Donnerstag, 31.08.2023 – Dienstag, 05.09.2023

Zwei Tage vor Aufbruch zu den nördlichen Sporaden bestellte ich in Porto Koufo telefonisch Diesel, der in Form eines kleinen Tanklasters auf die Betonpier des Ortes gefahren kommt.

Hier liegen meistens auch Boote längsseits, statt vor Anker zu gehen. Um die Mittagszeit ist aber Platz, um uns dort mit unserer fahrenden Tankstelle zu treffen. Wir ziehen den Ankerplatz weiterhin vor und nachdem getankt und eingekauft wurde, fahren wir die paar Meter wieder raus und legen uns dort erneut an die Kette, sodass wir abends schön ungestört im Cockpit sitzen und unter anderem ein Brettspiel spielen können, ohne gegen eine Betonmauer zu schauen.

Die Modelle UKMO und ECMWF sind sich nach wie vor beide einig, Ostwind wird am 31.8. mit 10 – 15 Knoten kommen und uns nahezu perfekt weiter nach Süden bringen. Das passt, denn ich will etwa fünf Tage vor meinem Geburtstag in Skiathos sein, um die Lage dort zu peilen und vor allem einen Friseur aufsuchen. Es wird dringend Zeit, meiner außer Kontrolle geratenen Verwahrlosung Einhalt zu gebieten.

Leider wird sich der ohnehin nicht starke Wind später abschwächen, sodass wir wieder mal früh aufbrechen müssen, um das meiste davon auch nutzen zu können.

Um 5 Uhr stehe ich auf, mache einen Kaffee und das Boot langsam fertig. Ich bin sicherlich kein Frühaufsteher, aber wenn es sein muss, mag ich diese morgendlichen Aufbrüche auf dem Boot von ganzem Herzen. Alles ist ruhig, der junge Tag gehört einem noch alleine. Das Wasser liegt meist spiegelglatt und schläfrig wie man selbst da. Man genießt ungestört die Natur, die gleichermaßen ungestört erwacht. Dieser Frieden lässt sich genießen im Bewusstsein der bevorstehenden Fahrt, die mal ruhig und mal ruppig zu sein verspricht. Ich bin mit mir im Reinen.

Mit dem Geräusch des aus der Tiefe kommenden Ankers taucht Filip auf, das Auslaufen will er sich offenbar nicht nehmen lassen. Mit langsamer Fahrt geht es aus der ruhigen, noch dunklen, aber geschützten Bucht hinaus, auf der Suche nach dem versprochenen Wind, den wir immer mehr finden, je weiter wir das Kap von Sithonia hinter uns lassen.

Die 15 und später 10 Knoten von der Seite sind ideal bis akzeptabel und um 13 Uhr runden wir das östliche Ende von Alonissos. Auf der Suche nach einem schönen Zwischenstopp fiel die Wahl auf eine Bucht mit einem Wrack, die zwar für die Nacht nicht genug geschützt ist, aber allemal toll für einen Halt mit Drohnenfoto.

Wir schwimmen beide eine Runde, ohne in das Frack hinein zu steigen. Zu rostig und zerfallen sieht der alte Zosse aus. Zwei Stunden später sind wir dann auf dem Weg zu unserem Nachtquartier, dem winzigen Ort Steni Vala, der im Prinzip aus nicht viel mehr als einem Stadtkai und ein paar Restaurants und kleinen Hotels besteht. Um die Plätze an dem Kai kämpfen sonst die Chartersegler, von denen immer noch einige unterwegs sind. Allgemein ist es jetzt im September aber schon spürbar ruhiger und entspannter geworden. Wir finden problemlos einen Platz.

Es ist so lässig hier, dass wir gleich noch einen weiteren Tag bleiben. Am darauffolgenden Morgen parkt dann aber ein Charterboot neben uns ein, dessen Ankerwinsch nicht mehr funktioniert. Leider legen die noch darüber hinaus ihren Anker über unsere Kette und blockieren uns damit. Das wirkt ein wenig wie eine Radkralle beim Falschparken. Wir lassen das erst mal so.

