27.04. – 02.05.2021
Am Wochenende wird nun endlich klar, dass ab Dienstag, 27.4.2021 der Südwind auf West drehen wird und sich die weiteren Wetterbedingungen fast optimal für die gerade Strecke nach Lanzarote entwickeln. Das Tief, das ein Auslaufen in der vergangenen Woche verhinderte, wird sich abschwächen und der Kern weiter Richtung Spanien ziehen. Dabei beschert es mir auf der Rückseite eine nordwestliche Brise, wie ich sie mir besser kaum wünschen könnte.
Im weiteren Verlauf wird dieses Tief mich mit seiner Tiefdruckrinne noch etwas begleiten und wechselhafte, aber schwach windige Bedingungen um die 10 Knoten (3-4 Bft) fast bis zu den Kanaren schaffen, bis sich gegen Ende das Azorenhoch mit 15 -20 Konten aus Nord durchsetzt. Das Ganze auch noch bei ruhiger See bis maximal 2 Meter, meist aber um 1 Meter.
Diese fast perfekte Wetterprognose in der Tasche machte ich dann Montag morgen meinen PCR Test. Das Krankenhaus hatte schon einen gewissen Ruf, von dem sogar ich mitbekommen hatte, und diesen gedachten sie offenbar energisch auch an mir zu verteidigen. Ich habe mittlerweile ja alle Arten von COVID Tests erlebt, aber dass die das Stäbchen mehr rammen als schieben und man das Gefühl hat, dass es so tief sitzt, dass es bald zum Auge wieder rauskommt, hatte ich noch nicht.
Davon beeindruckt verbringe ich den Tag, zunächst mit etwas glasigen Augen, mit weiteren Einkäufen und Vorbereitungen am Boot und treffe mich abends noch mal mit Claus zum Abschied. Das war mit ihm wirklich eine tolle neue Bekanntschaft!
Am Dienstagmorgen ist es noch windstill, sodass ich mich nicht hetzten muss, da ich nichts verpasse, gut! Vor lauter Vorfreude setzte ich morgens „Papa“ (offizielle Bedeutung siehe Link) an der Backbordsaling, um somit kundzutun, das ich gedenke dieses schöne Fleckchen Hafen heute zu verlassen.
Noch mal den Wassertank bis oben hin füllen, Bargeld holen, die Fender verpacken, die nun so viele Monate unbeschäftigt auf der Steuerbordseite hingen, für den Fall, dass wir einen Nachbarn in der Box bekommen, der aber nie kam.
Ich realisierte, dass ich keine Zwiebeln hatte und setzte nach dem letzten Einkauf gestern noch einen allerletzten oben drauf, irgendwie wird dabei immer der Rucksack voll. Es mussten aber auch noch ein paar Bier für das Einlaufbier mit, sonst kommt es wieder zu so komischen Aktionen wie damals morgens auf Norderney.
Um 11 Uhr bin ich fertig, die Marina ist bezahlt und ich bin ausklariert. Claus hilft beim Ablegen, es geht ein vorläufig letzte Mal unter der Klappbrücke durch.
Ich halte noch mal an der Treibstoffpier und tanke voll. Man weiß ja nie. Auch so ein Punkt. Seit 5 Monaten lag da kaum mehr einer an Rezeptionssteg. In den letzten Tagen füllt sich das Ding immer mehr und an dem Tag, an dem ich nach fast einem halben Jahr mal tanken möchte, hat sich da ein Amerikaner hingelegt. Wir haben uns kurz nett unterhalten, als ich von Einkaufen wieder kam. Er versprach Platz zu machen, was er auch tat. Ich habe keine Ahnung, warum die nicht in die Marina fahren. Ggf. wollen sie nicht, dass es ihnen so ergeht, wie uns.
Ich bin jedenfalls aufrichtig aufgeregt, als es losgeht und ich den Kanal wieder herausfahren darf, den ich in dieser kalten Nacht am 25. November hineingefahren bin. Damals, aufgrund der vorausgegangenen Nachtfahrt, mit den Nerven ein wenig durch und bereit für eine Pause, ahnte ich natürlich nicht, wie lange diese Pause werden würde.
Ich passiere mit einem herrlichen Gefühl die Molenköpfe, fahre langsam die Maschine weiter und weiter in der Drehzahl hoch. Meine Logge, das kleine Schaufelrad unter dem Boot, mit dem die Bordelektronik die dringend benötigte Geschwindigkeit misst, hängt noch. Mein Geschwindigkeitsmesser zeigt 0. Ich versuche sie mittels Wasserdruck, erzeugt durch Geschwindigkeit, sanft dazu zu überreden, aus ihrem Winterschlaf zu erwachen. Zu meiner Freude tut sie das dann auch bald, sodass ich mir dazu nichts einfallen lassen muss.
