19.6.-01.07.2021
Wie reist man richtig?

Wann ist eigentlich der richtige Moment, um einen Ort wieder zu verlassen, den man als kleiner Entdecker neuer Orte an Bord eines Segelbootes gerade für sich erobert hat?

Am Beispiel der Kanareninsel El Hierro können wir diese Frage ganz gut erforschen. Ursprünglich wollen wir hier nur eine Woche bleiben. Große Inseln zwei Wochen, kleine Inseln und eine Woche. Das hatten wir uns zwar so nicht vorgenommen, es hatte sich aber so ergeben und ist unter planerischem Gesichtspunkten sowieso sinnvoll. Finde ich zumindest.

Wir zwei sind allerdings sehr unterschiedlich, wenn es um die Frage geht, wann der richtige Zeitpunkt zum Weiterreisen ist. Filip möchte jeden Ort gerne erst genau kennengelernt haben, alle interessanten Musen besucht, Land, Leute, Lokale und die Gegend kennengelernt haben, bevor es weitergehen kann. Es stresst ihn dann, seine eigenen Projekte immer wieder fast komplett zurückstellen zu müssen, um den neuen Ort umfassend kennenlernen zu können, bevor es weitergeht, an dem er sich am Ende der Exkursionen oft niederlassen will, nachdem er sich all die neuen Kenntnisse um den Flecken Erde gerade erarbeitet hat.

Ich hingegen bin etwas oberflächlicher, lasse mich nicht so sehr auf den Ort in der Tiefe ein, sondern mir reicht im Vorbeifahren das Gefühl für die Örtlichkeit und vielleicht der Besuch der meisten touristischen Höhepunkte. Die Reise ist mein Ziel, das Segeln und alles, was damit zusammenhängt, die Form der erfüllenden Fortbewegung. Das kommt auch daher, das ich fast immer die übergeordnete Destination im Hinterkopf habe, zusammen mit einem Zeitplan, wo wir wann sein wollen. So war es mit der Algarve Ende 2020. Es bereitet mir Schwierigkeiten, davon abzulassen, dafür bin ich viel zu Zielorientiert, was aber zu Scheuklappen und unangenehmer Ungeduld bis hin zu ebenfalls unnötigem Stress führt. Ich sollte es lockerer angehen und mehr im hier und jetzt leben. Das ist aber wirklich nicht einfach so machbar! So Stressen wir uns beide aus unterschiedlichen Richtungen und haben noch nicht unsere Mitte gefunden.

Das winzige und erdgeschichtlich junge Eiland El Hierro hält uns nun durch seine abgelegene Exklusivität in seinem Bann und macht auch mir das ungeplant längere Bleiben durch eine einfache Erkenntnis leichter:

Eckpfeiler ist, dass wir am 07.07. aus mehreren Gründen nach Hause fliegen. So wollen wir uns beide endlich impfen lassen, so langsam müsste es ja gehen. Dann hat mein Vater Geburtstag, Filip will ebenso seine Familie wieder sehen und wir beide haben ein paar weitere Termine.

Nun stellen wir fest, dass wenn wir das Boot auf La Palma, als der letzten zu erkundenden Insel lassen, wir dort ja auch zwingend hin zurückkommen werden und diese Inselerforschung dann immer noch machen können. So haben wir mehr Zeit für El Hierro und sind damit entspannt länger auf einer Insel, auf der das Wort morgen ein Ausdruck für die kommenden Tage ist.

Anreise

Die Anreise von La Gomera hierher war entspannt und angenehm. Filip nahm seinen zweiten Anlauf und fuhr uns her. Er machte die Vorbereitungen am Boot vor dem Auslaufen, führte das Logbuch und checkte das Wetter. Ich übernahm lediglich das ein- und Ausparken und gab Hilfestellung. Eine Ausbildungsfahrt bei angenehmen 5-20 Knoten raumem Wind und atlantischer Welle bis etwa 2 Meter, die ihn sehr zufrieden machte. Das war wirklich mal wieder ein Törn, wie aus dem Bilderbuch.

Wir kamen nach 7,5 Stunden im Porto de La Estaca an und wurden mal wieder mit einem gewaltigen Spiel von Sonne und Wolken begrüßt.

Auch hier muss man die Genehmigung zum passieren des Fährhafens einholen, aber im Unterschied zu allen anderen Inseln, antwortet hier niemand auf meine UKW Rufe. Feierabend, die Bürgersteige sind hoch geklappt.

Angriffslustig liegt der Hochgeschwindigkeitskatamaran im Hafen, aber die Bestie schläft
Die Insel

Im Gegensatz zu allen anderen Inseln ist man hier wirklich weit ab vom Schuss und liegt entsprechend fast alleine in einer großen und recht neuen Marina. Wir hatten die Zeit hier in der Spitze nur zwei andere Gastlieger.