Am späten Vormittag kommt wieder aktuelles Wetter rein und bestätigt meine wachsende Sorge. Ich bin ohnehin auf der Hut. Die Ozeane sind alle viel zu warm, es sind Rekordtemperaturen weit über dem Mittel und weit über der Erwärmung, die man ohnehin schon sieht.

Diese Wärme ist Energie, die sich brutal entladen kann. Man sah das schon an den Überschwemmungen und heftigen Regenfällen und Gewittern zwischen dem kühlen Nord- und dem heißen Südeuropa in Italien und Spanien, aber auch Österreich. Diese Zone wandert nun im Herbst immer weiter nach Süden in unsere Richtung. Ich halte somit schon eine ganze Weile misstrauisch die Augen nach Tiefdruckgebieten offen, die sich irgendwo vor der afrikanischen Küste bilden und vielleicht, wie vor zwei Jahren, als Medicane nach Griechenland und damit zu uns oder in unseren Weg ziehen.

Und da bildet sich tatsächlich etwas, ein Tief, dessen Kern mehrere Tage sehr stationär auf genau der Stelle vor der afrikanischen Küste über dem Meer stehen soll, die ich beobachte. Es soll aber dann gemäß beruhend übereinstimmender Meinung aller Modele nach Südosten, statt zu uns zu ziehen.

Der ist dann als Wirbelsturm für uns keine Gefahr, auch wenn da immerhin gehörig Regenschauer und Gewitter in der Bodenluftdruck- Prognosekarte des DWD für unsere Gegend eingezeichnet sind. So denke ich und befasse mich mehr mit dem sehr starken Meltemi der gleichzeitig in Sturmstärke aus Nordosten kommen soll.

Das ist mal etwas Neues, so stark haben wir den bisher nicht gesehen, geschweige den erlebt. Ich bin etwas besorgt und suche nach einem geschützten Versteck, in das wir uns verkriechen können.

Davon gibt es hier nicht viel. Die Häfen werden als sehr anfällig gegen Schwell und nicht sicher bezeichnet. Ein kurzes Video vom Hafen der Nachbarinsel Skopelos ging unlängst unter Seglern hier viral, wo eine Fähre mit hoher Geschwindigkeit in den Hafen einlief und dadurch Wellen verursachte, die zu erheblichen Beschädigungen der dort vertäuten Jachten führte.

Das zweite Boot auf dem Video, die längsseits liegende Ketsch, ist hier in Steni Vela unser Nachbar. Der französische Eigner erzählt, dass sich eine Frau vom Nachbarboot das Handgelenk bei der Aktion brach. Man zeigte den Kapitän der Fähre bei der Hafenpolizei an, der sich rechtfertigte, dass er bei dem vorherrschenden starken Wind zum manövrieren diese Geschwindigkeit benötigte, um nicht selbst im Hafenbecken vertrieben zu werden.

Kurzum, für mich keine sichere Option. Ich finde aber ganz in der Nähe eine vielversprechende Bucht, bei der die Segler auf Navily immer wieder den besonderen Schutz gegen Wind und Welle hervorheben, wenn das alles aus Nordosten kommt, was der Fall sein wird. Diese Ecke soll es werden!

Nachdem das jetzt klar ist, werde ich ungeduldig. Ich möchte dort einen sicheren Platz haben und nicht zu spät kommen. Wir beschließen, das Problem der blockierten Ankerkette anzugehen. Meiner Meinung nach sollte der fremde Anker von unserer Kette fallen, wenn wir diese heben, Filip will aber vorher Klarheit und versuchen, zum Problem hinunterzutauchen. Das sind 3–4 Meter, was machbar ist, aber auch nicht alltäglich einfach. Nach dem dritten oder vierten Versuch klappt das dann! Wir sind frei und können gehen.

Langsam fangen die Leute um uns herum an, über das bevorstehende Wetter zu sprechen, es wird wirklich Zeit! Wir verlassen das gemütliche Nest am 02.09., also drei Tage, bevor der Spaß losgehen soll.

