10.08.-30.08.2022
Ich stecke den Kopf vorsichtig aus der Tür. Klirrende Kälte empfängt mich an diesem besonderen Morgen, nimmt mir kurzfristig den Atem. Ich schließe unvermittelt die Arme um mich in dem Versuch, meine Körperkerntemperatur zu erhalten und so dem süßen Tod durch Erfrieren zu entgehen. Geräusche aus der Ferne dringen klar durch die schwere kalte Luft an mein Ohr, eine Art akustische Überreichweite unter diesen speziellen Bedingungen. Schutzsuchend ziehe ich meinen Kopf wieder in das behagliche Innere der Kabine zurück und schaue auf das Außenthermostat: Tatsächlich! Der Sensor misst im Cockpit draußen rekordverdächtige +21 °C . Dass er in diesen tiefen Bereichen überhaupt noch arbeitet, wundert mich einen Moment. Keiner an Bord kann sich daran erinnern, wann es das letzte Mal so kalt war. Über den Vormittag zieht die Temperatur dann aber wieder auf die üblichen 33 °C an, als wäre nichts gewesen. Ein wenig hat sich der Herbst allerdings schon mal gezeigt, an diesem Morgen der endlos dahinziehenden Sommertage.
Wir richten uns, wie angekündigt, in der Bauruine der Marina von Kefalonia häuslich ein. Flip blüht auf. Er kann wieder täglich sein Fitnessprogramm absolvieren, sei es im örtlichen Gym oder im Schatten eines in der Marina aufgebockten großen alten Fischerbootes im Hintergrund des nachfolgenden Bildes.
Ich beginne volle Arbeitstage im Vorschiff zu absolvieren und mein Arbeitszeitkonto wieder in ein vorzeigbaren Zustand zu bringen, während es um uns herum in der Marina recht ländlich zugeht. Neben einer Schafherde…
… beherbergt dieser inoffizielle Hafen noch einen kleinen Reparaturbetrieb, eine Art Werft, die höchstwahrscheinlich noch nie eine Rechnung erstellt hat, aber dafür mit asiatisch aussehenden Arbeitern schöne Boote instand setzt. Dazwischen finden sich die Segler, wie wir es sind, die den Luxus genießen, längsseits hinter schützenden Mauern zu liegen, auch wenn bei Wind doch ziemlich Bewegung im Hafen entsteht.
Da es keinen Landstromanschluss gibt, bleiben wir energetisch Selbstversorger. Im Gegensatz zu Faro, wo es im Frühjahr über 10 Tage immer mal wieder eine Zitterpartie war, ob mittels Sonnen- und der Windenergie genügend Strom in die Akkus gelangte, haben wir nun Sommer im Mittelmeer. Kaum eine Wolke stellt sich störend zwischen uns und unseren Energielieferanten. Ich drehe den Baum morgens auf die eine und nachmittags auf die andere Seite, sodass auch das Boot sich selbst keinen Schatten auf die Solarzellen des Deckshauses zeichnet. Zunächst läuft im Vorschiffsbüro energiesparend nur einer von zwei Bildschirmen. Der Inverter, welcher die 220V für den Computer zur Verfügung stellt, wird nach getaner Arbeit immer ausgeschaltet. Wir kommen damit allerdings mehr und mehr auf einen grünen Zweig und auch der Seewind am Nachmittag hilft kräftig mit, sodass wir nach kurzer Zeit sogar nachmittags wieder voll werden. Damit gönne die ich mir dann sogar den zweiten Bildschirm und regel die Kühlung von Gefriertruhe und Kühlschrank nach oben. Dennoch ist mir das Solarpanel auf dem Geräteträger zu klein. Autarkie sollte auch bei weniger als Idealbedingungen möglich sein.
Kulinarisches
Die lokale griechische Küche wird einer intensiven Begutachtung unterzogen. Dabei lassen wir nichts aus. Von veganem fine Dining bis zur rustikalen urgriechischen Taverne für die Einheimischen mit Papptellern ist alles dabei. Warum nun ausgerechnet in Letztgenannter dieses Schild an der Wand hing, wird uns ein Geheimnis bleiben müssen.