Allerdings ist um diesen Fährhafen kein Ort. Der ganze Hafen ist wie Vegetation in der Wüste. Regnet es, erblüht alles zum Leben und pulsiert. Das passiert hier jeden Tag etwa zwei Stunden, bevor die Fähre ablegt. Die Läden im Terminal öffnen, überall Autos und Leute. Danach versinkt alles wieder in einen Winterschlaf, bis sich das Schauspiel am nächsten Tag wiederholt. So ist es hier aber angenehm ruhig.

Es gibt hier zwar eine Autovermietung, aber die ist zu. Im Hafen bekommen wir keinen Mietwagen, der auf der Insel ein Muss ist. Also nehmen wir uns ein Taxi zum Flughafen, wo fast alles ausgebucht ist. Wir fragen für die kommende Woche an und haben in einer Vermietung ein Auto für nur die ersten drei Tage und in einer zweiten den Rest. Als wir das so weit zusammen haben, wollen wir fest buchen, aber zwischenzeitlich ist ein Inselflieger gelandet und nun sind auch die weg.

Wir fahren mit dem Bus in die Hauptstadt Valverde, das Dorf hat wahrscheinlich keine 3.000 Einwohner, finden dort mit Google Maps noch eine Autovermietung, die eigentlich eher ein Taxiunternehmen ist und Autos vermakelt, die zum örtlichen Linienbusunternehmen gehören. Die haben noch welche und wir nehmen dankbar ein Opel.

Filip erforscht damit am Montag und Dienstag die Insel. Ich sitze erst mal in meinem Büro und arbeite. In der Zeitung Yacht lese ich übrigens die Tage, dass Sirius mittlerweile weitere 6-7 Boote mit meiner Office-Version verkaufen konnte. Das ist natürlich ein Ausrufezeichen und ich fühle mich als Early Bird.

Ab Mittwoch touren wir dann zusammen und ich bin beeindruckt.

El Hierro bedeutet Das Eisen. Dies kommt nicht daher, dass hier Eisen abgebaut oder verarbeitet worden wäre. Vielmehr bestand die Insel mal aus einem riesigen Vulkan, dessen Hälfte mit 120 Kubikkilometer Masse ins Meer rutschte. Der nachfolgende Tsunami verwüstete Bermuda. Was nach dem Malheur stehen blieb, ist nun ein halber Vulkan, an dessen Fuß ehemals der Hafen der Insel lag. Die Seeleute sahen diesen als Hufeisen und fuhren in das Eisen, wenn sie nach El Hierro kamen, womit der Name entstand.

Die geologische Einzigartigkeit zeigt sich dadurch, dass die ganze Insel der 1.000 Vulkane ein UNESCO Global Geopark ist. Das wird man, wenn man geologisch Besonders ist und dabei eine gewisse Nachhaltigkeit aufweist.

Die Steilwand des halben Vulkans beeindruckt mit seinen 1.000 Metern Höhe

El Hierro ist mit gut 1 Millionen Jahren die jüngste kanarische Insel und erdgeschichtlich ein kleines Kind, mit den entsprechenden Eigenarten. Die anderen Inseln sind mitunter deutlich älter und El Hierro wird, nach der heutigen jugendlichen Schönheit dann auch irgendwann so aussehen wie das 20 Mio. alte Fuerteventura: Flach und sandig.

Bis es so weit ist, ist die Erosion stark, bei Stürmen mit viel Regen kann das Regenwasser nicht versickern und hat auch noch keine großen Barrancos gebildet, das sind trockene Flüsse, die den Regen auf den anderen Inseln abführen können, wenn er da ist. Somit fließt das Wasser die steilen Hänge hinab und nimmt Steine und Geröll mit ins Tal, was dort mitunter zu immensen Schaden führt. Die Aufzuchtstation der in El Hierro einheimischen und fast ausgestorbenen Rieseneidechse wurde auf diese Weise fast völlig zerstört und hunderte der Echsen, die nach Jahren der Aufzucht kurz vor der Auswilderung standen, fanden in der Steinlawine den Tod.

Diese Steinlawine war so mächtig, dass man die wiederhergestellte Aufzuchtstation an ihrem Ende links kaum sieht

Die junge Insel ist generell launisch und wirft auch an ruhigeren Tagen immer wieder mit Steinen um sich. Die Fangzäune am Straßenrand sind nicht nur Zierde, wie man regelmäßig sehen kann.

