Der Wecker klingelt Montagmorgen um 06:30 Uhr auf der zum Wohnschiff gewordenen ursprünglichen Segelyacht Clipper. Ich stehe relativ zügig auf. Die kräftige Dieselheizung hatte das Boot schon vor einer Viertelstunde per Timer auf eine gemütliche Temperatur gebracht, was dieses Vorhaben deutlich vereinfacht. Nachts kühlt es immer noch auf etwa 10-12 Grad ab, aber wenn das Boot erst mal warm ist, kann man sie auch schon wieder ausschalten. Ab etwa 10 Uhr übernimmt dann die Sonne den Job, die die Tage an der Algarve bereits Frühlingshaft und zeitweise sogar Sommerhaft werden lässt, jedenfalls gemessen an dem, was man darunter üblicherweise in Deutschland versteht.

So schleiche über das Bad in den Salon, setzte mir Wasser für einen ersten Kaffee auf. Während ich auf das Kaffeewasser warte, schaue ich auf den mittlerweile sehr vertrauten Hafen und ich genieße den morgendlichen Frieden des still daliegenden Wassers mit der dahinter aufsteigenden Sonne und sauge das Bild für den Rest des Tages in mich auf, den ich in meinem Vorschiffsbüro, etwas geschützt von diesem fantastischen aber ablenkenden Panorama, verbringen werde.

Mit dem Kaffee bewaffnet ziehe ich mich sodann auf die Couch im Decksalon zurück, schnappe mir das iPad und beginne die morgendlichen Nachrichten zu lesen und meine tägliche Partie Solitär zu lösen. Eine Zeit lang zelebriere ich so den Einstieg in die neue Woche, bevor ich mich auf den Weg zur Arbeit mache. Etwa 3-4 Meter später sitze ich am Schreibtisch und beginne mich für das als erstes stattfindende Abteilungsmeeting und die kommende Woche vorzubereiten. So startet der Tag in die Woche, wie die Woche davor und die davor und so weiter.

Mit Leben und Arbeiten an Bord habe ich es, unter Vermittlung des Sirius Wertftchefs Torsten Schmidt, mittlerweile sogar zweimal in die Presse geschafft, wo vor allem das Office Konzept auf einer 35 Fuß Yacht präsentiert wird. Neben einem Interview in der größten deutschen Fachzeitschrift Yacht (Aufmacherstory der Ausgabe 22/2020), gab es nun auch einen größeren Beitrag im Online-Magazin Float „Homeoffice auf hoher See“. Mit dem Konzept war ich meiner Zeit wohl etwa 1 Jahr voraus. Durch Corona ist der Neu- und Gebrauchtbootmarkt vom Käufermarkt gegen alle Prognosen zum Verkäufermarkt geworden. Nicht nur mir verschaffen die coronabedingten Homeofficemöglichkeiten offenbar langfristig Optionen zu dieser Art von Leben und Arbeiten, was ordentlich Nachfrage nach Yachten zur Folge hat und die Presse nimmt das auf.

Wir liegen allerdings jetzt seit Anfang Dezember in Lagos fest. Bis zum 15. Januar durchaus geplant, jetzt aber mittlerweile außerordentlich unfreiwillig, auch wenn sich der Arbeitgeber über die dadurch mögliche Flexibilität freut und mir natürlich ebenfalls recht stressfrei die Möglichkeit gibt, ein ziviles Standbein im alten Leben zu bewahren. Eine Win-Win Situation, da es zeitlich gar nicht besser hätte passen können.

Filip geht seinen eignen Projekten nach. Hier das Anmischen von Silikonkautschuk, um eine Form für eine Fingerboardingrampe zu bauen, mit der dann künftig Duplikate des von ihm geschaffenen Originals gefertigt und verkauft werden können.

Der strenge Lockdown, in dem sich Portugal seit genau dem Tag unserer Rückkehr an Bord nach wie vor befindet, macht ein Segeln entlang der Algarve völlig unmöglich, wenn er auch für das Land selbst so bitter notwendig und glücklicherweise auch erfolgreich war. Auslaufen darf man nur, wenn man danach auch auf direktem Wege die Territorialgewässer verlässt. Diese Regelung wird alle 14 Tage neu beschlossen und ich folge gespannt den Nachrichten, ob sich die Situation zu unseren Gunsten ändert. Ich ging die letzten beiden Male vor diesen Stichtagen schon sicher davon aus, dass es zumindest an der Algarve nun weitergehen kann. Auch Andalusien und Gibraltar sind nach wie vor zu. Offenbar haben wir auf dem Weg hierher unser Glück aber aufgebraucht. Hätte ich im Januar schon gewusst, wie lange das geht, wären wir sicherlich zu den Kanaren gesegelt, wo man zwar Einschränkungen hat, aber sich zumindest unter Segeln bewegen kann. Zeit hätten wir genug gehabt, um wieder zurückzukommen, bis es über Ostern wieder nach Deutschland geht.