Die Stadt ist touristisch und entsprechend vielfältig sind die Angebote. Ich bekomme beinahe täglich meinen griechischen Salat und warte darauf, dass ich ihn irgendwann über habe. Bis jetzt aber noch keine Anzeichen des Überdrusses. Oft kochen wir auch an Bord, versorgt durch frisches Obst und Gemüse vom örtlichen Bauern.
Die Schildkröten
Nach 6 Tagen in unsrem Unterschlupf müssen wir den Clipper nehmen und auf die andere Seite in die Stadt fahren, in die wir ansonsten über eine niedrige Brücke zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen. Unser zuletzt auf Sizilien aufgefüllter 340-Liter-Tank ist nach 9 Tagen leer. Bei wenig sparsamer Lebensweise hält das Wasser 7, wenn wir uns etwas zurückhalten 9–10 Tage. Am frisch renovierten Stadtkai schauen die noch neuen Wasserleitungen zusammen mit dem Strom einfach aus dem Boden, warten auf ihre Einhausung. An manchen von ihnen ist ein Ventil montiert und man kann kostenfrei, falls es kurzzeitig ist, anlegen und Wasser nehmen. Wir bunkern das wertvolle Gut und beschließen dann aber, hier einfach für zwei Tage längsseits liegenzubleiben. Das ist etwas teurer, als römisch-katholisch ein paar Meter weiter, mit nur dem Heck zur Straße, schlägt mit günstigen 13 EUR aber auch nicht allzu schmerzhaft zu buche. Überdies befinden wir uns am Schildkrötenkai, der Attraktion der Stadt. Das Vorhandensein dieser Tiere war neben der geschützten Lage der Bucht und der Nähe zu Sizilien ein Grund, warum ich nach Kefalonia wollte.
Täglich strömen unzählige Touristen an dem Kai entlang. Die Fischer verkaufen Eltern für kleines Geld unverkäufliche Fische, die diese an ihre Kinder zum Verfüttern an die Schildkröten weiterleiten. Ein Schlaraffenland für die majestätischen Schildträger, die hier den ganzen Tag lang dreierlei Köstlichkeiten gereicht bekommen.
Der letzte große Sturm
Nach zwei Tagen ziehen wir uns vor dem turbulenten Leben in unsere ruhige Marina zurück. Wir gönnen uns dieses Mal das T-Stück einer Pier und können so unsere Luken gegen den Wind ausrichten, der auf dieses Weise ab dem frühen Vormittag bis in die Nacht kühlend durch das Boot streift.
Normalerweise sind diese Plätze den größeren Booten vorbehalten und teuer. Wir gönnen uns hier gerne den kostenfreien Luxus. Es wird jetzt immer voller in unserer Bleibe. Das Wochenende soll mit ordentlich Wind daherkommen und der Hafen füllt sich langsam mit Schutz suchenden Booten vom gegenüber offen daliegenden Stadtkai und dem Ankerfeld. Der Wind kommt und geht, alles kein Drama, aber leider ist er auflandig, drückt den Clipper mal wieder heftig gegen die Pier und nach drei Tagen sind die schönen neuen Bezüge wieder stark angegriffen bis zerstört. Ich bestelle seufzend Ersatz. Immerhin ist das nicht ganz so kostenintensiv, wie die Erstbestellung, da das Logo für weitere Aufträge bereits beim Produzenten im Computer abgenommen schlummert.
Andere hatte es da beim Wirbelsturm, der letztes Jahr über die Insel hinweg ging, ganz anders erwischt. Mehrere Boote sollen damals in der Marina zu Kleinholz gehauen worden und gesunken sein. Eines liegt hier immer noch, eine ausgeschlachtete und dann vermutlich aufgegebene Amel, mit einem riesigen Loch in der Seite, wenn ich den Typ richtig erkenne.