Ich mache noch ein paar Bilder von den Stränden, die ich in der Zwischenzeit von der anderen Seite kennengelernt hatte und dann kommt es zum Äußersten: Ich setzte die Segel.
1. Seetag (27.04.2021, Etmal: 138 Seemeilen)
Das Segel setzen klappt, scheint wie Fahrradfahren zu sein und es geht mit flotten 5-6 Knoten nach Süden. Zunächst kommt da ein großes Verkehrstrennungsgebiet, durch das in nicht weniger als 5 Fahrspuren alles durch muss, was vom Mittelmeer Richtung Norden oder umgekehrt möchte. Das möchte ich nicht queren, sondern am östlichen Ausgang desselben durch den Verkehr durchschlüpfen. Ich setzte jetzt statt der Genua das große Code Zero, da ich das gerne vor Einbruch der Nacht hinter mich gebracht haben möchte. Mehr mir zur Verfügung stehende Segelfläche geht sinnvoll kaum. Es müsste etwa 10 Stunden dauern, bis ich das hinter mir habe, so riesig ist es.
Der Clipper pflügt mit nun an die 7 Knoten dahin und ich komme so perfekt durch. Mit Einbruch der Nacht habe ich das Gebiet hinter mich gebracht wurde dreimal umfahren und habe einmal etwas mithelfen müssen. Riesenschiffe gehen hier durch, vor mir sah ich sogar die Athem oft Seas, eines der ganz großen Kreuzfahrtschiffe aus den USA.
Leider nimmt mir das Code Zero meine beständig robuste Art, mit ihm umzugehen, mittlerweile sehr nachhaltig übel. Das sensible Leichtwindsegel ist über die Art der Behandlung derart erbost, dass es mir einen kleinen Riss am Hals zeigt, dort wo es am Bugkorb scheuert. Ich nehme es sofort ab. Das ist großer Mist, denn ich werde es vermutlich in 2-3 Tagen wirklich brauchen, wenn ich kaum noch bis 8 Knoten Wind komme. Ich werde einen Segelmacher auf Lanzarote bitten, mit uns eine Paartherapie zu machen und die Sache zwischen dem Segel und mir mit einem Flicken aus der Welt zu schaffen. Ich hoffe es funktioniert, wenn ich mich dann künftig auch anständiger benehme. Später setzte ich es wieder, markiere aber die Ränder des Risses, um zu sehen, ob er sich vergrößert, was er zum Glück nicht tut. Somit setzte ich es weiter ein, auch wenn das Versprechen mit dem Flicken gehalten werden muss.
Um 22:00 wird der Verkehr dann ruhiger, aber leider noch nicht so, dass gar nichts mehr wäre. Die Schiffe, die von Gibraltar kommen und nicht nach Nordeuropa laufen, kommt jetzt durch und halten mich die Nacht auf Trab. Je nach absehbarem Verkehr schlafe ich mal 20 Minuten, mal 40. Immer wieder wird auch das unterbrochen durch den Alarm vom Radar, der mich darüber informiert, dass Radarkontakte in den Zonen aufgetaucht sind, die ich für sensibel halte. Entdeckt das Radar dort etwas, informiert es mich mit einem ekelhaften Piepen und ich kann mir die Sache anschauen. Immerhin sind hier keine Fischer, sondern nur gerade laufende und in ihrem Verhalten sehr vorhersehbare Frachtschiffe!
Aus den Fenstern der Mittschiffskabine habe ich einen tollen Blick auf die See und den abnehmenden Mond. Ich sitze dort nachts immer wieder mal und schaue mir das Spektakel an.
2. Seetag (28.04.2021, Etmal: 114 Seemeilen)
In der Bucht vor Cadiz, wenn man von der Algarve nach Gibraltar direkt und nicht die Küste entlangfährt, gab es tatsächlich mal ein Piratenangriff, der abgewehrt werden konnte. Die Räuber, die mit zwei extrem schnellen kleinen Booten aus Afrika kamen und die Yacht überfielen provozierten zwar eine sehr energische Reaktion mittels Hubschrauber der spanischen Küstenwache, aber dass es dennoch überhaupt vorgekommen ist, ist ein Ausrufezeichen. Man sieht den Eintrag zum Beispiel hier:
Das habe ich im Hinterkopf, auch wenn es auf dem Weg zu den Kanaren noch zu keinem Vorfall gekommen ist. Auf See und Stunden von einer möglichen Hilfeleistung, auch aus der Luft, entfernt, gilt ausschließlich das Recht das Stärken, und das ist in keinem Fall auf meiner Seite.