Fest in Lagos

Hinterher ist man immer schlauer und dabei haben wir es in Lagos gar nicht mal so schlecht getroffen. Andere hängen in der Südsee fest, manche geben dort ihr Boot schließlich auf und versuchen es entweder vor Ort zu verkaufen oder für viel Geld per Frachtschiff nach Amerika zu bringen, um es dann dort an den Mann zu bekommen. Die, die weiter machen, ziehen endlose Kreise zwischen den paradiesischen Inseln der Südsee, an Ankerplätzen, die durch die Nachkommenden immer voller werden. Das Paradies, mit seiner schwachen medizinischen Infrastruktur und den teuren und eingeschränkten Versorgungsmöglichkeiten, wird zur Sackgasse. Der übliche und logische Weg entlang der etwas ausgetretenen Barfußroute der Weltumsegler ist durch das umfassende Einreiseverbot in Australien und Neuseeland blockiert. Ein anderer Weg ist nur für die Abenteurer und Expeditionssegler darstellbar und mit großen Gefahren durch zum Beispiel die Piraterie verbunden. Auch in der Karibik beginnt sich das gleiche Drama anzubahnen, was es vor einem Jahr schon gab. Ich las unlängst einen Artikel, der so ähnlich zu dem war, was man letztes Jahr lesen musste, dass ich unwillkürlich nach dem Datum des Artikels schaute.

Zurück aus der großen weiten Welt nach Lagos. Die weiteren Tage in der Woche arbeite ich auch, fange aber immer später an und höre früher auf, wenn es die Meetings zulassen, und beschäftige mich mit dem Boot und der Segelei. Von meinem Hochseesegelverein Trans-Ocean e.V. gibt es jeden Dienstag und Donnerstag Abend Online Seminare zu verschiedenen Themen, die mittlerweile von über 700 Seglern und nun auch mir sehr gerne besucht werden. Tagsüber lerne ich mein Boot über Wartungsarbeiten besser kennen, die zwar oft gar nicht anstehen, aber man hat ja Zeit, sich mit den Dingen in Ruhe auseinander zusetzten.

Iridum GO!

Höhepunkte waren hier die Installation des Satellitenkommunikationssystems Iridium-GO!, das nun auch außerhalb des Handynetzes für Notfälle und auf niedrigem aber vergleichsweise günstigen Niveau eine Erreichbarkeit von Land zu uns und von uns an Land sicherstellt und auf längeren Ozeanpassagen die Wetterdaten an Bord bringen soll. Hierzu habe ich eine Außenantenne auf dem Geräteträger installiert, bei der sich die Kabelführung zu einem Abenteuer entwickelte, da der Weg für das Antennenkabel durch Dichtmasse im Geräteträger versperrt war, die das Eindringen von Wasser in die Backkiste durch den Kabelweg verhindert. Zunächst versuchten wir, den Geräteträger halb umzuklappen und die Dichtmasse herauszukratzen. Ganz umlegen ging nicht, da das Achterstag im Weg war, ein starker Draht der das Umfallen des Mastes nach vorne verhindert.

Halb umgeklappt kommt man nicht richtig an den Kabelkanal, um ihn für das Antennenkabel durchgängig zu machen

Da wir beim Schneiden und kratzen die anderen dort laufenden Kabel anfingen zu beschädigen, musste das Achterstag dann doch weichen. Hierzu musste ich aber erst mal sicher gehen, dass der Mast dabei nicht wirklich kommt, auch wenn er ohne große Last war, wenn man vom Zug und Gewicht der beiden Vorsegel mit dem Vorstag mal absieht. Ich hab nach Rat gesucht und damit den Mast nach Achtern mit dem Großfall und der Dirk gesichert und dann das Achterstag gelöst. Das Freimachen der Kabelführung war so kein Thema mehr und ich war um einige wertvolle Erfahrungen und Kenntnisse reicher.

Nachdem dann alles fest installiert und verbunden war, konnte ich mich tagelang an dem aufgeräumten Anblick der Naviecke erfreuen, die bis dahin wochenlang mit allem möglichen Zeug belegt war. Es ist schon etwas völlig anderes, wenn man es selbst installiert hat. Wie muss sich erst ein Bootseigner fühlen, der sein Boot über Jahre selbst gebaut hat?

