist mit dem Tüchtigen. Ich tendiere klare zum ersten Spruch. Es wäre mir lieber gewesen, dieses Glück kommen zu sehen, aber so berechnend bin ich noch nicht. Ich hatte lediglich vorher darauf geschaut, dass wir dort auf jeden Fall bei Tageslicht durchgehen, was der Fall war.
So schossen wir da regelrecht durch. Ich hatte mir viel Gedanken zu dem Verkehr gemacht. Wir sahen auch einige quer laufende Fähren, allerdings in einiger Entfernung, was es geradezu entspannt, schnell und völlig konfliktfrei machte. Nehme ich gerne so…
Filip erholte sich langsam von der Seekrankheit, fühlte sich in dem Wellen- und Windbild aber immer noch nicht wohl. Vor allem eine nächtliche sehr dumme Aktion von mir, jagte ihm große Angst ein. Der Autopilot verlor ständig Geschwindigkeitswerte und nervte extrem durch die resultierenden Fehlermeldungen und den Umstand, dass er somit keine Wegpunkte anfahren konnte, da er keine Korrekturwerte zum Versatz durch die Strömung hatte. Ich versuchte das nachts mal dadurch zu heilen, indem ich das System einfach ausschaltete, um neu zu booten. Dadurch stand dann natürlich auf einmal gar keiner mehr am Steuer. Das erkennend, stürzte ich dann ohne Rettungsweste und vor allem ohne an das Boot mit Leine eingepickt zu sein in das dunkle Cockpit hinaus, um eine Patenthalse abzuwenden. Die ganze Aktion und meine begleitende Flucherei über mich, das System und generell alles, war nicht das, was Filips Sicherheitsbedürfnisse zu dem Zeitpunkt suchte. Ganz schlechte Vorgehensweise, ich arbeite an mehr überlegter Souveränität. Wir hatten später dazu ein langes Gespräch.
Wir gingen nun am Rande das letzte VTG entlang und mussten bald auf die französische Seite in den Süden des Kanals wechseln. Das ist durchaus spannend, am Ende des VTG den Kurs quer zur Fahrtrichtung zu ändern und den riesigen Schiffen in den Weg zu fahren. Natürlich schaut man, dass man dabei keine zu kleinen CPA (Closest point of approach, also Annäherungspunkte) erzeugt, aber nicht immer geht es ohne die Mitarbeit der Großen, die außerhalb von Fahrwassern und Manöveriereinschränkungen durch Fahrrinnen und Tiefgang auch durchaus Ausweichpflichtig sind. Wenn sie es dann auch tun, ist das schon ein tolles Gefühl, wenn so ein Großer, dem Kleinen Platz macht und außen herumfährt.
Wo die Etappe eigentlich enden sollte, hatten wir ständig diskutiert und geändert. Es stand eine Flautenperiode an, gefolgt von Sturm. Wir suchten also nach einer Bleibe für die nächsten Tage und es war unklar, wie weit wird noch kommen. Nach dem VTG und der beglückten Querung in den Süden fiel die Entscheidung dann auf die Kanalinsel Guernsey mit dem Hafen St. Peter Port. Ankunft sollte zwischen 00:00 und 01:00 Uhr sein, der noch vorhandene Wind war für die Richtung sehr gut geeignet. Die Revierfahrt im Dunkeln wollte ich ausprobieren. Ich war gut vorbereitet und hatte mir alles relevante zur Ansteuerung rausgeschrieben, Filip eingewiesen, der bei der Orientierung helfen sollte und den Plotter hatten wir ja auch noch, auch wenn der sich nach wie vor mit Wegpunktsteuerung schwertat. Bei aller Vorbereitung hatten wir dennoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Mit Anlaufen der Insel bekamen wir Internet und ich checkte sicherheitshalber noch mal die lokalen COVID Bestimmungen. Man war sehr stolz drauf, COVID frei zu sein und jeder, der auf die Insel kam, sollte für mindestens 7 Tage in strenge Quarantäne und einen Test machen. Wir drehten auf dem Absatz um und liefen weiter in die Nacht hinein, das ursprüngliche Ziel wieder aufnehmend, das wir mal ganz am Anfang hatten: Roscoff.
