20.5. 2024 – 15.06.2024
Die einbrechende Nacht in der Bucht hinter St.Tropez präsentiert die beeindruckende Gartenbeleuchtung eines Anwesens, dessen Haus man nur schemenhaft sehen kann. So ähnlich würde das bei mir auch aussehen, denke ich mir verträumt. Vielleicht sogar noch etwas bunter, zum Leidwesen meiner nächsten Umgebung, die diese Farbenspiele meines Smarthomes so gar nicht goutieren möchte, wo jede Ecke eines Zimmers majestätisch in einer anderen Farbe erstrahlt. Ich gehe ins Bett. Die Nacht wird trotz des vorhandenen Windes außerhalb der Bucht sehr ruhig. Wir liegen hervorragend geschützt und fühlen uns entsprechend.
Während wir am nächsten Morgen die Küste entlangsegeln, gibt der Blick von See das eine oder andere weitere Anwesen an der Küste frei, dessen jeweilige Finanzierung wahrscheinlich eher nicht dem lokalen sozialen Wohnungsbau zuzuordnen ist.
In diesen Wochen haben wir keine langen Segeltage. Wir hopsen in kurzen Sprüngen diese Küste entlang, kein Schlag ist länger als ein paar Stunden. Filip gefällt das sehr, diese französische Küste wird in diesen Tagen zu seinem absoluten Favoriten aufsteigen, während ich die Gegend gar nicht als Destination auf dem Zettel hatte. Ich dachte, es wäre viel teurer hier und daher unerträglich. Da muss ich mich aber, zumindest für die Vorsaison, korrigieren. So scheint es aber nicht nur mir zu gehen. Wir sehen nur sehr wenig nicht französische Boote. Während wir in Griechenland oder an der Atlantikküste einen stetigen Mix aus allen möglichen, meist europäischen Nationen antreffen, finden wir hier an der Küste im Vergleich nur sehr wenig Fahrtensegler.
Das nächste Ziel ist heute eine Marina, die sich ihren Namen mit der Region teilt, in der sie liegt: Bormes Les Mimosas, wo wir am Pfingstmontag, dem 20.5., mit reichlich Rückenwind ankommen.
Der Anleger gelingt ähnlich wie der letzte in Cogolin. Ordentlich Seitenwind, etwas Schlepperhilfe, ein professioneller Marinero von Land und nach einem gelungenen Manöver fallen sich alle herzhaft schluchzend vor Erleichterung um den Hals. Man ist von der Charterkundschaft alles gewohnt, vermutlich deswegen die Reaktionen. Die Filmrechte diesen epochalen Ereignisses werden derzeit noch verhandelt.
Wir sind nun also hier am Pier festgebunden, ich schaue mich um und fühle mich fast wie zu Hause.
Da stehen doch genau gegenüber ein Frankfurter und ein Wiesbadener, während wir mit unserem Mainzer Kennzeichen nun für die andere Rheinseite anfangen zu werben. Etwas weiter steht noch ein Mannheimer Auto.
Beim ersten Gang durch den Ort stellt sich heraus, dass alles voller Deutscher ist. Ein riesiger Campingplatz um die Ecke ist fest in teutonischer Hand und für die Kunden der paar hier ansässigen Charterboote gilt Ähnliches.
Immer noch warte ich dringend auf mein Ersatzteil für den Außenbordmotor. Am Dienstag nach Pfingstmontag meldet sich die Firma Bootspunkt aus Deutschland, die nun meine Rettung für die defekte Leiterplatine sein soll, nachdem der österreichische Versandhändler nach wie vor komplett versagt und sich weder zu meiner letzten Mail äußert, also entweder Rückabwicklung oder neue Versandadresse, geschweige denn etwas versendet.
Bootspunkt aus Deutschland kann per GLS Express versenden, wenn ich vor 13 Uhr zusage und das Geld per Paypal überweise. Das ist leider nicht sehr schnell. Während bei den großen Integratoren wie UPS, DHL-Express etc. der Express deswegen so teuer ist, weil der Hauptlauf meist geflogen wird, wird bei GLS durch den Express lediglich die Weiterverladung auf den nächsten LWK in den Hubs garantiert, in denen das Paket umgeschlagen wird.
Ich habe keine Alternative und mache, worum ich gebeten wurde, gegen 9:30 Uhr. Bis 11 Uhr höre ich nichts und denke mir, ich frage mal, ob das dort alles auf den Weg gebracht wurde. Der Mitarbeiter ist überrascht und ich froh, dass ich noch mal nachfasse. Dennoch habe ich hier einen deutlich kompetenteren Ansprechpartner. Mit der prognostizierten Laufzeit wäre das Teil vielleicht sogar noch rechtzeitig bis Montag / Dienstag kommender Woche hier, um die dann notwendige Fahrt mit dem Dinghy zu ermöglichen. Wir werden sehen. Das Teil geht tatsächlich noch am selben Tag auf die Reise und ich verfolge fortan über das Tracking seine Reise durch Deutschland und Frankreich.