Degustation von ionischen Ankerbuchten
Für uns wird es nach zweieinhalb Wochen langsam Zeit zu verschwinden. Es sind noch ein paar Tage, bis wir am 01.09. unseren Herbstliegeplatz auf Korfu einnehmen müssen, um für den September nach Deutschland zurückkommen zu können. Wir wollen uns jedenfalls jetzt nicht hetzen und Puffer ist immer gut. Der Wind am Sonntag soll vielversprechend sein, aber wer weiß, wie es am Ende läuft. Korfu hatte ich bewusst als recht nördlichen Hafen ausgesucht, um möglichst nicht im Weg zu sein, falls ein anderer Medicane auch dieses Jahr meint, sich auf den Weg machen zu müssen.
Für Samstag, den 27.08. hatten wir noch eine Inselrundfahrt vorgesehen, um wenigstens an einem Tag die touristischen Must See der Insel zu besichtigen. Bei Mietwagenpreisen deutlich jenseits von 80 € am Tag lassen wir das aber, gehen stattdessen noch einmal an den Stadtkai um Wasser zu bunkern. Filip kauft noch ein paar frische Lebensmittel,
ich bringe den Müll weg. Anschließend setzten wir die Segel und verschwinden. Zumindest war Segel setzen Teil des Plans, bei den vorhersagen leichten Winden. Wir laufen erst nach Norden, dann in einer Kurve über Backbord nach Süden, aus der Bucht raus und wieder über Steuerbord nach Osten und schließlich Norden. Egal, was wir machen: Der Wind kommt von vorn. Er folgt mal wieder der Küstenlinie, die wir in umgekehrter Richtung befahren und will uns zusätzlich ärgern oder aus einem anderen Grund nicht weglassen.
Keinen Stress ist aber das Motto. Wir haben ja Zeit und wollen jetzt sicher nicht drei Tage ohne Not gegen den normalerweise vorherrschenden Nordwind ankreuzen oder motoren, nur um Strecke zu machen. Also beschließen wir, die Insel unter Motor einfach nur hinauf zufahren und im Norden eine schöne und geschützte Bucht zum Ankern für die Nacht zu nehmen. Die Bucht ist klein, hat hervorragende Bewertungen auf Navily, nicht für viele Boote Platz und zum Glück ist bisher nur eine weitere Yacht vor Anker, was für die Nacht auch so bleiben wird.
Eine schöne Taverne am Berghang mit einem tollen Blick hinunter hat es auch, und so nimmt der Tag nach einem erfrischenden Bad im Meer ein äußerst unerwarteten, aber willkommen, beschaulichen Ausklang bei bestmöglicher Aussicht.
Am kommenden Morgen lassen wir es langsam angehen, warten auf die einsetzende Thermik. Ich bin immer wieder erstaunt, wie klar das Wasser an manchen Stellen, so wie hier, sein kann. Der Ankerkette kann man bis zum Grund hinterher sehen.
Um 10 Uhr geht es weiter. Wir verlassen die Bucht, während gleich drei neue Segler einlaufen, einen Platz suchend. Na, das wird eng! Wir hatten letzte Nacht wirklich Glück.
Ganz gemächlich zieht uns das Code 0 durch den Tag. Der Wind ist schwach, es ist warm und am Horizont beäuge ich misstrauisch die sich auftürmenden Gewitterwolken, die aber brav am Horizont verbleiben.
Als es Abend wird, haben wir zwar einiges an Strecke machen können, müssen aber weiter über Nacht fahren. Rechts ran fahren und für die Nacht ein Zwischenstopp am Festland nehmen ergibt keinen Sinn, da der Winkel zum Wind am nächsten Tag dann Kreuzen unumgänglich machen würde. Also weiter…
Der Wind schläft langsam immer weiter ein und ich suche nach einem geeigneten Ankerplatz, entscheide mich mehrmals um, bis meine Wahl schließlich auf eine von zwei Buchten fällt, die nebeneinander liegen. Ich stelle Filip die Lösung vor und eine von beiden soll es damit werden. Es ist abermals gruselig, im Dunkeln auf eine Küste zuzufahren, dieses Mal ganz ohne Leuchtfeuer oder ähnliche navigatorischen Hilfen, die zusätzliche Sicherheit geben könnten. GPS, elektronische Seekarte, Radar, Sonar und ganz zum Schluss die starke Taschenlampe und gute Augen müssen es allein richten.