So beobachte ich in der Nacht zum 2. Seetag einen recht großen Radarkontakt, der kein AIS Signal ausstrahlt, recht schnell ist und annähend eine stehende Peilung von Westen kommend hat, also von Seewärts. Dann teilt er sich auf und ich überlege schon, ob das eine Piratenflottille ist, die weiter draußen nichts gefunden hat und mich nun, hungrig nach Beute, in einer Zangenbewegung einkreist, um das lahme Wild zu erlegen, dass mit 5 Knoten im Vergleich zu Ihnen im Wasser steht.
Da die Kontakte aber dermaßen groß sind und aus der falschen Richtung kommen, wechsle ich schließlich mal auf in den Wettermodus des Radars, das für Squals und anziehende Regen- und Gewitterfelder optimiert ist. Siehe da, das ist ein Regenschauer, der da schließlich hinter mir vorbeiziehen wird und keine Piratenflotte. Ich entscheide, dass der Alarm, der mich so 20 Minuten meines Schlafs gekostet hat, dennoch hilfreich ist. Denn wenn so was über mich hinwegzieht, ist es natürlich auch hilfreich der Böe nicht die volle Genua zu präsentieren.
Nach einer nicht so schlimmen Nacht graut dem Morgen, als ich mich schließlich von meiner Bank erhebe. Der erste Kaffee in der Plicht entschädigt für alles. Es ist jetzt schon ein herrlicher Tag, die See hat nicht mal einen Meter, der Wind kommt mit 3-4 Windstärken von der Seite, das ist selbstgemachte Kreuzfahrt pur.
An der Steuerbordsaling hatte ich gestern das Flaggensignal „Papa“ abnehmen wollen, dabei harkte die Leine, ein Knoten löste sich und ein Ende der Flaggenleine rauschte mir aus, sodass ich statt zwei, nur noch ein Ende der Leine in der Hand hielt. Nicht weiter tragisch. Da das andere Ende der Leine glücklicherweise mit einer Schlaufe oben fest hing, habe ich heute gute Chancen das mit dem Bootsmannshaken wieder einzufangen. Der erste Versuch am Vormittag scheitert, da genau hinter der Saling mit dem losen Ende die Sonne steht. Ich sehe nichts und verschiebe das Ganze auf den Nachmittag. Trotz des ruhigen Wetters gehe ich nur angeleint nach vorne, kein Risiko.
Ich klappe die ersten drei Maststufen aus, nehme mein Bootsmannshaken und entere zwei Metern nach oben, mache mich lang, bekomme die Schlaufe zu fassen und ziehe sie runter. Nachdem ich wieder beide Enden der Flaggenleine in der Hand halte, überlege ich kurz, ob ich jetzt mit Boris Herrmann auf einer Stufe stehe, der sich im Südpolarmeer selbst 30 Meter in den eigenen Mast hoch gezogen hatte, um dort unter Höhenangst ein Fallenschloss zu reparieren. Ich entscheide, dass die Parallelen mit dem potentiellen Vorhandensein von Höhenangst bereits enden und verwerfe den Gedanken wohlwollend.
Ich setzte wieder den Trans- Ocean Stander und darunter das Flaggensignal „1“. Das ist ein weißer Wimpel mit einem roten Punkt drinnen und sieht dadurch ein bisschen aus, wie die japanische Flagge als Wimpel. Es symbolisiert, dass man Einhand Unterwegs ist. Claus hatte mich in Lagos mehr scherzhaft darauf gebracht. Ich entscheide, dass wer so bescheuert ist, vor Auslaufen auf einer Segelyacht „Papa“ zu setzten, auch die „1“ setzten kann, da er schon lange auf diesem Niveau ist und ziehe das Ding gleich mit hoch. Verzeihung, selbstverständlich hisse ich „eins“ unter dem TO Stander an der Backbordsaling.
So geht der Tag dahin. Um 12 Uhr mache ich mein erstes Etmal (Tagesdistanz von Mittag Vortag zu Mittag aktueller Tag) und komme auf stolze 138 Seemeilen. Um 13 Uhr hole ich mir mit meinem Iridium GO! meine 17388 bytes große Wetterdatei ab die keine wesentlichen Veränderungen für die kommenden Tage vorhersagt. Sehr gut.
Ich mache mir einen großen Wirsingeintopf, höre Musik, Verkehr ist nun kaum noch vorhanden, so halte ich ein Mittagsschläfchen, das nicht unterbrochen wird und beschließe, das der Tag so weitergehen darf.
Der Aktive Radarreflektor „Echomax“
Ich bin nun so alleine hier draußen, dass ich eine sehr angenehme Zusatzfunktion des an Bord befindlichen aktiven Radarreflektors „Echomax“ in Betrieb nehmen kann.