Nach meinem umfangreicheren und im letzten Blogpost beschriebenen Instandsetzungsarbeiten habe ich nun so ein irritierendes Gefühl, dass ich die Liste gerne weiter abarbeiten möchte, diese aber leer ist. Zumindest die Liste mit den Dingen, die ich selbst mit Bordmitteln dringend machen kann oder aktuell will. Die Marina ist allerdings weitläufig, ein klein wenig außerhalb, wir liegen mal wieder am entferntesten Punkt, direkt bei der Einfahrt links und wir wollen uns aber die Gegend über den Ort hinaus weiter erschließen.
Also benötigen wir die Fahrräder und da hat eines zum Glück mal wieder einen Platten, womit ich von meinem Wartungsentzug herunterkomme. Es geht ans Werk. Die Räder leiden leider heftig in der Backskiste. Ich hatte es versäumt, diese voreinander gut zu schützen, sodass sie dort, nebeneinander gelagert, gegeneinander arbeiten konnten und sich der Lack an manchen Stellen aufgerieben hat. Flugrost bildet sich nun vor allem an diesen, aber auch anderen Stellen. Ich versuche jetzt mit einem WD40 Film Schlimmeres zu verhindern und flicke den Reifen.
Den Ort Bormes Les Mimosas, auf dem Hügel und eine gute halbe Stunde mit dem Fahrrad entfernt, ist wunderschön.
Mit den Fahrrädern erklimmen wir den Berg und besuchen das Heimatmuseum, welches für mich neue Maßstäbe setzt, wie man mit iPads und Software aus einem eher kleinen Museum ein riesengroßes Erlebnis macht. Die ganze Gegend ist nicht arm an Schönheit, was gut erklärt, warum die Leute hier in ihrem Urlaub herkommen.
Am Freitag muss Filip, wie bereits länger geplant, für ein paar Tage nach Deutschland. Ich bleibe in der Zeit auf dem Boot und warte auf Familienbesuch. Mein Freund Michael ist mit seiner Familie für eine Woche in der Nähe von Antibes im Urlaub und da knapp zwei Stunden Fahrzeit noch im akzeptablen Bereich sind, kommen sie mich für einen Tagesausflug mit dem Boot besuchen. Genau dafür soll der Dinghy Motor wieder funktionieren. Der Versand aus Deutschland bewegt sich langsam aber steig in meiner Richtung. Aus Österreich keine Information, was schiefgelaufen war und immer noch schiefläuft und auch keine Antwort oder Lösungsvorschlag. Ich habe sie ohnehin abgeschrieben, um das Geld kümmere ich mich später.
Den Besuch zum Anlass nehmend, mache ich mal wieder Großreinschiff und bringe den Clipper in einen präsentablen Zustand. Also wird innen etwas intensiver als normal geputzt, während es außen hauptsächlich an den Edelstahl der Reling und des Geräteträgers geht. Das wiederum versuche ich erstmals mit meinem neusten Experiment. Ich hatte das Zeug in einer Whatsapp Gruppe meines Seglervereins Trans-Ocean aufgeschnappt: Universalstein
Auf der Boots-Messe in Düsseldorf waren die auch. Der Vortrag, dass man im Prinzip alles reinigen kann, hörte sich an, als sei das der größte Hokuspokus. Ungiftig, entfernt jeden Schmutz und ist natürlich ganz einfach. Nur mit einem Schwämmchen ein paar mal darüber und sauber. Egal, was: Boot, Küche, Bad, interstellares Raumschiff. Alles geht.
Ob Messing oder Edelstahl mit der dieser Paste geputzt wird, es endet doch immer in diesem stundenlangen und ermüdend wiederkehrenden Polieren über das Metall, bis es im optimalen Fall wie neu aussieht. Ich mache mich also skeptisch an die Arbeit und staune. Zumindest den Flugrost bekommt man damit wirklich deutlich besser vom Metall, als mit der Polierpaste. Die Rostnasen auf dem GFK gehen hervorragend weg. Ich bin beeindruckt. Auf die Art macht das sogar Spaß. So etwas hätte ich mal bei der Marine gebraucht.
Das Zeug ist wirklich gut. Es stellt sich allerdings heraus, dass man sehr ordentlich nachspülen muss. Solange es feucht ist, sieht man nicht, dass noch von dem Pulver auf dem Material ist. Getrocknet wird es dann sichtbar. Auch bin ich mir nicht sicher, wie vorsichtig man damit sein muss, wenn es auf das Plexiteak kommt. Das scheint den Dreck auch ohne Reiben da herauszuziehen, was dann saubere Flecken im normal gealterten Deck hinterlässt. Ich beobachte das noch etwas, aber für den Moment bin ich mit dieser Errungenschaft ziemlich zufrieden.
So arbeite ich mich fasziniert über das Boot, in halb gebückter Haltung. Der Rücken zieht immer mehr. Ich achte nicht darauf. Will immer mehr Metall vom Rost befreien, gehe auf im Fluss meiner Arbeit. Also weiter. Das eigene Boot in einen besseren Zustand zu bringen, verbindet mich mit ihm und bereitet mir Befriedigung. Zwischendurch radle ich immer wieder zur Wäscherei, wo zwei Maschinen voll Klamotten in Arbeit sind. Danach wird der Clipper noch mal komplett abgespritzt, bis wirklich alles sauber ist. Der größte Teil des Tages ist mit solcherlei Arbeit angefüllt und produktiv, aber körperlich anstrengend.