Während der Arbeiten ist mir dann die Brille ins Wasser gefallen. Über die genauen Umstände möchte ich hier schweigen, es ist mir zu peinlich. Nachdem die erste Brille ganz in der Nähe auf dem Grund des Atlantiks liegt, fiel es mir nicht leicht, diesen Verlust zu akzeptieren. Hörbare Verzweiflung. Das Wasser zu kalt, zu tief, zu sedimenthaltig, um einfach das Glück im Hinterherspringen zu suchen. Die hilfsbereiten Stegnachbarn wussten Rat und verwiesen mich an eine Taucherfirma ganz in der Nähe, zu der ich mich umgehend auf den Weg machte. Zwei Stunden später erschien der freundliche Taucher, der sein Brot unter anderem mit derartigen Ungeschicklichkeiten verdient. Mit großem Glück und nach längerem Suchen kam er dann schließlich mit der Brille an die Oberfläche. Große Erleichterung Nummer eins.

Tauchereinsatz, Tauchereinsatz! Keine Wellen drehen, kein Sonar aktiv, kein Müll außenbords. Tauchereinsatz! (Vielfach gegebene Durchsage auf Zerstörer Rommel in so einem Fall)

Da er nun schon mal da und die Stunde mit 40 EUR recht günstig und noch nicht ausgeschöpft war, schaute er dann auch noch nach der Opferanode an der Schraube, die so gut wie nicht mehr existent war. Ein Glücksfall. Wer weiß, wann ich da mal wieder dran gedacht hätte und welche Metallteile stattdessen dann dem Strom zum Opfer gefallen wären. Die verschwindet um ein vielfaches schneller, als ich es jemals für möglich gehalten hätte, hier rächt sich der ständige Hafenaufenthalt. Ersatz hatte ich an Bord und wurde umgehend montierte. Unerwartete Erleichterung Nummer zwei! Ab sofort alle 2 Monaten prüfen, egal wie!

Das neue Bugsprit

Zweiter Höhepunkt war die erneute Befestigung der Bretter auf dem Bugspriet, die nach der unruhigen Nachtfahrt nach Nazaré Anfang November auf dem Seitendeck lagen. Hierzu mussten wir in der Werft verhohlen. Ein echtes Highlight der Seefahrt von etwa zwei Kabellängen (ca. 400 Metern Strecke). So ging es das einzige Mal dieses Jahr hinaus aus der Marina, ins andere Hafenbecken der Werft.

Dort verbrachten wir den Tag am Steg und ich bekam Hilfe beim Bohren des Edelstahls. Die Bretter bekamen eine Fräsung, wurden auf den Edelstahl aufgeklebt und mit den Schrauben nun zusätzlich gesichert. Sirius hatte Stopfen mit geliefert, die perfekt in die Fräsung passten und somit ist das Kunstwerk nun optisch wie vorher.

Endlich mal eine andere Aussicht, wenn man aus dem Fenster schaut. Leider nur für ein paar Stunden.

Stegnachbar Jan hatte mir dazu geraten, diese Arbeit nicht alleine zu machen, wenn ich noch nie in Edelstahl gebohrt hatte. Ich bin froh, seinem Rat gefolgt zu sein, dass das jetzt aussieht, wie es soll und nicht wie ein erster Versuch meinerseits.

Richten der Heckpforte

Jan half mir auch beim Austausch der Scharniere, die ich mir beim Tanken in Roscoff verbogen hatte, indem ich bei geöffneter Tür und frischem Wind zu dicht an den Steg kam, denselben touchierte und das Ganze gestaucht hatte, sodass die Tür nicht mehr richtig schloss und bei Seegang immer mal gerne aufsprang.

Nachbarschaftshilfe

Auch dieses Unterfangen gestaltete sich alles andere als Einfach. Nachdem ich die Scharniere alle losgeschraubt hatte, stellte ich fest, dass diese immer noch bombenfest am Schiff saßen. Sie waren nicht nur geschraubt, sondern zusätzlich mit einem starken Kleber auf das Gelcode angebracht. Nur mit viel Kraft bekam man diese frei, aber leider nahm dann bei einem etwas zu beherzten Manöver ein Scharnier etwas Gelcode von der Tür mit. Wir haben das Scharnier am Rand dann mit Sikaflex abgedichtet und somit sieht man die Stelle des abgeplatzten Gelcodes nicht mehr. Dafür aber das Sikaflex, das die Stelle nun wie gewollt aber auch nur an einem Scharnier bedeckt. Muss später noch an der Bordwand zusätzlich geklebt werden, steht auf der Liste aber jetzt erst mal weiter unten.