Die Besonderheit bei unserer Zuflucht wird sein, dass wir in dem Hafen nicht anlegen können. Der vorhandene Kai ist dauerhaft von kleinen lokalen Booten belegt. Es bleibt nur, mit dem Anker vorn auf dem Grund des Hafens und mit Landleinen achtern an einer Felswand festzumachen. Das muss allerdings nicht von Nachteil sein, da bei auftretendem Schwell nach allen Seiten Platz für Bewegung ist und das Boot nicht an eine Kaimauer geworfen werden kann. Allein, die Leinen und der Anker, die müssen natürlich halten.

Die Bucht präsentiert sich uns nach kurzer Fahrt und ich bin sehr zufrieden. Zum einen sieht das hier wirklich sehr geschützt aus, zum Zweiten ist noch reichlich Platz und ich kann mir eine gute Stelle aussuchen. Die Herausforderung ist jetzt, dass wir etwas Seitenwind haben, das Anlegen mit Landleinen noch nie zusammen gemacht haben und erst mal herausfinden müssen, wo wir an der Felswand überhaupt unsere Leinen sicher vertäuen können.

Filip rudert mit dem Clipperchen also zu der Felswand und sucht eine gute Stelle, während ich den Clipper auf Position halte.

Ich hatte ihm die Leinen vorher mit einem großen Palstek vorbereitet, sodass er die Schlingen nur an einer passenden Stelle über einen Stein legen muss. Es dauert lange, bis wir in Diskussionen quer über die Bucht eine Stelle ausgemacht haben, wo er das Seil dann befestigt.

Ich beginne meinen Anlauf, lasse den Anker aber recht spät ab, fahre rückwärts weiter an die Felswand, Filip kommt mit dem Ende des ersten Seils zu mir gerudert, übergibt das Ende und ich mache es am Clipper fest. Wir wiederholen das mit einer zweiten Leine und sind nach wahrscheinlich nicht weniger als einer Stunde fest, aber unzufrieden. Für mein Gefühl ist der Anker noch zu nahe am Boot, zu wenig stabilisierende Kette liegt dadurch zwischen ihm und uns auf dem Grund. Filip findet, dass unsere Heckleinen viel zu weit auseinandergehen und wir dadurch anderen Booten den Platz blockieren. Wir haben dadurch aber auch zu wenig Zug nach hinten, sodass diese Konfiguration wenig Stabilität bringt.

Besser keine Kompromisse in der Sicherheit, lieber jetzt den Aufwand betreiben, als späte Reue üben. Wir gehen also zusammen zu der Felswand und bestimmen nun gemeinsam vor Ort, wo wir die Leinen befestigen wollen. Das geht deutlich besser, da ich jetzt auch sehe, was Filip meint. Vorher war ich viel zu weit weg. Nachdem wir das haben, werfe ich los und hole den Anker während Filip die Leinen wieder in das Clipperchen nimmt und neu befestigen möchte.

Er hat die erste Leine fertig und ich starte meinen zweiten Anlauf, der deutlich besser gelingt. Der Anker fällt perfekt, der Clipper läuft langsam rückwärts auf Filip zu, während die Ankerkette vorn auf den Grund gleitet.

Wir befestigen die erste Leine an Backbord, der Clipper ist halb fest. Filip geht jetzt zu dem zweiten Ort an der Felswand, wo der Felsen eine Art Ring bildet, durch die unsere Leine durch gesteckt werden kann. Jetzt ergibt sich ein überraschendes Problem. Filip hat vergessen, wie man einen Palstek macht und ich kann nicht rüber zu ihm, um es ihm zu zeigen.

Damit hatten wir beide nicht gerechnet. Ohne die zweite Leine würden wir auf unseren Nachbarn driften, ich muss also, so bilde ich mir ein, mit der Maschine Position halten, solange die zweite Leine, die uns vom Nachbarn weg ziehen wird, nicht steht. Was ist die Lösung?

Ich rufe Filip zu, er soll die Leine auf Slip nehmen. Er befestigt also nicht eine Schlaufe des einen Endes in der Bucht im Felsen, sondern zieht die ganze Leine dort hindurch, womit er natürlich die doppelte Länge der Leine benötigt. Als Erstes bringt er das eine Ende der Leine zu mir, das am Boot befestigt wird. Daraufhin kehrt er zur Felswand zurück und kommt erneut rudernd, das andere Ende der Leine hinter sich herziehend, zu mir. Eine völlig wilde Idee und natürlich fehlen darüber hinaus jetzt ein paar Meter Leine, was die Reibung der durch das Auge im Felsen laufenden Leine so groß werden lässt, dass er nicht mehr dagegen anrudern kann. Ich versuche zu helfen, indem ich mit dem Clipper, der ja an dem anderen Ende zieht, näher zu Filip herankomme, um so lose zu geben. Es passiert selbstverständlich das, was absehbar ist: Die nicht schwimmende Leine bekommt auf meiner Seite zu viel lose, kommt unter das Boot und dort in die Schraube!