Als ich fertig bin, bekomme ich die Quittung für die beim Putzen gezeigte Körperhaltung. Immer deutlicher meldet sich der Rücken und aus dem anfänglichen Zwicken wird ein schöner Hexenschuss. Laufen geht so gut wie gar ich mehr. Das restliche Wochenende verbringe ich fast ausschließlich liegend und fühle mich sehr, sehr alt. Am Mittwoch soll unser Ausflug stattfinden, so legen wir uns fest und ich erhole mich glücklicherweise langsam.
Am Montag traue ich meinen Augen kaum. Das Ersatzteil für den Außenborder aus Österreich ist nun ohne weitere Nachricht, geschweige denn Erklärung, doch an UPS übergeben worden und hat seinen Weg nach Frankreich angetreten. Per UPS Express reist es mit hoher Geschwindigkeit zu einem Ort, an dem wir schon seit einer Woche bekanntermaßen nicht mehr sind. Ob mich das Teil nun erreicht oder nicht, ist diesem Kerl offensichtlich vollkommen egal. Dass der Express überhaupt keinen Sinn mehr ergibt, scheint zu viel Vorstellungskraft zu kosten. Ich verzichte weiterhin auf nutzlose Kommunikation mit patzigen Antworten und frage Michael, ob er das Ding auf dem Weg, einen kleinen Umweg in Kauf nehmend, mitbringen kann. Das wird er tun.
Am Dienstag kommen dann schließlich Michael, seine Frau Stefanie und die beiden Kinder Lilly und Lasse und dem kleinen WauWau mit eigener Schwimmweste zur Familienfahrt, einen neuen TransOcean Wimpel und die Platine für den Motor unter dem Arm an Bord.
Der Witz des Tages ist es jetzt, dass beide Platinen am selben Tag ankommen werden. Die Lieferung aus Deutschland ist ebenfalls heute in der Zustellung, aber bislang nicht da. So hat es auf dem letzten Meter die Lieferung aus Österreich doch noch ein paar Stunden vorher als Erstes an Bord geschafft, auch wenn das absolut nicht deren Verdienst ist und mich die Umstände des Transports, nennen wir es mal aufwühlen.
Durch den Umweg und einen Unfall mit Stau auf Michaels Strecke ist es schon spät. Nach der obligatorischen Sicherheitseinweisung verlassen wir unter Motor den Hafen. Das Ziel wird eine Ankerbucht auf der Insel Port-Cros sein, die eine Stunde entfernt vor der Küste liegt. Ich hatte schon lange nicht mehr so viele Leute an Bord. Keiner ist Segler, was alle erst mal zu Passagieren macht und mich extra fordert. Wir haben vermutlich leider den ganzen Tag keinen Wind, sodass alles unter Motor abläuft, was ich einerseits recht bedaure, was aber andererseits auch unbestreitbar Vorteile hat, gegenüber einer Fahrt unter eher raueren Bedingungen. Nichts legt sich also im Wind auf die Seite, nichts stampft. Alles schön harmlos und magenfreundlich.
Ich verplappere mich so mit meinen Gästen, dass ich erst nach einer Stunde, mit Einlaufen bemerke ich, dass die Fender noch draußen hängen. Nicht so wichtig, aber bemerkenswert. Dann geht es ans Ankern. Ich sehe die Sandflecken von meinem Platz aus dem Cockpit, wo der Anker hereinmuss. Auch auf dem DownVision Sonar sind sie zu sehen. Allein den Anker interessiert das nicht, er will sich einfach nicht eingraben. Vorführeffekt. Der zweite und der dritte Versuch scheitern. Dreifacher Vorführeffekt. Passiert, brauche ich heute aber wirklich nicht. Meine unerfahrenen Passagiere werden sich denken: Was macht der denn da? Die restlichen Ankerlieger verlieren schon bald das Interesse an dieser Art Hafenkino.
Ein kleines Motorboot verlässt die Bucht und bietet uns die Mooringboje an, an der sie gelegen hatten und die nun frei wird. Ich nehme dankbar an. Doch selbst hier scheitern die ersten Versuche. Vor ein paar Wochen hatte ich noch ein doppelt so schweres und fremdes Boot im Tidenstrom des Solent, nur unter Segeln und in einer stressigen Prüfungssituation perfekt im ersten Versuch an so einer Mooring zum Stehen gebracht. Heute will ich es nun schnell machen, weil ja ohnehin kaum Wind und wenig Strömung da ist und schmeiße kurzerhand einiges über Bord, dass zu einem gelungenen Manöver gehört: Ordentlich gegen den Wind anfahren, sich Zeit lassen, Konzentration.
Die Konsequenz folgt auf den Fuß: Wir benötigen erneut mehrere Anläufe, bis das Ding endlich an Bord ist. Michael steht vorn und versucht die Schlinge der Mooring zu angeln, an die ich zu defensiv heranfahre. Ich gehe zu ihm und versuche zu helfen, während aber die Maschine versehentlich nicht komplett ausgekuppelt ist, sodass der Clipper nicht zum Stehen kommt. In der Folge ziehen wir uns die Leine der kleinen Boje einmal unter dem Rumpf durch, ich schlage mir fast die Brille vom Kopf in dem Versuch sie doch noch festzuhalten und bin am Ende noch froh, dass ich die Mooring nicht noch obendrein mit der Schraube durchgeschnitten habe. Wir sind dann schließlich fest und ich denke mir leise meinen Teil über mich zu mir selbst, ärgere mich leicht.