Der Wind ließ wie angekündigt nach und wir treiben mehr mit der Tide, als dass wir segelten. Wir diskutierten kurz, ob wir schummeln sollten und mit Maschinenkraft einfach versuchen, so weit wie möglich nach Westen zu kommen. Da allerdings keine Sicherheitsaspekte dafür sprachen, der Sturm sollte erst in drei Tagen kommen und der Wind bis dahin nochmal kurz moderat auffrischen, entschieden wir uns für das Segeln. Das hieß dann zunächst, alles an Segelfläche an den Mast zu bekommen, was wir hatten. Als der Wind dann ganz weg war, nahmen wir die Segel runter, trieben mitten auf dem Wasser friedlich dahin, räumten auf, machten uns ein schönes Essen und diskutierten ausführlich meine nächtliche Aktion, sodass neben Ordnung auch wieder Frieden an Bord einkehrte.
Die Nacht verbrachten wir mehr treibend, denn segelnd in Richtung Roscoff. Es war ruhig, aber dennoch war dieses Mal immer einer von uns wach und hielt „gehörig“ Ausschau. So erreichten wir bei etwas Nebel am Morgen die Küste.
Beim Klarmachen zum Einlaufen dann noch ein größeres technisches Problem: Das Bugstrahlruder ließ sich nicht mehr starten. Anlegen geht natürlich auch ohne, aber mit ihm läuft es doch deutlich entspannter, wenn man den Bug mit dessen Hilfe in die eine oder andere Richtung bringen kann, so wie man es gerade braucht.
Kurze Suche nach der möglichen Fehlerquelle ergab nichts. Wir suchten uns also eine Box, die komplett frei war. So ließen wir uns vom Wind an einen Fingersteg drücken, machten fest und vier Seetage und drei Nächte waren geschafft. Der Rest des Tages bestand nur noch aus Schlafen und Essen.
Wir sind mit diesem Schlag ein Riesenstück vorangekommen und damit deutlich vor unserem Zeitplan, wohl wissend, dass es für die Biskaya eh spät ist. Jetzt warten wir den Sturm ab, der bis mindestens Freitag das Weiterfahren für uns unmöglich macht. Wenn die nachfolgende Prognose zutrifft, könnten wir irgendwann am Wochenende die Möglichkeit bekommen, noch das letzte Stück nach Westen zu kommen, um uns zum Beispiel in Camaret-sur-Mer (südlich Brest) für die Biskaya-Überquerung zu positionieren, wo wir dann nur noch Winde für südliche Kurse brauchen.
Obwohl sich Filip, um es sehr freundlich auszudrücken, zeitweise auf dieser Passage sehr kritisch mit seinem Schicksal auseinandergesetzt hatte, das ihn an Bord des Clippers und in diese Wettersituationen mit der verbundener Angst und Seekrankheit brachte, blickt er nun aus einer Mischung aus Stolz und Erleichterung auf das Erreichte zurück. Ob ihn nun, nach bezwungener Seekrankheit, doch das Seglervirus erwischt hat? Wir werden sehen.
Es macht sehr viel Spass, euren blog zu verfolgen. Sehr verständlich beschrieben, sodass sogar Lotte das versteht wenn sie es mal lesen sollte. Tolle Leistung von euch, die ersten Nachtfahrten gleich im Englischen Kanal zu absolvieren. Respekt! Weiter so und Allzeit eine handbreit. . . . na du weist schon 🙂
Viele Grüsse aus Dänemark
Frank & Lotte
Hallo Frank. Toll, das du (ihr) mitliest. Nach meinem zügigen Aufbruch gen Süden wurde es ja leider nichts mehr mit einem Besuch. Dass ich die wunderschöne Ostsee wegen des Winters verlassen habe, tut mir jetzt noch leid. Aber ich komme wieder, dann vielleicht auch oben rum und ihr seid dann ganz am Anfang auf meiner Liste der Dinge, die ich dort gerne sehen möchte 😀
Kein Problem. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben und vielleicht sehen wir uns ja mal im Süden 😎
Bleiben in Verbindung
LG Frank