Radarstrahlen werden durch Gegenstände, am besten durch große glatte und senkrechte Metallwände, zurückgeworfen. Holz reflektiert sehr schlecht, Kunststoff und Segel auch nicht gut. Da das eigene gesehen werden eine Frage des Überlebens auf See ist, haben fast alle Yachten einen Radarreflektor am Mast, der das eigene Echo verstärken soll. Meistens ist dieser passiv. Das bedeutet, dass er aus einer wabenförmigen Metallform besteht, die die Radarstrahlen eines anderen Schiffes optimal einfangen und zurückwerfen soll. Manche der passiven Anlagen sind von sehr zweifelhaftem Ruf und man ist sich bei einigen Anlagen nicht sicher, ob sie abseits der Werbung überhaupt einen Unterschied machen.
Optimal ist die aktive Variante. Man fängt den Radarstrahl damit auf und sendet das empfangene Signal aktiv als Antwort zurück. Das erzeugt ein Echo, dass sicher auf dem Schirm der sendenden Radaranlage gesehen wird. Zusätzlich kann man am Echomax eine Funktion aktivieren, die bei Empfang eines Radarstrahls einen recht lauten Piepton erzeugt. Damit weiß man in einsamen Gegenden, dass ein Radar in der Nähe ist, lange bevor man auf dem eigenen Radar oder dem AIS einen Kontakt bekommt, also ein ausgesprochenes Frühwarnsystem. Ich war bislang nur in Seegebieten, die genug Verkehr hatten, dass der kleine Kasten in einer Tour gepiept hat. Seit heute Nachmittag bleibt es aber still und ist damit aktiviert und nutzbar. Es ist neben AIS, Radaralarmsektoren und Ausschau halten das vierte System, dass mich über eine Annäherung informiert und somit Schlafphasen erlaubt, die länger als 15-20 Minuten sind. Perfekt ist es natürlich auch nicht. Die Segelyacht, die mir in 10 Meilen Abstand gerade entgegenkommt, hat ihr Radar nicht an oder ist gar nicht damit ausgestattet, sodass der Kasten davor nicht warnen kann.
Das Gleiche passiert später mit zwei Frachtern, die mich in der Mitte durchlassen. Die Antenne drehte zumindest bei einem, den ich durch das Fernglas sehen kann. Aber ggf. strahlten beide zu diesem Zeitpunkt nicht. Also auch keine absolut sichere Sache, was auch immer der Grund war. Aber sie haben dafür beide aktives AIS, was Pflicht in der Berufsschifffahrt ist, sodass ich ihr Symbol mit Kurs, Fahrt und Namen auf meinem Plotter habe, so wie sie mich auch orten werden.
Der Tag klingt mit einem wunderschönen Sonnenuntergang bei ruhiger See und nur wenig Bewölkung aus. Ich setze mich auf das Vorschiff, lehne am Mast und lassen die Sonne zu einem Earl Grey untergehen. Dann mache ich den Clipper für die Nacht klar: setzte die Positionslichter, dimme den Plotter runter, stelle die Farbpalette auf „Nacht“, Kompassbeleuchtung an und schaue das nichts rumliegt. So geht es in die zweite Nacht.
Gegen 2300 Uhr dreht der Wind und kommt nun genau von achtern. Das Groß schlägt immer wieder und das ganze Boot ist unruhig. Ich berge das Groß und die Genua und setzte das Code Zero als alleiniges Segel, was die Sache sofort sehr angenehm und ruhig gestaltet. Zwar bin ich so nicht auf maximaler Geschwindigkeit, aber durch die Nacht komme ich so besser.
3. Seetag (29.04.2021, Etmal: 111 Seemeilen)
Ich habe im Prinzip keinen Schiffsverkehr mehr um mich herum und dehne meine Schlafphasen auf 45 Minute aus, purer Luxus. Am Morgen genieße ich den ersten Kaffee im Cockpit, bevor ich neben dem Code Zero noch die Genau setzte und ausbaume, so dass sie stehen bleibt. Bis kurz nach Mittag halte ich mit dieser klassischen Passatsegelstellung durch. Aber der Wind wird immer schwächer und ich drohe zunehmend aus dem Ruder zu laufen, kann meinen Kurs bei der niedrigen Fahrt nicht halten. Der Atlantik hat zwar nur kaum einen Meter Welle, aber wenn ich dazu querkomme, ist es dennoch einen elende Schaukelei, während ich auf der Stelle stehe. Also berge ich alles und starte die Maschine, die mir bis in den späten Nachmittag nun Vortrieb geben muss.
Dabei produziert sie neben Strom auch warmes Wasser, das ich für eine Dusche nutze. Genug Wasser habe ich für diesen Luxus dabei und genieße denselben.
PAL
Bislang habe ich auf der Fahrt keine Tiere gesehen. Einzige Ausnahme war eine große Schildkröte, die um eine kleine Holzplatte herum paddelte, die im Wasser schwamm. Erst sah ich missbilligend die Palette, dann erfreut die Schildkröte. Die beiden hatten sich vielleicht angefreundet und ich hätte sowieso nur gestört.