Zum Glück habe ich den Leinenschneider noch auf der Welle, den wir glücklicherweise nicht den Problemen mit der Anode opferten, obwohl das einfacher gewesen wäre. Die Messer zerteilen und zerfetzen die Leine, bevor sie die Schraube blockieren und mich manövrierunfähig zurücklassen können. Ich schmeiße nun das sinnlose Gelumpe komplett über Bord und entferne mich etwas.

Die Situation ist nun dermaßen offensichtlich verfahren, dass unser Nachbar in sein Dinghy springt, zu uns rüberkommt und seine Hilfe anbietet. Man lässt die Leute ja erst mal machen und mischt sich nicht ein, um das viele Köche verderben den Brei Problem zu vermeiden. Wenn einer einen Plan hat, dann solle er den auch umsetzen, egal ob der gut ist oder nicht. Es wird selten besser, wenn versucht wird, noch im Manöver gute Ratschläge und am besten viele davon zu geben. Das macht man besser nachher, wenn überhaupt. Erst wenn jemand offensichtlich nicht weiterweiß oder um Hilfe bittet, sollte man diese auch unbedingt zur Verfügung stellen. Dieser Moment ist jetzt gekommen.

Eigentlich habe ich es schlimmer gemacht, als es ist. Wir sind doch mit einer Leine fest. Zwar können wir so auf unseren Nachbar treiben, was aber mit genügend Fendern kein Problem darstellt, solange der nette Eigner damit kein Problem hat, was absolut nicht der Fall ist.

Jeremy lässt seine Frau Sally Fender ausbringen, ich mache das ebenfalls. Wir lassen uns erst einmal an nur einer Leine nahe unserem Nachbarn einfach hängen, sodass wir in aller Ruhe die Scherben in Form von weißen Fetzen aus dem Wasser auflesen können. Hier eine kleine Auswahl:

Anschließend fahre ich mit Filip gemeinsam zu der Wand, wir machen in das eine Ende des Seils mit einem schönen Palstek fest und befestigen das andere Ende am Boot, womit wir schon einmal eine gute Stabilität erreicht haben. Die nächste Stunde befassen wir uns damit, zwei weitere Leinen auszubringen, um nicht nur nach hinten, sondern auch zur Seite gut abgestützt zu sein. Als wir fertig sind, hat das Drama mindestens 3 Stunden gebraucht, ich bin fix und fertig, fühle mich aber sicher mit der großzügigen Länge der Ankerkette vorn und den vier Leinen Achtern, die auf dem Bild zugegebener maßen nur bei genauem Hinsehen zu erkennen sind.

Später sind wir bei Sally und Jeremy zum Sundowner eingeladen, worauf ich mich sehr freue. Die beiden sind unglaublich sympathisch, haben mit ihrem Boot bereits die Welt umrundet und viel zu erzählen. Wir haben die Gelegenheit nicht oft, uns auf diese Weise mit anderen Seglern zu treffen und ich genieße unser Zusammensein. Wir gehen anschließend noch gemeinsam Pizza essen und verbringen einen schönen gemeinsamen Abend, während Ankerbucht, Hafen und Restaurant ruhig daliegen.

Am nächsten Tag, den 3.September warnt als Erstes die WetterApp des Handys. Was die Prognosen zeichnen, ist nicht gut. Neben dem Sturm wird wohl hauptsächlich Gewitter und Regen des Tiefs ein Problem, das ich zunächst nicht weiter beachtet hatte, das aber weiterhin südöstlich im Mittelmeer liegt und verdunstendes warmes Wasser aus dem Meer wie ein Schwamm aufsaugt, um es hier abregnen zu lassen. Da sich das Tief kaum bewegen soll, ändert sich an den Auswirkungen desselben auch nichts, was dann aus dem Stand heraus eine Warnung gleich bis zum 5.September, als gleich für zwei Tage verursacht.