Von der Straße im Vorbeifahren fotografiert

Wir fahren den Westen der Insel ab. Hier ist sie unbewohnt und besteht nur aus Vulkanresten. Wenn diese aber ein Meeresschwimmbad formen, wird das gerne angenommen und ggf. sogar ausgebaut:

Ansonsten ist die Landschaft in diesem Teil der Insel entsprechend karg. Alles, was lebt, hat es schwer. Wie im richtigen Leben vielleicht, aber nicht immer so dramatisch wie hier:

Die Straße, die wir hier nehmen müssen, ist für mich so etwas, wie eine Mutprobe. Begrenzungen zum Abgrund gibt es so gut wie nicht, wie man das sonst auf Serpentinen normalerweise hat. Nachfolgend hat man die Straße einfach auf den Rand eins kleinen Kraters geführt. Links der Steilhang, rechts der Kegel des Kraters.

Jetzt mal schön langsam, auf der Mitte bleiben und Beten, dass keiner entgegen kommt.

Und so wie im nächsten Bild sieht diese Straße dann von oben aus. Diese Landschaft entsteht, wenn langsam fließende Lava erstarrt und noch nicht erodieren konnte:

Wir überqueren den Bergrücken und kommen weiter in den Süden zu dem Ort La Restinga. Hier gibt es neben einem kleinen Yacht- und Fischereihafen mindestens 5 Tauchschulen, zwei davon sind deutsch. In dem Naturschutzgebiet vor dieser Küste befindet sich eines der TOP 10 Tauchreviere der Welt. Es kommt nur keiner hierhin, sodass alles übersichtlich bleibt. Von den vielleicht 50 Touristen die Woche auf der Insel sollen gerade mal 10-20 Taucher sein. Tourismus ist hier sowieso nur an vierter Stelle. Davor stehen Landwirtschaft, Dienstleistungen und öffentlicher Dienst. Dann erst kommen wir Touristen.

Der Yachthafen von La Restinga

Nach einem Unterwasservulkanausbruch gab es hier ein großes Fischsterben. Vulkane schaffen eben Naturschutzgebiete, halten sich aber selbst nicht daran. Dafür kam der Fischreichtum aber über die Maßen wieder zurück, nachdem die ganzen vulkanischen Mineralstoffe die Nahrungskette von unten erst mal so richtig angeschoben hatten.

Bei besagtem Unterwasservulkanausbruch vor 10 Jahren entstand vor der Südküste sogar fast eine weitere Insel. Ich kann mich dran erinnern, dass das damals in der Tagesschau kam. Der Unterwasservulkan inaktivierte sich aber gut 100 Meter bevor der Kegel durch die Wasseroberfläche kam. Die Insel verlor in der Zeit ein Drittel der Bewohner, die in der ständigen Gefahr mit drei Monaten voller Erdbeben bis 6,5 auf der bekannten und nur nach oben, aber nicht nach unten offenen Skala, nicht leben wollten und die Insel verließen.

Wie das Wasser auf die Insel kommt

Auf der Insel gab es neben dem Regen historisch nur eine natürliche Wasserquelle. Es war ein Baum, der den sogenannten horizontalen Regen, das ist die feuchte Luft in den Wolken, aufnehmen konnte.

Dieser hier wurde an der Stelle neu gepflanzt, an der sein Vorgänger stand, der täglich mehrere hundert Liter Wasser aus der Luft kondensierte und unter sich abregnete, bis er einem Orkan 1610 zum Opfer fiel, was für die Ureinwohner eine Katastrophe war. Durch die geologische Besonderheit einer zufällig hier entstandenen Tonschicht versickerte dieses Wasser nämlich nicht im porösen Vulkangestein, sondern wurde im Gestein zurückgehalten und konnte aus Erdlöchern wieder entnommen werden. Die ersten Bewohner der Insel siedelten in dieser Gegend in der Mitte der Insel, um diese erste Wasserversorgung und nicht am Meer.

Vor einigen Jahren noch kam das Trinkwasser mit Schiffen von den anderen Inseln und wurde mit Tanklastern verteilt. Heute gibt es mehrere Meerwasserentsalzungsanlagen und Tiefbrunnen.

Problem und Chance: Die COVID Impfung

Was ich schon die ganze Zeit ausprobieren wollte ist, ob man sich auf den Kanaren als Segler gegen COVID Impfen kann. Es gibt hierzu unterschiedliche Berichte. Die einen marschieren einfach in eines der Zentren rein und mit der Impfung wieder raus. Andere werden, da ohne Termin bzw. ohne dauerhaften Wohnsitz auf den Inseln, abgewiesen. Grundsätzlich haben die Kanaren ein Interesse daran, das auch die im Land befindlichen Nicht-Spanier immunisiert sind. Daher wohl das grundsätzliche, aber nicht immer gelebte Angebot bzw. die Möglichkeit.