Es ist schön hier. Michael hilft bei der Installation des Sonnenschutzes für das Cockpit. Anschließend nehme ich die Pinne des Außenborders auseinander, um die neue Platine einzusetzen.
Die Operation gelingt und der Motor besteht den Funktionstest! Es war alles andere als ausgemacht, dass das wirklich so gut funktionieren wird. In zwei Fahrten wird nun zum Strand übergesetzt, um eine kleine Wanderung zur nahen Burgruine zu machen, die man leider nicht betreten kann, wie wir erst vor Ort herausfinden.
Wir bleiben noch ein wenig in der Bucht und fahren gegen Abend weiter in den Hafen von Port-Cros zum Dinner. Der Anleger wird auch hier zum Vorführeffekt. Den einfachen Platz, den ich mir aussuche, belegt kurz darauf jemand anderes mit reichlich Hilfe vom Steg, während wir noch das Boot zum Anlegen fertig machen. Schade, wir hätten uns einfach nur gegen einen Nachbarn in Lee legen müssen, um in Ruhe fest machen können.
Uns bleibt ein komplizierterer Platz, weiter im innen am Steg. Obwohl wir den ganzen Tag im Grunde kein Wind hatten, bläst er nun halt doch schwach von der Seite. Obgleich die anderen Segler vom Steg bei dem einfachen Anleger unseres Platzwegnehmers im Pulk standen und anpackten, kommt nun leider keiner. Dann muss es eben so gehen. Ich bitte Michael auf der Leeseite, die Leine um den Poller zu bekommen, an den ich in Luv stehend rückwärts heranfahre, während der Bug bereits vertreibt, bis wir nahezu längsseits am Steg liegen. Mir ist es fast egal. Sieht so krumm aus, wie es ist, ist aber sicher, auch wenn ich mir das zugegebenermaßen gerne vollendeter gewünscht hätte, insbesondere vor heimischem Publikum. Ich versuche Michael und Lasse noch ein wenig einzuweisen, die entsprechend schnell lernen, aber eben noch nicht so unterstützen können, wie Filip das automatisch tut. Es kommt dann doch noch jemand, der von Land hilft, die zweite Leine annimmt und insbesondere endlich die wichtige Mooringleine übergibt, die ich mit dem Bootshaken zu fassen bekomme, nach vorn zum Bug führe und diesen nun zum Wind ziehen kann, sodass wir rechtwinklig liegen. Nun gibts noch ungefragt die Höchststrafe vom späten Helfer, der mir noch den tollen Tipp an die Hand gibt, immer zuerst die luvseitige Leine zu belegen. Ach was! Ich ignoriere das nicht mal, um es mit Karl Valentin zu sagen.
Wir machen stattdessen etwas Sinnvolleres und gehen erst einmal in einer Bar einen Sundowner trinken.
Anschließend ein Stellungswechsel in ein schönes Fischrestaurant, wo wir den Abend in dieser lauschigen kleinen Bucht auf dieser kleinen Insel genießen und beschließen.
Der Weg zurück findet dann im Dunkeln statt. Meine Passagiere sitzen im Salon, Michael steht neben mir im Cockpit und wir blicken weitestgehend schweigend in die Nacht, während wir so dahin motoren.
Die Marina erreichen wir kurz vor Mitternacht, in der ich vor der Abreise heute Vormittag ausgecheckt hatte, womit ich hier keinen Liegeplatz mehr habe. Mir ist der Hafen mal wieder und schon seit einigen Tagen zu eng. Nur mein Hexenschuss hielt mich die Woche davon ab, mich schon früher auf einen Ankerplatz zurückzuziehen.
Heute Nacht solle es aber so weit sein. Ich quetsche den Clipper problemlos auf eine kleine freie Ecke am Hafeneingang, mache zum Aussteigen längsseits mit zwei Leinen fest und denke mir noch: Mein Gott, geht doch! Wir sagen uns auf Wiedersehen und die Müllers fahren zurück in ihr Urlaubsdomizil. Ich hatte mich sehr auf diesen Besuch gefreut und bin froh, dass das geklappt hat, obwohl wir schon so weit von Antibes weg sind.
Ich, nun wieder alleine mit mir und meinem Clipper, verlasse den Hafen umgehend, bevor mich noch ein Marinero als Falschparker erwischt und suche mir um die Ecke mein schönes Fleckchen in der Dunkelheit, wo ich den Anker zu Wasser lasse. Trotz der späten Stunde darf es noch ein Ankerbier sein. Ich genieße nun nach dem willkommenen Trubel des Tages die Stille der Nacht und gehe wenig später zufrieden zu Bett.
Es wird Mittwoch und am Donnerstag, dem 30. Mai werden sowohl Filip als auch der nächste Mistral nach Bormes zurückkommen. Um ich mich gleichzeitig für ersteren erreichbar zu machen und vor letzterem verstecken zu können, geht es also morgen doch wieder in den Hafen. Noch kann ich aber die Zeit auf dem Wasser genießen, mache noch ein paar Drohenaufnahmen vom Boot und einem Teil des großen Campingplatzes, die ich hier völlig ungeschnitten teile, falls es jemand interessiert.