Die letzten Orca-Vorfälle gab es in der Straße von Gibraltar. Man könnte meinen, die Orcas sind uns hinterher geschwommen. Tatsächlich folgen die allerdings dem Tunfisch, der so im Jahreswechsel um die iberische Halbinsel zieht, wie wir das auch gemacht hatten.
In einem der zahlreichen Mikro-Seminare des TO wurde ein Gerät erwähnt, dass von dem Kieler Meeresbiologen Boris Culik zur Verringerung von Beifang konstruiert wurde. Es handelt sich dabei um den sogenannten PAL (siehe Link für genauere Informationen), der den Warnton von Schweinswalen auf 133 kHz bzw. die Warnsignale verschiedener Tierarten, wie bei meinem Gerät, imitiert und diese somit von Fischernetzen fern hält.
Dieses Gerät soll auch die Orcas vergraulen. Zumindest wollen wir das mal versuchen. Ich habe dieses spindelförmige Wal-Warngerät also gekauft und hatte in der Sicherheitskontrolle am Flughafen dem halbwegs entsetzten Sicherheitsmann einiges zu erklären, der das mit sehr spitzen Fingern aus meinem Gepäck fischte, um es sodann auf Sprengstoff zu untersuchen.
Normalerweise wird das PAL an einem Scheerbrett hinter hergeschleppt, dass es unter Wasser hält, oder am Kiel bzw. Ruderblatt befestigt. Das Scheerbrett war zum Zeitpunkt meiner Abreise noch im Test, sodass ich nur den PAL selbst habe, den ich am Bootsmannshaken festgebunden habe, um das bei Bedarf unter Wasser zu halten, wo es sich durch das Wasser von selbst aktiviert.
Die Wirksamkeit kann ich eigentlich auch nur so für mich und den Hersteller testen. Erst mal muss was da sein, um dann bei Einsatz des PAL zu verschwinden. Wir werden sehen. Die Schildkröte war zu schnell vorbei, als das ich ein Bild machen konnte und in der Folge gab es keine weitere Sichtung von Tieren jedweder Art.
Der 3. Seetag war ruhig, der Höhepunkt war die Dusche und die Sonne in Verbindung mit dem ruhigen Meer. Richtig schön wurde es aber erst, als sich gegen 17 Uhr eine leichte Brise einstellte, sodass ich den Motor ausstellen konnte. Das Ding ist doch praktisch, aber es tut jedes Mal so unendlich gut, wenn der Krach wieder aufhört. Ich habe meinen eReader neu entdeckt und finde endlich wieder die Muße, ein Buch zu lesen.
4. Seetag (30.04.2021, Etmal 125 Seemeilen)
Die Nacht war sehr ruhig. Ich komme jetzt langsam aus dem Einfluss der Tiefdruckrinne heraus und in den Bereich des Azorenhochs, dass mich moderat Richtung Süden pusten soll. Aufgrund der vorhergesagten Windrichtung plane ich etwas um und gehe von meiner geraden Strecke Richtung Nordspitze Fuerteventura weg und etwa 20° mehr nach Westen auf Kurs 220°. Wenn der Wind, wie vorhergesagt, aus etwa 030° kommt, will ich ihn nicht genau von hinten, sondern etwas von der Seite haben, um auf die Weise leicht vor dem Wind zu kreuzen und am Ende einen Kurs halten können der etwa 180° beträgt. Ich bin gespannt, wie das funktionieren wird.
Am Morgen stellt sich ein leichter Landregen mitten auf dem Atlantik ein, der den Wechsel der Wettersysteme verkündet und mir bei schließlich völliger Windstille die Scheiben vom Salz befreit. Ich sitze drinnen, im Trocknen und schaue mir das mit einem Gefühl von geborgener Behaglichkeit an.
Ich rolle die Genua auf, stelle das ohne Wind nutzlose Groß mittschiffs und fahre mit 1.400 Umdrehungen weiter, auf den neuen Wind wartend.
Gegen 12 Uhr mache ich zwei Bilder: Das linke Richtung Osten, wo sich das Tief nun endgültig schmollend zurückzieht und rechts genau zur selben Zeit der Blick nach Westen, wo das Azorenhoch seinen Stammplatz wieder einnimmt und das letzte beide zusammen auf einem Bild. Es passiert nicht viel in diesen Tagen, so dass sonst Belangloses zur kleinen Sensation wird.
Das Warten auf den neuen Wind dauert dann leider deutlich länger als gedacht. Erst gegen 16 Uhr kann ich die Maschine endlich wieder abstellen. Ruhe. Erleichterung! Was dann folgt, ist das Durchprobieren der kompletten Segelgarderobe, mit Ausnahme der Arbeitsfock, was jetzt die beste Kombination am Segeln ist, um den angekündigten stärker werdenden Wind von Achtern am besten in Geschwindigkeit umzusetzen. Am Ende bin ich genau da, wo ich angefangen hatte. Mit dem Code 0 und sonst nichts.