Noch ist davon nichts zu sehen und wir nutzen die wahrscheinlich letzte Gelegenheit, um ein wenig von der Insel zu sehen, nachdem wir ein bisschen Palstek geübt haben. So führt uns unsere Neugierde zunächst in den benachbarten Fährhafen, den man zur Hauptstadt der Insel gemacht hatte, nachdem das alte Hauptdorf in den Bergen durch ein Erdbeben schwer beschädigt wurde. Letzteres wurde dann an wohlhabende Ausländer verkauft, die dort investierten und das alles wieder so aufbauten, dass es heute etwas weniger Original, aber sehr romantisch, touristisch ist. Vom Fährhafen nehmen wir ein Taxi, fahren hinauf und genießen die Mittagsruhe bei einem leichten Essen.

Man beachte den strahlend blauen Himmel….

…der in starkem Kontrast zu dem steht, was bereits in der Nacht und den gesamten kommenden Tag losbrechen sollte:

Zurück auf das Boot finde ich eine aufgegangene Landleine vor. Ich hatte zwei Leinen mit einem normalen Kreuzknoten verbunden, der sich aber durch die fortlaufende Be- und Entlastung löste. Sicherlich kein perfekter Knoten für die Verbindung zweier Leinen, die nicht ständig auf Zug sind. Auf der Suche nach einer Alternative finde ich den sehr interessanten Zeppelinstek, den ich mir antrainiere und dann auf meine beiden Leinen anwende. Das wird halten!

Es kommen weitere Schutz suchende Neuankömmlinge an. Dieser hier findet seinen Platz neben uns und ich bin sehr darauf bedacht, dass er mit seinem Ankermanöver keinesfalls unsere Ankerkette destabilisiert. Es ist der einzige Halt, den wir nach vorn haben und meine Kette geht einmal quer durch den Hafen, ist einfach zu erwischen.

Die Nacht zum 4. September bleibt es noch ruhig, aber die Warnungen werden immer lauter. So meldet auf Facebook Meteorologe Sebastian Wache in den Seglergruppen auch vor extremen Regenschauern:

Von dem stürmischen Wind aus Nordost bekommen wir hier kaum etwas mit, nur ein paar Fallwinde verirren sich hier herunter, von denen man zwar nie weiß, aus welcher Richtung sie einen treffen, die aber in ihrer Stärke vernachlässigt werden können. Die Schutzfunktion unserer Bucht ist wirklich hervorragend, ich bin außerordentlich zufrieden mit meiner Wahl.

Es beginnt nun abzukühlen und zu regnen. Bis hier hin ist es noch eher gemütlich.

Am frühen Abend bimmelt dann Filips und mein Handy gleichzeitig mit einem Warnton los. Eine hochoffizielle Warnung an alle Mobiltelefone der Umgebung von den griechischen Behörden:

An Warnungen mangelt es also weiß Gott nicht mehr. Der Letzte hat nun verstanden, was die Stunde geschlagen hat und immer noch erreichen einige Boote die Bucht auf der Suche nach einem Unterschlupf. Vor allem die großen Katamarane müssen den Hafen wieder verlassen und ihr Glück an einem weniger geschützten Ort versuchen. Dieser hier kommt so spät, dass draußen bereits ordentlich Wind weht, die Besatzung ist längst komplett in Ölzeug gegen den Dauerregen eingekleidet. Allein es hilft nichts, es ist kein Platz mehr, sie müssen wieder hinaus.

Einige andere werden von unseren Nachbarn mit deutlichen Worten hinaus gescheucht, die in ihrem Bedürfnis nach Schutz versuchen, sich eine Lücke zu erkämpfen, wo keine ist. Der Ton wird rauer, ich bin froh, hier schon seit drei Tagen meinen Unterschlupf sicher gefunden zu haben.

Etwas beunruhigend finde ich allerdings doch, dass nun die Griechen beginnen, ihre Boote aus dem Wasser zu holen, so schnell sie es können.