Danach wechsle ich den Ankerplatz und lege mich schon mal vor die Marina Le Lavandue, nachdem ich auf dem Weg an der Tankstelle der alten Marina anlege, den Dieseltank vollmache und das GLS Päckchen mit der zweiten Platine aus dem Hafenbüro abhole, die ja gestern noch zugestellt wurde. Diese geht nun zu den Ersatzteilen und ich kann das Kapitel hoffentlich abschließen.
Meinen Ankerplatz suche ich mir anschließend zwischen den anderen Booten und einer Menge Bojen, die hier ausgelegt sind und die ich grundsätzlich verstehe, hier aber auch teilweise nicht. Bojenpaare, wie eine Straße angelegt, führen vom Strand zur See und sind Wege für Motorboote, um sich dem Strand zu nähern. Sie dürfen diese Straßen in Strandnähe nicht verlassen und Schwimmer sollten nicht hinein, was sehr dabei hilft, als Schwimmer nicht skalpiert zu werden. Soweit verständlich und auch anderswo anzutreffen.
Die großen gelben Tonnen, die parallel zum Strand liegen, verstehe ich hier nur bedingt. Normalerweise schützen sie die Schwimmer ebenfalls und man darf dort von See aus nicht hinein, es ist ebenfalls der Schwimmbereich. Hier hält sich nur keiner dran und die meisten Ankerlieger befinden sich zwischen diesen Tonnen und dem Strand. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas in Frankreich nicht wenigstens gelegentlich mal kontrolliert wird. In Italien ist man in der Durchsetzung dieser Zone dermaßen robust, dass man sich nur mit Mühe davon abhalten kann, sofort das Feuer zu eröffnen.
Ich halte mich jedenfalls frei von dem Weg zum Strand und lege mich an einen schönen freien Platz, weit weg von allem und lasse in bereits auffrischendem Wind reichlich Kette zu Wasser. Der Anker hält sofort super. Den Tag verbringe ich so, arbeite im Vorschiffsbüro und genieße ansonsten mein Einsiedlerleben.
Später schaue ich auf die Karte und sehe, dass ich, rein nach Tonnen, anderen Ankerliegern, Sandstellen und Tiefenlinien schauend, jedenfalls nach Seekarte genau über einer Pipeline geankert habe, die vermutlich Abwasser ins Meer leitet. Hier ist natürlich Ankern aus naheliegender Grund streng verboten.
Verjagt hat mich bisher keiner und ich beschließe, es jetzt so zu lassen. Das kostet mich allerdings eine unruhige Nacht und ich male mir die Dinge aus, wie sich morgen der Anker in der Pipeline verfängt oder das bereits getan hat, weil er doch so toll hielt. Ich bekomme den Anker dann nicht mehr an Bord, muss ihn mit der Kette ausrauschen und durch einen Taucher bergen lassen. Währenddessen wird die Pipeline beschädigt und ganz Südfrankreich kann meinetwegen nicht mehr aufs Klo gehen kann, nur weil ich das kaputt gemacht habe.
Nun gut, am nächsten Tag funke ich die Marina an, ob ich auch vor 12 Uhr schon hineinkommen kann. Der Wind frischt jetzt schnell auf und der Mistral kündigt sich auch schon durch besonders fein geschliffene Wolkenränder nebst ansonsten klaren Himmel an.
Ich habe keine Lust, um 12 Uhr bei 25 Knoten alleine römisch-katholisch anzulegen. Besser um 9 Uhr bei 10–15 Knoten. Die haben damit kein Problem, der Platz wäre frei und ich hole ganz normal den Anker und fahre zum Hafen. Verrückt mache ich mich ja gerne mal und bei nährender Betrachtung war vermutlich die Position der Pipeline in der Karte falsch und der Bojenweg vom Strand auf See die Pipeline, die hier schließlich auch in einem Steinhaufen endet und eben nicht in einer Charterstation für Motorboote. Somit war vermutlich alles in Ordnung.
Die neue Marina, genau gegenüber der Alten, wird nun den Ort etwas näher haben, hat dafür aber auch einen 5 EUR teureren Liegepreis. Beim Einparken gab es keinerlei Hilfe von der Marina, der Liegeplatz ist direkt am Eingang und bei dem später einsetzenden Starkwind ziemlich ungeschützt. Einen besonderen Anschluss für wirklich gutes Trinkwasser und einen separaten für das normale Putzwasser gibt es hier im Gegensatz zur alten Marina Bormes la Mimosas auch nicht. Warum es dennoch etwas teurer ist, erschließt sich mir nicht. Dafür helfen aber Andrea und Nico vom deutschen Nachbarboot, gegen das ich mich beim Anlegen problemlos lehnen kann und die ich dann abends zu mir auf ein Bier einlade. Wir sind schön am Erzählen, als Filip die Pier entlang geschlendert kommt, als käme er gerade zurück vom Supermarkt und nicht aus Deutschland.
Gemeinsam verbringen die kommenden zwei Tage hier, während der Wind die kleinen Wellen gegen den Clipper schlägt, bis der durch die Gischt vollkommen versalzen ist.