Im Näherkommen sehe ich in der Bucht an Steuerbord viele Ankerlichter der dort bereits liegenden Yachten. Die kleinere Bucht an Backbord dagegen scheint leer zu sein, worauf meine Wahl dahin fällt. Ich habe keine Lust, im Dunkeln auch noch zwischen vielen Booten den Ankergrund zu suchen, ständig in der Sorge, jemandem zu nahe zu kommen. Zumal das Abschätzen von Entfernungen im Dunkeln schwerfällt und übermäßiger Platz deutlich vorteilhaft erscheint und ist!
Das Einlaufen in diese Bucht funktioniert gut. Innen angekommen entdeckt Filip eine weitere Yacht, die es nicht nötig hatte, irgendeine Form von Beleuchtung zu führen. Was für ein Wahnsinn. Ein dunkles Loch in der Nacht. Wir werfen in einigem Abstand verärgert das Eisen, der Anker hält und um 02:30 Uhr sind wir fertig für heute und können schlafen gehen.
Am kommenden Morgen und nach erholsamen Schlaf sehen wir uns Auge in Auge mit zahlreichen Campern, die am Ufer um die kleine Bucht ihr Lager aufgeschlagen haben und uns, vor ihren Wohnmobilen sitzend, neugierig anschauen. Währenddessen sitzen wir auf unserem Clipper und schauen ebenso neugierig zurück. Ich fühle mich wie ein Außerirdischer, der über Nacht gelandet ist. Wir schwimmen an Land, machen einen kurzen Strandspaziergang und kehren auf das Boot zurück.
Als wir sehen, dass draußen andere Segler offenbar Wind in die Richtung finden, in die wir auch wollen, ist es mit der morgendlichen Gemütlichkeit vorbei, 4 Minuten später der Anker oben und wir wieder auf dem Weg.
Noch ist ein paar Tage Zeit, bevor wir auf Korfu ankommen müssen. Also nehmen wir uns heute nur eine kurze Strecke vor und visieren eine weitere interessante Ecke mit kleinen Inseln, Buchten und einem Ort Syvota an, von dem ich noch nie gehört habe.
Es handelt sich um zwei Inseln mit Kanälen und vielen Buchten, in denen man mit und ohne Landleine ankern kann. Eine Landleine benötigt man, wenn die Bucht zu klein ist und man das Schwoien des Bootes verhindern muss. Vorn hängt das Boot dann am Anker und achtern ist es über eine Leine mit dem Land verbunden, wo sie um eine Felsen oder Baum gebunden wird. Das Manöver ist aufwändig, man benötigt das Dinghy und eine zweiten Mann, der die Leine an Land bringt und einen Platz dafür sucht, während das Boot auf Position gehalten wird.
Wir steuern auf die Gegend zu und ich bin einigermaßen angespannt, weil ich keine Ahnung habe, wo wir hier nun konkret unterkommen können. Wir prüfen die ersten Stellen, sehen andere Boote mit Landleine daliegen. Mir ist das alles zu umständlich und eng hier, zumal für das erste Mal unter diesem Manöver. Ich fahre aus der ersten Bucht wieder hinaus und sehen ein kleines normales Ankerfeld, wo eine andere Yacht gerade den Anker lichtet. Dann gehen wir lieber hierhin, denke ich, während uns ein Schlauchboot beginnt immer näherzukommen und schließlich verfolgt. We have mooring, free stay for one night no anchor needed, schallte es aus dem Boot herüber. Der Typ im Schlauchboot entpuppt sich als sehr freundlicher und fähiger Marinero der kleinen Steganlage, die zu einem Restaurant mit Strand nebenan gehört. Wenn die nicht ausgebucht sind, arbeitete er offenbar als eine Art Reinzieher von Yachten für das Restaurant.