Je kleiner die Gemeinde, je schneller ist die Impfung der Bevölkerung im Regelfall durch. Die paar Einwohner Gibraltars waren schon vor Monaten durch damit. Wenn wir es denn versuchen, dann am besten hier. Ohne viel Hoffnung gehen wir ins Inselkrankenhaus und fragen einfach doof. Man spricht kaum Englisch und wir verstehen, dass wir einen lokalen Arzt haben müssen, der uns betreut. Ohne den geht es nicht. Wir denken erst, dass die Hürde zu hoch ist, gehen aber dennoch noch mal nach nebenan ins Insel-Impfzentrum, das genau so aussieht:

Nur ein extrem entspannter Arzt fragt in gutem Englisch, was wir wollen. Wir erklären unser Anliegen und er wiederholt, was wir schon zu wissen glaubten mit dem Zusatz, dass die Anmeldung für den lokalen Arzt ein reiner Verwaltungsakt nebenan ist, wo die niedergelassenen Ärzte untergebracht sind. Wir versuchen es. Die Damen an der Anmeldung geben sich Mühe und haben dieselbe, unsere Daten in ihr System zu bekommen. Doch nach guten 15 Minuten ist es geschafft und das war schon der größte Teil. Wir marschieren zurück in das leere Impfzentrum, dort liegen schon die beiden Spritzen und nach zehn Minuten des Wartens auf eine mögliche allergische Reaktion waren wir wieder draußen. Wow! Das war klasse und schafft einen großen Zeitvorteil, wenn es um die Frage geht, wann es wieder zurück zum Boot geht.

Wandern auf El Hierro

Durch die eingangs erwähnte Verlängerung, die wir uns hier gönnen, kommen wir dann am Samstag in den Genuss einer in Deutsch und Englisch geführten Wanderung durch den Märchenwald El Hierros.

Die Welt hier ist klein. Nach der Hälfte der Wanderung erkennt Julia, die diese Tour wie wir gebucht hatte, dass sie Filip beim Kartoffel kaufen vor einigen Tagen mit ihrem Vater im Geschäft getroffen hatte. Ihr Vater wiederum heißt auch Matthias, mit dem ich von jemand anderes bereits dem Namen nach fast verwechselt wurde.

Der Markt

Alle reden die ganze Woche vom Markt, der am Sonntag stattfindet. Wir gehen ebenfalls dort hin und stellen fest, dass dieser fest in deutscher Hand ist. Zumindest die Hälfte ist deutsch und für einige ist dies ein Teil ihrer Existenz auf der Insel. Wir decken uns vor allem mit deutschem Vollkornbrot ein. Eine rare Kostbarkeit auf Reisen, wenn man es nicht selbst backt. Gemüse vom Öko Bauern und Brotaufstrich packen wir auch ein.

Sogar eine Ecke mit Second hand gibt es hier vom Tierschutzverein.

So geht diese Woche zu Ende und die neue beginnt. Hier haben wir hier unseren vorläufigen südlichsten Punkt erreicht, den wir erreichen wollten. In die Karibik oder auf die Kapverdischen Inseln wollen wir nicht. Das wären ab hier die nächsten logischen Stationen, wenn man weiter mit dem Wind segelt.

Es folgen ab Montag 2-3 Arbeitstage im Vorschiff für mich, während Filip endemische Pflanzen zum Stoffe färben sammelt. Die Böen der Fallwinde erreichen Windstärke 7 im Hafen, das Boot wird gehörig durchschütteln. Am Donnerstag, den 01.07. soll es ruhiger werden und wir werden sehr früh morgens auslaufen und versuchen wieder nach Norden zu segeln, was in jedem Fall ein anstrengender Schlag von mindestens 15 Stunden werden wird. Der Tank ist fast leer und eine Tankstelle für Boote gibt es auf El Hierro nicht. Wir werden also wohl oder übel sehr umweltbewusst, also segelnd, nach La Palma kommen. Oder eben, wo der Wind uns stattdessen hinbläst.

Die letzten Tage auf El Hierro
3 Gedanke zu “Kanarensegeln VI – Die Abgelegenheit von El Hierro”
  1. Schön das es auch bei euch mit der Impfung geklappt hat. Klasse Bilder mit tollem Bericht -mal wieder. Bleibt gesund, viele Grüße von Terceira, Stefan

    1. Moin Stefan,
      da musste ich erst mal nachsehen, wo ihr mittlerweile seid. Klasse Hochseetour, die ihr da hinter euch habt! Wir kommen bald hinterher, soweit jedenfalls die grobe Planung. Deinen Blog werde ich dann zur Vorbereitung noch mal rekapitulieren. 😉

      Viele Grüße & Danke für dein Feedback 🙂
      Matthias

Schreibe einen Kommentar zu Stefan Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.