So lasse ich es dann auch für die Nacht. Viel mehr Wind wird es die kommenden 6 Stunden wohl nicht geben. Aber die Wellen wachsen im Laufe der kommenden Stunden auf 2 -3 Meter und das Boot rollt teilweise erbärmlich. Ich bin eingegroovt genug, dass ich das in sitzender oder halb liegender Position eher angenehm finde. Nur das sich durch das Boot Bewegen ist so mühsam. Ich will spätestens morgen früh Halsen und auf den angestrebten Südkurs wechseln.
Als Sundowner nehme ich heute Abend erneut einen Earl Grey, allerdings bleibe ich bei dem Gerolle mal drinnen. Warm ist es durch den Wind draußen auch nicht, auch wenn es toll aussieht
5. und letzter Seetag (01.05.2021 mit der Nacht zum 02.05.2021, mit etwa 100 Seemeilen)
Das Wetter bleibt jetzt, wie es ist. 2-3 Meter Welle von hinten und 10-20 Kts aus der gleichen Richtung. Der Wind hatte tatsächlich in der Nacht immer weiter recht gedreht (im Uhrzeigersinn) und zwischen 4 und 5 Uhr morgens konnte ich dann die Halse machen, indem ich das Code Zero einmal aufrollte, den Kurs um 60° nach Backbord ändere und das Segel auf der Steuerbordseite wieder ausrollte. Fertig.
Das hatte sehr gut funktioniert, sodass ich bei auch teilweise zunächst nur 10-12 Kts aber leicht raumen Wind und dem großen Segel immer noch 5-6 Knoten Fahrt machte. So viel kann ich gerade nicht falsch gemacht haben, ich bin mit meinem kleinen Wetterrouting zufrieden.
So bricht der Morgen an. Die Berufsschifffahrt nimmt langsam wieder zu und ich nehme aber noch 2 weitere 30 Minuten Schläfchen nach Sonnenaufgang. Das Ausschlafen eines Einhandseglers. Es geht Kurs genau Richtung Süden. Filip schreibt mir heute Morgen über Satellit, dass er mich auf MarineTraffic schon wieder sehen kann. So weit kann es dann ja nicht mehr sein. Die letzten Tage lag morgens jeweils ein vertrockneter Tintenfisch auf dem Oberdeck, der sich in der Nacht dorthin verirrt hatte. Heute Morgen waren es sogar zwei. Ich habe keine Vorstellung, wie die es zu mir rauf schaffen. Jedenfalls müssen sie wieder gehen, und das ohne den Umweg über den Kochtopf.
Ich mache mir ein gemütliches kleines Frühstück 2-3 Kaffee und setzte mich langsam mit dem Umstand auseinander, dass ich den Hafen „Marina Lanzarote“ bei Arrecife erst weit nach Mitternacht, also im Dunkeln anlaufen werde. Mit dem Revierführer und den Karten mache ich mir einen Plan, wie ich das umsetzten möchte. Es gibt im Prinzip drei Herausforderungen:
- Der den Hafen schützende Wellenbrecher wird laut Revierführer durch Aufschüttung von Steinen verlängert und man sieht ihn noch nicht komplett an der Wasseroberfläche. Ich muss also bei der Einfahrt auf jeden Fall die davor warnenden Kardinaltonnen finden und beachten und darf keine Abkürzungen fahren (Tatsächlich ist der Revierführer älteren Datums und die Mole fertiggestellt)
- Es gibt einen betonten Kanal, der durch den Industriehafen in die Marina führt. Der ist teilweise beleuchtet, aber die Funzeln wollen auch vor dem Hintergrund eines Hafens und einer Stadt erkannt werden. Es wird wieder auf eine Mischung von Plotter, Schauen und Radar hinauslaufen. Wenn die drei Dinge zueinander logisch passen, ist alles gut.
- Nach dem Kanal muss ich die Rezeptionspier finden, und in dessen Nähe das Boot zum Anlegen klarmachen (Fender, Leinen, ggf. Sorgeleinen), denn vorher ist ggf. keine Zeit dazu.
Alternativ überlege ich, ob ich vor dem Hafen auf See beidrehen sollte, um das Tageslicht abzuwarten. Leider komme ich mal wieder mitten in der Nacht an und das Tageslicht wäre nur 2-3 Stunden entfernt. Ich mache das von meinem Zustand abhängig und möchte das kurz vorher entscheiden.