Absolut Genial! Das erfüllt direkt gleich mehrere Wünsche. Zum einen, den eines unkomplizierten Anlegeplatz: Den haben wir jetzt, sogar einen besonders schönen. Überdies der erste Besuch eines Restaurants, bei dem man nicht mit dem Auto vorfährt, sondern mit dem Boot explizit am Steg des Lokals anlegt, der nur zu diesem Zweck existiert. Für Kroatien gibt es einen ganzen Restaurantführer mit diesen, manchmal sogar ausschließlich auf diese Weise zugänglichen Esstempeln.
Wir legen an und sind in einem kleinen Paradies. Wo wir heute Abend essen werden, ist damit bereits festgelegt. Wir entschließen uns zu einem kurzen Gang in die benachbarte Gemeinde und finden einen sehr touristisches, aber schönes griechisches Dorf am Wasser, mit einem Lokal neben dem anderen.
Nach der Rückkehr verbringen wir einen schönen Abend im Restaurant während wir den Clipper, bestens in Szene gesetzt, permanent so vor Augen haben. Herz, was willst du mehr?
Am frühen Morgen werden wir von schmatzenden Essgeräuschen geweckt. Wir kennen das zwar schon, aber so laut war es selten. Der mittlerweile deutlich sichtbare Bewuchs unter dem Kiel enthält offensichtlich Nahrung für Fische, die diese lautstark zum Frühstück zu sich nehmen. Ich überlege kurz, ob ich mit meinem morgendlichen Kaffee dagegen schlürfen soll, verwerfe den Gedanken aber im Hinblick auf die uns gegenüber ignorante Haltung der Meeresbewohner.
Der Ausblick aus der Mittelkabine auf die kleine Inselwelt vor uns ist allerdings unschlagbar und macht die Mittelkabine zum bevorzugten Ort, den Kaffee zu genießen und den Fischen zuzuhören.
Wir bleiben bis mittags, schwimmen noch ein wenig und frühstücken in aller Ruhe an Bord.
Der letzte Segeltag bis Korfu gegenüber wird nicht weit sein. Wenn wir Wind bekommen, dann nur schwach. Wir richten uns auf ein sehr langsames Vorwärtskommen ein. Kein Stress. Ziel ist die weitläufige Ankerbucht von Korfu Stadt, in der wir zwei Tage bleiben möchten, bevor wir das Boot in der Marina unterstellen werden.
Das Gewitter
Der Wind am Anfang wird immer schwächer, wir schleichen so dahin und ich betrachte mit wachsender Sorge die sich immer weiter auftürmenden Cumulonimbus, die Gewitterwolken, die heute nicht brav am Horizont verweilen, sondern beginnen erkennbar auf uns zuzukommen.
Nach dem, was auf Korsika vor zwei Wochen geschehen ist, weiß ich nicht mehr, wie ich das alles einschätzen soll. Ist es ein normaler Squall, eine kleine Gewitterfront, die vorübergehenden Wind bis etwa 35 Knoten und viel Regen bringt und dann wieder weg ist oder ein ausgewachsenes, schweres Unwetter mit Orkanböen und mehr, das einzig Zerstörung und Verzweiflung hinterlässt.
So geschehen am 18. August 2022, als eine Unwetterfront mit Böen bis 168 km/h keinem der an dem Küstenabschnitt von Korsika ankernden Boote eine Chance ließ. 110 Rettungseinsätze wurden allein für die Sportboote notwendig, von denen die meisten sanken oder auf den Strand gespült wurden. Ich schaute unlängst einige der in dem Unwetter oder danach aufgenommen Videos auf YouTube, als mir der Schreck in die Glieder fährt. Es ist eine Sache, dort nur anonyme, gesichtslose Schicksale in Form von zerstörten Yachten zu sehen. Eine andere aber, plötzlich das Frack eines bekannten Bootes in den Aufnahmen zu entdecken, das entmastet und mit abgerissenem Bug schwer beschädigt gerade noch schwimmfähig ist.
Die kanadische New Vision von Petra und Robert ist es! Die beiden erzählten uns unlängst auf Mallorca, wo wir gemeinsam mit ihnen in ihrem noch intakten Cockpit sitzend den Abend verbrachten, wie sie vor Jahren alles hinter sich ließen, um ihr Leben nun auf diesem Boot zu gestalten.