Diese Möglichkeit haben wir nicht. Wir können jetzt nur hoffen, dass alle unsere Vorbereitungen ausreichen werden. Mit fällt nichts mehr ein, was wir noch tun könnten, bin mit meinen Vorbereitungen und mir so weit im Reinen und immer mehr froh darüber, das Ankermanöver noch ein zweites Mal gefahren zu haben, auch wenn die Ausführung so chaotisch war. So muss ich jetzt nicht mit mir hadern und das Manöver ggf. noch über das Knie brechen, wo so etwas im Prinzip kaum noch durchführbar wäre. Die aktuelle Windprognose wird derweil noch schlimmer als bisher ohnehin bereits angekündigt:

Das ist gewaltig und die kurze steile Welle, die sich dazu aufbauen dürfte, brutal. Es fängt mit Einbruch der Nacht auch an zu gewittern, blitzt schon erheblich, ist aber erst mal kaum mehr als Wetterleuchten bei leichtem Regen. Wind ist kaum zu spüren.

In Erwartung, dass es genau so die ganze Nacht weitergeht, gehen wir ins Bett. Machen kann man ohnehin nichts mehr, außer warten.

Um kurz nach Mitternacht, der Schlaf ist nur leicht, weckt mich eine besonders heftige Abfolge von Blitzen. Instinktiv will ich mal nach dem Rechten schauen, noch recht schläfrig. Bereits auf der Ecke in den Salon, werde ich zusammen mit dem Clipper auf die Seite gedrückt, weiß im Halbschlaf nicht, was gerade passiert. Ein gehöriger Schub Adrenalin macht mich jetzt wach. Solch eine Krängung hatte ich bislang nicht auch nur annähernd vor Anker. Ich ignoriere sie, konzentrieren mich auf meinen Weg und hangle ich mich weiter bis zur Navigationsecke vor, um einen Überblick zu bekommen. Alle Leinen sind noch da, wenn auch straff gespannt, gut! Ich schalte die Instrumente an, möchte wissen, mit welchem Wind wir es zu tun haben.

Eine Böenwalze mit 40 Knoten hatte von der Seite getroffen, die stark genug war, um nur über das stehende Gut, den Mast und die Aufbauten das Boot massiv auf die Seite zu legen, wie wir das sonst ausschließlich unter Segeln und hart am Wind erleben würden.

Das eigentliche Gewitter steht voll über uns. Es gehen weiterhin schwere Schauerböen mit bis zu 35 Knoten über uns hinweg und lassen das Boot heulen und erneut stark überholen. Die Leinen halten das im Moment aus, sind an ihrem Platz. Von den beiden in Luv hängt nun viel ab, sollten sie berechnen haben wir ein massives Problem. Ich beglückwünsche mich, auf jeder Seite redundant zwei Taue ausgelegt zu haben.

Filip war kurz hinter mir und ist natürlich ebenfalls hellwach, will wissen, was passiert. Ich versuche das, was ich weiß, in knappe Worte zu fassen. Wir bleiben nun beide im Salon, versuchen die Situation um uns herum zu erfassen.

Unsere Sorge gilt den Nachbarn. In Luv liegt als Nächstes die riesige Jacht von Jeremy und Sally, augenscheinlich wie ein Fels in der Brandung. Die beiden hatten ebenfalls an jeder Seite zwei große Festmacher zum Ufer geführt. Dort teilen wir uns allerdings rostige Ösen, die jemand dort in den Felsen geschlagen hat und an die wir wiederum unsere Festmacher gekettet hatten. Unsere gemeinsame Sorge ist, ob die auch halten, was sie versprechen. Gegenwärtig ist das der Fall.

Seine Nachbarn dahinter müssen aber auch sicher liegen. Kommt da einer komplett los und treibt mit den vielen Tonnen Gewicht quer auf den Nächsten, könnte ein einzelnes Boot vielleicht in einem Dominoeffekt das Feld abräumen. Und tatsächlich gibt es dort auf beiden (!) Booten erhebliche Probleme und Betriebsamkeit.