So geht es weiter. Auf der Karte sind die vorgelagerten Inseln von Lanzarote schon in greifbarer Nähe und ich werde entsprechend ungeduldig. Zum einen stellt sich für mich heraus, dass ich mit der Zeit und mir alleine auf dem Boot mitten auf dem Atlantik gut zurechtkomme. Zum anderen ist der Sinn des Losfahrens: das Ankommen. Somit werde ich immer ungeduldiger und freue mich darauf, mit Einlaufen das auch wahr werden zu lassen.
Ich mache mir eine Kopie der Lage der Feuer in der Hafeneinfahrt, um bei Bedarf ein Backup zu haben. Auf dem Plotter muss man sich durch Menüs quälen, will man die Information zu den Feuern sehen, um sie unterscheiden zu können (Farbe, Frequenz etc.). Das ist mir zu umständlich, ich will die Information kurzfristig und ohne Fummelei verfügbar haben und klebe sie mir kurzerhand gegen die Scheibe, wie ich das mit den Schleusen- und Brückeninformationen in den niederländischen Kanälen gemacht hatte. Außerdem markiere ich Rot und Grün mit eben jenen Textmarkern, was sich als nur bedingt hilfreich herausstellt, da ich das mit Rotlicht beleuchte (Weiß wäre viel zu hell) und ich damit die Farben natürlich nicht richtig wahrnehmen kann.
Der Tag besteht dann fast komplett aus einer elenden Schaukelei. Die Dünung kommt, ähnlich wie der Wind, von schräg Achtern und hebt mich mit seinen 2-3 Metern recht regelmäßig zur Seite, während der raume Wind immer weiter zunimmt und in Böen 6 Windstärken erreicht. Der Autopilot surft unter der gesetzten Genua (das Groß habe ich probiert, aber lasse es wohlweislich nun unten) die Wellen. Ich schaukel mich so durch den Tag und die anbrechende Nacht. Festhalten ist die oberste Prämisse und es kommt zu häufigen Remplern zwischen dem Boot und mir. Das lautstarke Zurechtweisen der Wellen meinerseits hilft nichts. Die See ist bekanntlich gleichgültig, selbst wenn sie relativ zahm, wie heute, ist.
Es geht erneut in die Nacht und die Stunden ziehen sich. Ich bin in Küstennähe und an Intervallschlaf ist nicht zu denken. Zum Glück bin ich aber auch aufgekratzt genug, dass ich nicht müde werde. Somit fällt die Entscheidung, auf direktem Weg und ohne Halt in den Hafen zu fahren.
Das gelingt problemlos. Ich versuche erneut, mit der IR Kamera irgendetwas Brauchbares auf den Plotterbildschirm zu bringen, das mir die Orientierung erleichtert. Das funktioniert aber wieder nicht. Plotterkarte und Leuchtfeuer tun aber ihren Dienst auch alleine und ich komme ohne besondere Vorkommnisse in den industriellen Vorhafen. Dort mache ich treibend den Clipper mittels Fendern und Leinen landfein und fahre weiter durch den Kanal in die Marina, die auf meine UKW Rufe relativ erwartungsgemäß nicht reagiert. Somit gehe ich vor der Treibstoffpier längsseits und bin nach knapp 600 Seemeilen um 4 Uhr morgens ….. fest!
Ich verkünde den sozialen Medien meine Ankunft und freue mich über die Reaktionen, schlafe 1,5 Stunden, werde durch einen irrtümlichen Telefonanruf geweckt, schlafe noch mal eine Stunde und stehe auf. Der Marinero kommt um 8 Uhr vorbei, wir machen ein bisschen vorläufigen Papierkram, da hier heute Feiertag ist. Ich parke den Clipper mit seiner Hilfe und mit reichlich Wind von der Seite um, in meine finale Box, wo er jetzt in den heulenden Böen an seinen Leinen ruckt, während ich letzte Hand an diesen Blogpost lege.
Vor dem Verholen in die Box hatte ich allerdings noch heimlich den Stander „Eins“ wieder von der Saling entfernt. Auf See war das noch irgendwie lustig, hier empfinde ich es jetzt nur noch peinlich.
Ich habe immer noch Hummeln im Hintern und will den Blog schreiben, den ich auf der Fahrt weitestgehend vorbereitet hatte. Das hält mich aber bis zum späten Nachmittag weiterhin vom Schlafen ab. Ich bringe das hier nun erst mal zu Ende, nehme dann ein Nachmittagsbier und verhole mich gleich darauf in meine Mittschiffskabine. Morgen ist normaler Arbeitstag, auch für mich, aber an einem neuen Ort.
Es war ja nicht geplant zu den Kanaren zu segeln. Dennoch macht gerade das den Reiz für mich aus und ich bin sehr glücklich, das so abweichend vom Masterplan gemacht zu haben. Ich will in Arrecife bis Mittwoch bleiben, dann in die Marina Rubicon im Süden der Insel verlegen. Am Samstag geht es dann zur Nachbarinsel Fuerteventura, wo ich am Sonntag Filip vom Flughafen abhole. Mal schauen, wie lange wir auf den Kanaren bleiben. Es gibt keine konkreten Pläne, außer, dass es irgendwann dann doch in Richtung Mittelmeer gehen soll. Jetzt sind wir aber erst mal hier.