Filip nimmt Kontakt mit den beiden auf. Sie leben, sind unverletzt, aber traumatisiert. Ihr Reise endete auf Korsika, wo sie auch noch sind, bevor sie bei Verwandten in der Slowakei unterkommen. Die Rückkehr nach Kanada ist im Gespräch, man diskutiert mit der Versicherung die Optionen. Mehr wissen wir nicht. Einen kleinen Eindruck, wie das vonstattenging, kann man in dieser Collage erahnen:
Unser Unwetter wird dagegen wohl deutlich harmloser ausfallen. Es gibt zwischen zwei Zellen sogar eine Lücke. Ich hole vorsichtshalber die Segel ein, binde das Groß auf dem Baum fest und versuche die Lücke zwischen den beiden Zellen zu treffen. Ich drehe dazu nach Süden um. Eine Ankunft mit Ankermanöver, während eines Gewitters mit seinen Böen ist ohnehin nicht beabsichtigt.
Es wird dann kurz bei Böen bis Windstärke 7 und dem einen oder anderen Blitz unruhig. Wir legen unsere Handy in den Backofen, sodass sie bei einem Einschlag in der Nähe überleben. Am Ende alles nicht weiter dramatisch, auch wenn einige Insassen kreative Vorsichtsmaßnahmen ergreifen:
Per AIS kann man das Durcheinander am Ankerplatz vor Korfu erkennen, als die Zelle darüber hinweggeht. Ein paar Yachten, deren Anker nicht hält, nehmen seitwärts Fahrt auf. Eine ist dem Ufer dann viel zu nahe, kommt aber frei und verschwindet Richtung Norden, sehr wahrscheinlich besseren Schutz suchend.
Wir kommen eine Stunde vor Sonnenuntergang am Ankergrund an. Es ist nicht überfüllt und wir suchen uns zunächst einen schönen Platz aus, versenken den Anker, lassen Kette nachlaufen und testen schließlich den Halt, so wie wir das immer tun. Heute wollen wir besonders sicher sein, dass wir guten Halt haben. Vielleicht kommt ja noch ein Gewitter. Wir testen den Anker, indem wir die Maschine rückwärts laufen lassen. Besonders hoch müssen wir nicht drehen und der Clipper bewegt sich bereits Rückwärts. Der Anker konnte sich nicht eingraben. Das Boot zieht die Ketten mit dem auf diese Weise nutzlosen Anker somit hinter sich her.
Das Ganze wird wieder an Bord geholt. Der Anker ist voller Seegras. Kein Wunder, dass er sich nirgendwo eingegraben hat. Das Manöver wird mit dem gleichen Resultat wiederholt. Es ist zum verrückt werden. Ich stehe am Bug und versuche Filip, der achtern am Ruder steht, zu einem Sandfleck zu lotsen, sehe aber keinen. Die Sonne ist fast untergegangen und entweder ist es schon zu dunkel oder es gibt hier wirklich keine sandige Lücke, in der der Anker eine Chance hätte.
So versuchen wir es immer und immer wieder. Einen vernünftigen Plan B gibt es derzeit nicht. Wir fahren so durch das Ankerfeld, als ich tatsächlich etwas Helles unter Wasser schimmern sehe. Da hin, hey, da ist ein Fleck! Ich gestikuliere wild euphorisch in die entsprechende Richtung, Filip beschreibt einen engen Kreis und ich lasse das Grundeisen in sein bevorzugten Ankergrund hinab. Wir testen das Ganze und es hält bis 1.800 U/Min im Rückwärtsgang. Das sollte reichen. Das war der letzte Versuch bei Tageslicht. Aber geschafft! Wir gehen nicht mehr an Land. Genug Aufregung für heute. Ein Abendessen wird es richten, die Stimmung ist gut und wir sind schon mal auf der richtigen Insel angekommen und haben sogar noch zwei Tage Zeit, zumindest die Hauptstadt im Sturm zu erobern. So soll es sein!