Am 01.06. beruhigt sich das Wetter, womit Filip und ich zunächst hinüber auf die östlichste Insel der Îles d‘Hyeres fahren. Die Île du Levant ist fast vollständig militärisches Sperrgebiet. Nur auf der westlichsten Spitze gibt es einen kleines Naturistenresort, das wir in einem Tagesausflug besuchen. Der Anker fällt hier auf einem der wenigen Sandflecken und hält dort sofort hervorragend, auch wenn man hier keinerlei Schutz vor Wind und Wetter erwarten braucht. Die Insel selbst hat nur eine ungeschützte Anlegestelle für die Fähre.
Auf dem Küstenwanderweg kommen wir auch an einem gestrandeten Motorboot vorbei. Da der Anker noch an Bord ist und es vorn noch die Überreste eines gerissenen Tampens auf der Klampe belegt hat, gehe ich davon aus, dass es sich während des letzten Mistral von einer vermeintlich sicheren Mooring losgerissen hat. Kein schöner Anblick.
Über Nacht will ich so ungeschützt und potenziell unruhig nicht liegen bleiben. So fahren wir nach dem Abendessen wieder in den schönen Hafen von Port Cros, wo wir wiederum drei Tage bleiben und Nico, Andrea und ihren kleinen Toni wieder sehen.
Kurz vor deren Ankunft erleben wir noch die spektakuläre Landung eines Rettungshelikopters, der das Mitglied einer Tauchergruppe versorgt, die schon auf den Heli warten.
Ganz schön was los hier, am Tage. In der Nacht ist es aber angenehm abgeschieden und sehr ruhig. Filip und ich wandern am kommenden Tag einmal um die kleine Insel. Abends sitzen wir gemeinsam in einer der Bars mit Nico, Andrea und dem kleinen Toni.
Schließlich trennen sich unsere Wege, aber wir werden uns im Winter in Mainz wieder sehen, wenn Nico mit seiner Band Vereinsheim im KUZ auftreten wird. Wir sind schon gespannt.
Die Temperaturen sind Tag und Nacht äußerst angenehm und nichts im Vergleich zu den zermürbenden Bedingungen in Griechenland letztes Jahr. Wir haben Zeit und tingeln nun zwischen den Inseln und dem Festland hin und her, genießen das Leben. Nach Port Cros segeln wir so am 03.06. zur nächsten Insel und schauen uns Porquerolles an. Von der Marina der Inselhauptstadt aus kommt man zur Villa Carmignac bzw. der Fondation Carmignac, einem sagenhaften Bau, der ein Kunstmuseum beherbergt, das man nur barfuß besichtigen kann.
Am 04.06. legen wir uns dann in die wunderschöne Bucht La Courtade, die allerdings jetzt schon hauptsächlich tagsüber recht voll ist. Zur Hochsaison ist das sicherlich noch mal schlimmer. Hier entsteht auch das Promo-Video zu diesem Blogpost.
Eine Nacht später verlegen wir, der wechselnden Windrichtung Rechnung tragend, an den Plage de Badin der sich an der Halbinsel südlich von Hyères befindet. Auch hier flüchten wir nach einer ersten ruhigen Nacht, als wir am Nachmittag unheilvoll festlich gedeckte Tische am Strand entdecken und man die wuchtige Musikanlage einem dezenten Soundcheck unterzieht, in dem man aufdreht und schaut, ob überall am Strand die Sandkörner zu springen anfangen. Als das der Fall ist, gilt der Soundcheck als bestanden, auch wenn kleine, durch die Druckwelle verursachten Tsunamis, den Strand zu fluten beginnen. Es sieht von Weitem nach einer Hochzeitsgesellschaft aus und an unserem neuen Liegeplatz ein paar Kilometer weiter nördlich, vor dem kleinen Ort Porte de La Capte, hören wir die Musik nachts immer noch gut genug. Die vor Ort verbliebenen Ankerlieger haben in dieser Nacht sicherlich keinen Schlaf!
Der Clipper liegt hier sicher am Anker. Somit können wir eine Tagestour in das überraschend schöne Hyres, wo man an den Straßen etwas ganz Besonderes findet:
Das ist eine Moskitofalle, die aus einem Trichter ein Misch aus CO₂ und einem Duftstoff wegbläst. Durch diesen leichten Luftstrom fliegen die unsäglichen Viecher in das Gerät hinein und bleiben dort. Das ist zwar aufwendig, wirkt aber und trägt wesentlich dazu bei, nicht nur die Mückenplage spürbar zu reduzieren, sondern auch die invasive Asiatische Tigermücke einzufangen, die mit ihren üblen Krankheitserregern nicht nur kleiner als der normale Moskito ist, sondern perfider Weise auch nicht diesen hellen Ton aussendet, der oftmals die letzte Warnung vor dem Stich ist. Bei so viel Heimtücke erfüllt mich der Anblick dieses schweren Geräts gegen den kleinen, aber gefährlichen Gegner mit grimmiger Genugtuung.
Bereits am 08.06. nutzen wir den nächsten Ostwind in einem etwas größeren Schlag, um nach La Ciotat zu gelangen, das für seine große Werft bekannt ist, die Megayachten fast jeder Größe bedienen kann.