Prost, und gute Nacht erst mal.
Lieber Matthias,
danke für die wunderschönen Bilder, Videos und Erzählungen. Ich freue mich für Sie, dass Sie ein gewisses Maß an Freiheit genießen können.
In Heidelberg und Mainz sind die Innenstädte so gut wie tot und die Freiheit wird gerade abgeschafft.
Aber auch an der Uni Heidelberg geht man mit den Stäbchen gern bis ins Gehirn. Ich schreie jeweils wie am Spieß, um Ihnen wenigstens ein schlechtes Gewissen zu machen.
Weiterhin schöne Reisen und Abenteuer
Ute
Hallo Ute,
danke für Ihre Anteilnahme und das Feedback.
Ja, die aktuell notwendigen Einschränkungen machen es schwierig und brachten mich erst auf die Kanaren. Allerdings hatte ich mich tatsächlich gefragt, ob ich das Risiko in einer Pandemie für mich und andere überhaupt auf mich nehmen soll. Dafür spricht, dass ich ja weitestgehend isoliert bin, bei dem was ich tue. Dennoch bin ich Reisender und habe damit potenziell etwas im Gepäck, was mich und andere in schwere Probleme bringen kann. Deswegen habe ich keinen Groll gegen die Einschränkungen in den jeweiligen Ländern und mache, was ich darf.
Ich hatte in diesem Blogpost vergessen noch mal zu schreiben, dass ich den PCR Test dieses Mal nur für mich gemacht hatte. Ich muss bei 5 Tagen ohne medizinische Versorgungsmöglichkeit das Risiko so klein wie möglich halten, dass ich den Virus trotz aller Vorsicht mit nehme und zum Beispiel am 3. Tag mitten auf dem Atlantik Fieber oder Ähnliches bekomme. Selbst Hilfeleistung auf See durch andere Schiffe wäre unter diesen Umständen äußerst schwierig.
Deswegen bin ich dankbar, dass ich die Möglichkeit zum PCR Test hatte und sogar sehr dafür dankbar, dass er auch gründlich gemacht wurde, auch wenn es kurz unangenehm war. In der Beschreibung im Blog konnte ich mich nicht zurückhalten, das auch bei dem ernsten Thema ein wenig lustig darzustellen. 🙂
Liebe Grüße
Matthias
Hallo Matthias,
Da bin ich ja froh bist Du so gut angekommen. Einhand so ne Strecke … aber ja, das Wetter hilft dem Tüchtigen 🙂
Ich hab’s jetzt mit einer Nachfahrt Fr/Sa auch nach Plön geschafft, was aber auf der Autobahn deutlich weniger entspannt ist. Aber nun hier, wir sind dir also mit knapp 1 Jahr Abstand auf den Fersen!
Toll dass Du so zeitnah und detailliert berichtest, ist ja schon fast wie eine Liveübertragung …. hoffentlich kannst Du Dich genügend ausschlafen bevor der Wecker klingelt morgen.
Liebe Grüsse, Gilles
Danke Gilles,
…das Wetter ist mit dem, der sich die Zeit nimmt und geduldig darauf wartet 😉
Ausgeschlafen habe ich mittlerweile, aber ich freue mich schon auf die kommende Nacht durchschlafen. Ich denke, das war ein angenehmer Tag in Plön, nun beginnt das üble Warten. Aber schön, dass du mit liest!
Eine kurze Zeit bis zur Auslieferung wünsche ich!
Viele Grüße
Matthias
Hallo Matthias
Es ist immer wieder ein Genuss, Deinen spannenden und atmosphärisch so schön „down-to-water“ Blog zu lesen! Es ist ja fast wie wenn man selbst dabei wäre.
Laut MarineTraffic hast Du nun auch die Marina Rubicon wohlbehalten erreicht und vielleicht auch schon einen Sundowner in der ONE Bar genehmigt?
Beste Grüsse, weiterhin safe travel und immer eine Handbreit…
Thomas
Hallo Thomas,
ich bin in der Tat, nach herrlichen 3 Stunden bestem Halbwindsegeln, jetzt in der Mariña Rubicon, von der ich mir einiges versprochen hatte.
Leider ist hier alles zu, da keine Touristen da sind. Auch die ONE Bar war gestern jedenfalls zu meinem großen Bedauern zu.
Ich werde davon im nächsten Blogpost berichten, muss jetzt aber erst mal wieder Material sammeln.
Danke für dein nettes Feedback!!!!
Viele Grüße
Matthias