Sein direkter Nachbar hat offenbar eine gebrochene Leine in die eigene Schraube bekommen. Er geht gerade im schlimmsten Gewitter mit einer Taucherlampe selbst ins Wasser und unter sein Boot, um sich wieder freizuschneiden. Immer wieder sehen wir ihn, wie er auftaucht, Luft schnappt und das Licht dann wieder unter dem Boot verschwindet:

Ich bin mir ganz und gar nicht sicher, ob ich mich getraut hätte, bei mehreren Blitzen pro Sekunde ins Wasser zu gehen, hätte aber auch gar keine wasserdichte Lampe gehabt. Wahrscheinlich hätte Filip mich auch gar nicht gelassen. Die Frage stellt sich Gott sei Dank für uns gerade nicht.

Die Nachbarn dahinter haben ebenfalls mindestens eine gebrochene Landleine und ihre Position verlassen. Man sieht den Schein ihrer Taschenlampe und die Betriebsamkeit ebenfalls im Hintergrund auf dem Video oben.

Ähnlich ist es auf unser Leeseite. Nur können wir dort keine große Betriebsamkeit erkennen, was mir egal ist, da von dort kaum Gefahr für den Clipper und damit uns droht. Die Treiben ja von uns weg.

Unser direkter Nachbar in Lee hängt jedenfalls nur noch an einer Leine, seine Leine in Luv ist weg und so ist er bereits auf oder nahe an seinen Nachbarn gedrückt worden, nur noch die Steuerbord- Landleine in Lee ist mit dem Land verbunden. Ähnlich sieht es bei den beiden dahinter aus, was wir aber nur erraten können. Sehen können wir zwar einigermaßen gut, bei dem vielen Licht, dass die Blitze produzieren, nur der dichte Regen verdeckt oft die Sicht. Ich komme auf die Idee, die IR Kamera zu benutzen. Da lässt uns etwas weiter sehen

So erkennt man, dass die hinteren zwei Boote so nahe beieinander sind, dass sie wie eines wirken. Die ersten beiden haben ihre Luvleine verloren und sind nach Lee vertrieben. Was mich irritiert ist, dass man dort niemanden zu sehen bekommt, um insbesondere die Boote voneinander abzufendern, die Leine zu reparieren oder Ähnliches. Vielleicht ist es denen auch egal, da die Boote gechartert sind. Mir ist es das gerade in jedem Fall. Im Ganzen haben damit in der ersten Böe vier von sieben Booten mindestens eine Leine verloren.

Mit jeder neuen heftig einfallenden Böe hoffe ich, dass es nicht noch mal so schlimm wie am Anfang wird, was es glücklicherweise nicht tut. Dennoch halte ich jedes Mal die Luft an, besorgt um die Leinen und um die Nachbarn von Jeremy und Sally, die fortwährend irgendetwas an ihren Booten tuen und zwischenzeitlich bedrohlich nahe kommen, ohne jedoch wirklich ins Treiben zu geraten.

Ich versuche über das Regenradar im Internet und die Blitzkarte dort einen Überblick zu bekommen, was noch kommt und wie die Gewitterzellen ziehen. Da zieht aber wenig. Es ist einfach eine riesige Zelle, die über uns steht und von der man nur erahnen kann, dass sie sich im Schritttempo in Richtung Nordwesten bewegt.

Wir telefonieren mit Sally nebenan und geben uns gegen 3 Uhr nachts gegenseitig Statusberichte. Bald darauf wird es etwas ruhiger. Wir gehen wieder ins Bett und versuchen zu schlafen.

Am nächsten Morgen ist das Gewitter und der Starkregen etwas weiter nach Westen gezogen und bleibt dort jetzt über Skiathos und der Gegend um Volos. Der Clipper ist einmal gründlich vom Salzwasser befreit. Ich prüfe die Systeme und stelle den Ausfall der Genua Furling fest. Ok, das muss warten. Was nicht warten kann, ist eine dritte Leine auf der Seite, wo uns die Böe erwischt hatte, für den Fall, dass das noch mal passiert, denn drei ist besser als zwei! Mehr Leinen habe ich jetzt aber nicht mehr.

Die ganze Reihe arbeitet heute Morgen an neuen und zusätzlichen Leinen, bis alle wieder da liegen, wo sie hingehören.

Man kann sagen, dass der Trend heute ganz klar in der Verdopplung von Leinen liegt.