Der Ort ist super. Klein und etwas, aber nicht zu viel touristisch, mit einem schönen alten Hafen. Der alte Hafen hat für uns leider keinen Platz, sodass wir aber im neuen Hafen unterkommen. Hier ist als Besonderheit die Kaimauer dermaßen niedrig, dass man geradezu auf das Boot aufsteigt, statt wie sonst herunter.
Wir genießen hier die paar Tage, warten den nächsten Mistral ab und besuchen von hier aus mit dem Zug Toulon, das ich mir ebenfalls deutlich hässlicher vorgestellt hatte. Gegebenenfalls war es das auch, als ich vor etwa 30 Jahren mit Zerstörer Rommel hier war. In jedem Fall komme ich im Hafen beinahe voll auf meine Kosten. Riesige Fähren, ein Flugzeugträger, Segler.
Herz was willst du mehr? Ja, vielleicht das Marinemuseum mal zur Abwechslung nach all der Kunst? Das ist leider heute geschlossen, genau wie die Seilbahn wegen des starken Mistral. Damit sind unsere beiden Höhepunkte der Reise zwar nicht verfügbar, wir haben dennoch einen tollen Tag in Toulon und gehen ins … Kunstmuseum.
Filip liest, dass Cassis das St.Tropez für den armen Mann sei, dass sich hier direkt hinter dem nächsten Cap befindet. Also buche ich dort ebenfalls für zwei Tage, bevor wir dann mit dem obligatorischen wieder kurz einsetzenden Ostwind bis nach Marseille wollen, wo ich uns ebenfalls bereits einen Platz gesichert habe.
Cassis ist tatsächlich sehr touristisch und deutlich überlaufender, als es La Ciotat war. Billig würde ich es auch nicht nennen wollen, aber es ist natürlich finanziell freundlicher als St. Tropez. Die pure Anzahl an Restaurants hier ist beeindruckend, die Abwesenheit der Edelboutiquen nicht störend.
Wir bleiben zwei Nächte und nutzten den Tag dazwischen zu einer ausgedehnter Wandertour durch die für das Mittelmeer seltenen Fjorde, genauer gesagt kleine Schluchten. Dazu laufen wir bewusst erst um 16 Uhr los, um der ärgsten Hitze des Tages zu entgehen.
Der erste Fjord ist zu einer Marina umfunktioniert. Alle weiteren sind Naturschutzgebiet. Man darf sie zwar befahren, aber nicht mehr Ankern oder Fischen. Einige Segler verleihen ihrem Unmut hierzu in Foren so deutlich Ausdruck, dass es mir ziemlich auf die Stimmung schlägt, als ich diese dumpfe Meckerei darüber lesen musste, dass man zulasten des eignen Amüsement im Zerstören der Umwelt eingeschränkt wurde. Man ergeht sich völlig enthemmt und unreflektiert über die vermeintlich so inkompetenten Politiker. Menschen können schrecklich sein, insbesondere auf diesem mittelalterlichen Markplatz, Internet genannt.
Die Schluchten von oben im Rahmen einer Wanderung und ohne Ankerlieger zu betrachten ist dagegen wunderschön. Wir sind auf dem Rückweg und Filip möchte noch einen Abstecher an den Strand machen. Ich wünsche ihm dabei viel Vergnügen, glaube allerdings nicht, dass dort bei dem gegenwärtigen auflandigen Wind und gegen 19 Uhr noch viel los sein kann. Mehr noch will ich aber wieder zurück aufs Boot, ich bin ziemlich müde. Wir haben heute einiges an Höhenmetern gemacht und ich habe mich nicht unwesentlich dabei investiert.
So falle ich also nach der Rückkehr nur noch im Salon auf die Couch und bewege mich keinen Millimeter mehr. Ich habe mich immer noch nicht bewegt, als Filip vom Strand kommt, an dem tatsächlich nichts los war. Ich bin vollkommen fertig. Ich bin derart erschöpft, wie es die Wanderung alleine nicht erklären kann. Als ich mich schließlich aufraffe, um einen Wechsel ins Bett zu vollziehen, bekomme ich überraschend Schüttelfrost. Ich habe Fieber!
Das bleibt auch bis zum kommenden Morgen, allein ich habe keine Chance. Hier müssen wir jedenfalls weg und nach Marseille mit dem heutigen Wind hin. Der Platz dort ist reserviert und wir sind gerade mal überhaupt nicht flexibel. Die nächsten Wochen sind komplett durchgetaktet. Wir haben uns einen tollen Plan zurechtgemacht, was wir an der französischen Küste die kommenden 4–6 Wochen noch sehen wollen, bevor es in großen Schritten Richtung Algarve geht. Der Plan ist gemacht, Orte auf der Karte markiert und alles schön unter die Schutzfolie des Salontisches drapiert.
Auf dem Weg ist alles bereits reserviert, das Wetter passt so weit man es sehen kann. Für Zipperlein ist kein Platz! Ich schleppe mich also kurz vor dem Mittag zum Marinabüro, um zu bezahlen. Ich war so lange wie möglich im Bett geblieben, auf nicht eintretende Besserung hoffend. Die ganze Pier ist wieder voll mit Blaulichtfahrzeugen, schon wieder ein Taucherunfall!