Versuch, einen Schraubenzieher mit einem Magneten zu fischen. Leider ohne Erfolg, obwohl dieser magnetisch war.

Kulinarisches

Ansonsten findet der Bordalltag auch in der Küche seine feste Struktur und unsere Kochabenteuer werden immer umfangreicher. Für jeden Sonntag wird ein Land oder eine Region gewählt, nach der dann am Wochenende gekocht wird. So reisen wir zumindest kulinarisch um die Welt. Es wird die typische Musik des Landes über Spotify gespielt, von französischem Chanson bis israelischen Volksliedern, und sonntags stundenlang zu zweit gekocht. Die Errungenschaften werden dann im Nachgang auch gerne mit den Nachbarn Sarah und Trevor von der britischen Gianti über den Steg geteilt, die wiederum ihre Spezialitäten reichen. Ich bin einfach zu stolz, als dass ich dieses in seiner Detailfülle dem Blogpost vorenthalten könnte.

Wir hatten bisher

  • Asiatisch (Miso Suppe, Baozi, Sommerrollen mit Erdnussbutterdip)
  • Amerika (Beyond Burger mit hausgemachter BigMac Soße und aufgeladenen chilly cheese Pommes)
  • Mexiko (Burrito samosas, Guacamole, Tacos, mexikanischer Salat)
  • Indonesisch (GadoGado)
  • Französisch (crepes + French toast zum Frühstück, Ratatouille, Auberginen Tempeh Quiche)
  • Russisch (Soljanka, Syrnitki, Schuba, Stroganoff)
  • Israelisch (Baba Ganoush, Hummus, gebackener Blumenkohl, israelischer Salat, Falafel, Pita, Shakshuka)

Hier lasse ich aber Bilder sprechen:

Ausblick

Währenddessen setzt der Clipper Spinnweben an und ist nach 4 Monaten in Lagos zum vollwertigen und angenehmen Wohnschiff auf sehr wenig Quadratmetern geworden.

Wir machen uns dann für zwei Wochen über Ostern über immer noch leergefegte Straßen auf gegen Heimat. Filips Schwester wird Mutter und ich habe auch ein paar Dinge zu regeln und will meine Eltern sehen. Die Algarve ist mittlerweile nicht mal mehr Risikogebiet während man in Deutschland die Entwicklung erst noch vor sich hat, die Portugal gerade hin sich brachte.

Ich möchte so schnell wie möglich wieder zurück, allerdings muss ich noch offen lassen, was das genau als Datum bedeutet. Sollte nach Ostern Segeln möglich werden, dann ggf. schon sehr früh und auch Einhand, bis Filip nachkommt. Es würde mir ja schon mal reichen, mich mal eine Woche in eine Ankerbucht zu legen und das von Woche zu Woche wärmer werdende Wetter zugenießen. Auch würde ich gerne ein paar Tage nur Segelmanöver ausprobieren, ohne den Druck, irgendwo hin zu müssen. Wir werden sehen.

3 Gedanke zu “Alltag auf einem Wohnschiff”
  1. Hi Matthias, ich freue mich immer total von dir zu hören bzw. zu lesen.
    Deine Reiseberichte sind immer sehr spannend und ich freue mich, dass es dir gut geht.
    Auch wenn du derzeit auf dem trockenen sitzt, so ist es doch ein anderer Tagesablauf als den, den wir so haben.
    Bleib gesund, genieße die Osterfeiertage im kreis deiner Familie und ich freue mich heute schon auf den nächsten Reisebericht von dir.
    Liebe Grüße von Toni

    1. Hallo Toni,
      ich sehe gerade, dass dein Kommentar noch keinen Antwort von mir bekommen hatte, was ich bedauere. Verspätet will ich mich aber dennoch Bedanken. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, aber auch schön zu sehen, wer sich so alles für diesen Segelblog interessiert. Danke dafür und weiterhin hoffentlich viel Spaß beim Lesen.

      Viele Grüße
      Matthias

  2. […] Ein riesiges Tiefdruckgebiet schiebt gewaltige Mengen Luft über den Atlantik an Madeira vorbei in Richtung Iberischer Halbinsel. Traumhafte Bedingungen für drei Tage Rauschefahrt. Ich würde mich am liebsten zurück beamen und noch einmal losfahren. Aber wir sind nun mal bereits angekommen und ich habe meine Sonnenaufgänge in der Marina wieder, die ich hier im portugiesischen Lockdown vor einem Jahr so regelmäßig genossen hatte. […]

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