Hier auf Alonissos gehen nun die Aufräumarbeiten los, wir hatten den Starkregen nur eine Nacht, während weiter westlich buchstäblich alles absäuft. Facebook wird eine wichtige Informationsquelle und wir bekommen Bilder aus der Nachbarschaft. Volos trifft es hart:

… und meinen Friseurtermin auf Skiathos kann ich mir gepflegt in die Haare schmieren. Dort hinzufahren ist gegenwärtig gar nicht möglich, die Gegend liegt immer noch unter Dauerregen und Gewitter und es herrscht eine Ausgangssperre, wie uns die Behörden per Cell- Broadcast mehrmals wissen lassen.

Die Fußgängerzone, in der ich mit meinen Freunden einen Teil meines 50. Geburtstages feiern wollte, ist ein Fluss geworden.

Wir liegen hier im Moment jedenfalls sicher, bewegen uns vorläufig nicht vom Fleck und stellen den Provider wieder auf Vodafone um, da COSMOTE erneut Schwierigkeiten mit dem Internet hat. Vermutlich hat einer der vielen Blitze eine für uns wichtige Antenne zerstört.

Die Flutkatastrophe hat es bis in die deutschen Nachrichten geschafft und ich bekomme die berechtigte Frage bestellt, ob die Reise meiner Freunde in ein Katastrophengebiet für meinen Geburtstag in fünf Tagen überhaupt Sinn ergibt. Wir wissen es nicht, können jetzt nur von dem einen auf den anderen Tag schauen und warten, dass das Tief endlich weiter zieht und man dann sieht, was noch steht.

5 Gedanke zu “Nördliche Sporaden (GR) – Die Flutkatastrophe”
  1. Lieber Matthias,

    Da ist ja nochmal alles gut gegangen, Dank Deiner inzwischen glaube ich reichlichen Erfahrungen im Mittelmeer und mit den Umständen . Da waren meine 5 Monate auf meiner MOYENNE in der Ostsee ja ein Kinderspiel.

    LG GUSTAV

  2. Lieber Matthias,
    ich habe gerade mit viel Interesse den spannenden Bericht von dem Gewitter in Griechenland gelesen. Wir kennen uns aus Neustadt und waren mit euch beiden zusammen Essen (Axel und Josef von der Timpe Te).
    Die Nacht ist auch mir noch in intensiver Erinnerung. Wir waren mit Freunden auf Chartertörn von Athen aus. Für das Unwetter hatten wir Zuflucht in Porto Heli gesucht. Der öffentliche Hafen war leider voll. Der private Hafen ließ trotz freier Plätze niemanden rein. So haben wir in der Bucht vor dem Hafen geankert. Wir haben noch nie ein solch heftiges Gewitter erlebt. Einziger Schaden war aber dann ein Zusammenprall mit einem losgerissenen Ankerlieger. Einen Kat in der Nähe hat es leider vom Blitz getroffen erwischt. Erst Feuer, später explodiert. Aber die Crew konnte unversehrt vorher das Land erreichen.
    Ich selber werde um die Jahreszeit nicht wieder Griechenland zum Segeln ansteuern. Das zweite mal ein derartiges Unwetter dort reicht mir.
    Aber Griechenland ist super. Hat uns immer gut gefallen. Auch wenn die Timpe Te noch weiter in der Ostsee bleibt.
    Euch beiden weiter eine gute Zeit und ganz liebe Grüße,
    Josef

    1. Hallo Josef,
      freut mich sehr von euch zu lesen, wir erinnern uns gut an euch und haben auch hin und wieder von euch und euerer 38’er gesprochen. Das waren die magischen ersten Tage, ich denke gerne daran zurück.
      Ja, Griechenland ist wirklich ambivalent. Wir würden uns dort wegen der extremen Hitze auch nicht noch mal im Sommer auf dem Boot aufhalten wollen, von den Unwettern im Herbst ganz zu schweigen. Aber ich bin mir heute schon sicher, dass wir Griechenland vermissen werden.

      Ich wünsche euch alles Gute, haltet in der ostsee durch, bis wir dort in 2-3 Jahren wieder vorbei kommen werden 😉
      Matthias

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