Sollte ich hier und jetzt umkippen, wäre das unter den Augen des gesamten Rettungspersonals die beste Gelegenheit, denke ich mir noch, erreiche jedoch den Clipper unbeschadet, woraufhin wir auf den letzten Drücker um 12 Uhr ablegen. Der Marinero hatte bereits zweimal gefragt, wann wir gehen und will den Platz sicherlich gleich wieder vergeben. Ich fahre noch aus dem Hafen, was dann für den Teil meine letzte Amtshandlung gewesen ist. Filip muss jetzt ran und nach Marseille segeln. Das tut er dann auch bei erneut kräftigem Rückenwind, während ich im Salon liege und versuche mich mit guten Ratschlägen zurückzuhalten, da diese von meiner Gegenseite nicht so gerne entgegengenommen werden.
Als wir dann um Cap Croisette biegen, liegt Marseille vor uns. Jetzt hält mich auch kein Fieber mehr auf der Bank. Die Ansteuerung ist interessant und abwechslungsreich. Wir passieren Château d‘If, in welchem Dumas seinen Romanhelden Edmund Dantes, den späteren Grafen von Monte Christo 14 Jahre lang inhaftierte, bevor dieser seinen Rachefeldzug beginnen konnte.
Vorbei an großen Wellenbrechern fahren wir bald darauf in den majestätischen alten Hafen von Marseille. Die Einfahrt ist über die Maßen beeindruckend, mit ihren massiven Festungen weit oben Back- und Steuerbord, die immer noch drohend hinabblicken
Dieser äußerst günstig gelegene, riesige Naturhafen strotzt nur so vor Geschichte und Geschichten. Bei Weitem nicht alle sind gut. So war hier ein großer Galeerenstützpunkt. Galeeren waren zu der Zeit der Rahsegler eine gefährliche Waffe, da sie auch bei Flaute beliebig manövrierfähig waren und somit unter den richtigen Bedingungen sogar den großen, schwer bewaffneten Linienschiffen sehr gefährlich werden konnten. Das große Gefängnis für die armen Teufel, die auf diesen Schiffen zum Rudern verurteilt waren, steht heute noch düster dreinblickend am Hafen. War man erst auf einer Galeere, kam man aufgrund der bestialischen Bedingungen dort lebend meist nicht mehr herunter. Der Häftling war an seinen Platz gekettet und ruderte dort. Alles andere, was man im Leben auch unter den primitivsten Bedingungen so machen muss, wie Essen, Trinken, Schlafen und Toilette, fand ebenfalls an diesem Platz statt. Von der Kette kam man dafür nicht, es sei denn, man starb. Von dieser Option wurde auch reichlich Gebrauch gemacht, zumal schwere Misshandlung an der Tagesordnung war, mit deren Hilfe der exakte Ruderschlag produziert wurde. Es müssen Zustände gewesen sein, die man sich nicht vorstellen kann. Kam der Wind aus der Richtung eines solchen Gefährts, stank er erbärmlich.
So fiebere ich beim Einlaufen durch meine Gedanken, wir machen an dem Willkommenspier fest, melden uns an, verholen den Clipper anschließend an seinen endgültigen Platz, der hier in Marseille mit kräftigen 55 EUR pro Tag zu Buche schlägt. Das soll uns aber von diesem kurzen Aufenthalt nicht abhalten. Mit 39 °C ins Bett legen hätte ich mich allerdings überall anders günstiger. Jedenfalls bekomme kalte Wickel gemacht und beginne Paracetamol 1000 zu mampfen.
Während ich so daliege, macht mich ein infernalischer Krach und ein seltsames LaLaLaLaLi – LaLaLaLaLu Singsang noch obendrein vollkommen fertig. Wie sich später herausstellt, liegen die Zimmermädchen mit der sie beschäftigenden Hotelkette im Disput. Um was es genau geht, weiß ich nicht. Die Beschäftigten zeigen jedenfalls ihren Arbeitskampf dadurch an, indem sie täglich vor dem Hoteleingang sitzen, auf Topfdeckel schlagen, mit einem Megafon Sirenengeräusche produzieren, und diesen Singsang dazu geben. Der Tisch mit Essen und Trinken sollte ein paar Tage später verschwinden, und dafür aber große Menge an Dreck dazu kommen, der nebst beschmierten der Scheiben des Eingangs täglich hinterlassen wird. Es ist mir vollkommen unbegreiflich, wie sie das selbst aushalten. Jeden Tag. Ich werde bald darauf dahin gehend Opfer des Stockholm-Syndroms, bei dem sich das Entführungsopfer mit den Entführern solidarisiert, indem mir ab 10 Uhr etwas fehlt, wenn der Krach bisher nicht angefangen hat. Er kommt dann aber bald, ich werde selten enttäuscht. Im Anschluss reinigen die nicht streikenden Hotelbeschäftigten den ganzen Bereich, was ebenfalls jeden Tag etwa 3 Stunden in Anspruch nimmt, aber nicht so viel Krach macht. Die Situation hier im Video ist noch aus den ersten zivilisierten Tagen.
So dämmere ich etwa drei Tage dahin, während es mir allerdings täglich langsam besser geht, nichts ahnend, wie unplanmäßig lange der Clipper, mit und ohne uns, in diesem Hafen wird bleiben müssen. Noch liegen, wir statt an einem Ankerplatz oder auf offener See, im Herzen einer Großstadt, die wir uns langsam beginnen zu erschließen.