Filip möchte nicht fliegen, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. Dem 2 Grad Ziel zuliebe versucht er, und damit wir, etwas im Kleinen beizutragen, was die anwesenden, gewählten und teilweise nicht anwesenden und nicht gewählten Führer der Welt in Glasgow der vergangenen Tage im ganz Großen diskutierten, um die Welt nicht zu sehr aufzuheizen und damit für kommenden Generationen bewohnbar zu halten.
Auf der Seite The man in seat 61 sind europäische Zugverbindungen zwischen den Metropolen beschrieben, hauptsächlich die Nachtzugverbindungen, mit denen man quer durch Europa kommt. Gerade die haben mich angefixt. Man reist, während man schläft und kann verfügbare Zeit in das Erleben der Reise investieren, anstatt wie üblich, darüber hinwegzufliegen, womit sie nicht verloren, sondern bereichernd wirkt. Die Reise selbst als mehr als das notwendige Übel, um die Distanz zwischen A und B zu überwinden. Soweit unsere Motivation.
Mit dem ursprünglichen Routenvorschlag von Seat61 wollten wir per Nachtzug von Lissabon nach Hendaye, einem französischen Grenzstädtchen bei Irun im Baskenland fahren. Dort geht morgens der TGV, der einen dann in 4:45 Stunden nach Paris bringt. Der ICE schließt mit 3:40 Stunden nach Frankfurt an. Die Strecke war somit in einem Tag und einer Nacht machbar; Aufenthalte unterwegs aus touristischen Zwecken sind nicht ausgeschlossen.
Leider hat Spanien einseitig den ehemals mondänen, aber mittlerweile stark defizitären Nachtzug Sud Express von Lissabon nach Hendaye zu Beginn der Pandemie eingestellt und bereits so viele Wagons verkauft, dass Portugal in nicht weiter betreiben konnte. Es war der letzte Rest einer traditionellen Verbindung, mit der man ehemals von St. Petersburg über Paris nach Lissabon kam, um dort ggf. den Überseedampfer zu nehmen.
Nachdem klar wurde, dass unser ursprünglicher Plan nicht funktionieren wird, hat Filip einen neuen Plan ausgearbeitet, der so heute auch tatsächlich als eine Alternative auf Seat 61 genannt ist, während die Seite zum Zeitpunkt unserer Recherchen noch die Nachtzugverbindung nannte.
Zur Planung solcher Touren ist der Navigator der Deutschen Bahn relativ gut. Das Besondere an der App ist, dass sie fast alle europäischen Verbindungsdaten kennt. Man kann sogar eine Verbindung von Portugal aus abfragen, die aber nur dann sinnvoll (weil kurz) wäre, wenn man das am Stück fahren möchte, was aber natürlich eine Tortur darstellt.
Noch besser gefallen hat uns zur Planung, Ticketkauf und Reservierung aber die App von Trainline, mit der wir die einzelnen Reiseabschnitte separat geplant und zusammengestellt haben. Da wir das nicht einem Rutsch abgefahren sind und auch nicht nachts fahren wollen, war der Streckenverlauf anders.
Wir verlassen mit den Tickets und Reservierungen in der Tasche am 21.11. das Boot und fahren zunächst mit dem kleinen Mietwagen nach Lissabon, wo wir einen Tag bleiben. Dann geht weiter zu einem extrem coolen Hotel, dem Noah Surf House, das uns bei unserem Törn vor einem Jahr mit dem Boot die Küste runter so gut gefallen hat. Filip leiht sich ein Skateboard und skatet im hauseigenen Skatepark, zusammen mit dem Vater und seinen drei Kindern einer Schweizer Familie.
Ich dagegen habe einen kleinen Ofen auf unserem Bungalow, den man mit Holz befeuern kann. Da ich hier nicht reguliert werde, habe ich freie Hand und kümmere mich in einer Weise um den Ofen, dass ich 3 Stunden später die Tür und Fenster mal öffnen muss, damit die Hitze aus dem Zimmer rausgeht. Herrlich!
Wir fahren dann weiter nach Porto, wo wir uns einen Aufenthalt von drei vollen Tagen eingeplant haben. Hier geben wir auch den Wagen ab. Flip tigert durch Porto, das sich bisher als unser Favorit der gesamten Reise unter Segeln herausgestellt hat. Nirgendwo finden wir diese konzentrierte Art von Kultur, Architektur, kulinarischer Szene, freundlicher Aufgeschlossenheit der Portugiesen, mit denen man fast durchgängig gut auf Englisch kommunizieren kann, wie hier. Ich muss zwei Tage voll arbeiten und nutze den Aufenthalt so. Dann geht es mit der eigentlichen Zugreise los.
1. Reisetag (Porto (PT) -> Vigo (ES)
Von Porto fahren wir morgens zunächst für 30 EUR für uns beide in der 2. Klasse zwei Stunden nach Vigo, wo die Reise für diesen Tag bereits wieder endet, da es dort zur Ankunftszeit schon keinen sinnvollen Anschluss mehr gibt. Über Nacht fahren wollen wir mit dem Zug im normalen Sitzen ja nicht.
In Vigo haben wir mit 52 EUR ein günstiges B&B Hotel. Leider haben unsere Rolltaschen, durch ihren Inhalt, ein erhebliches Gewicht. Somit ist auch ein Fußweg von 10 Minuten mit Taschen, Rucksäcken und sonstige Umzugsplunder eine mittelschwere logistische Herausforderung. Wir werden mit einem ziemlich kitschigen, aber deswegen auch wunderschönen Weihnachtsmarkt belohnt.
2. Reisetag Vigo (ES) -> San Sebastián (ES)
Am zweiten Tag fahren wir morgens dann mit der spanische Eisenbahn weiter. Der Zug sieht extrem schnell aus, … , nun er sieht wenigstens so aus. Immerhin ist er angenehm leer und auch in der zweiten Klasse sehr komfortabel!
Die erste Stunde ist etwas verwirrend, da wir noch mal ein Stück durch Portugal fahren, bevor es zurück nach Spanien geht. Portugal ist in einer anderen Zeitzone, das Handy bucht sich in Portugal ein, stellt sich in der Zeit um und es ist plötzlich eine Stunde früher, dann geht es zurück nach Spanien und man verliert wieder eine Stunde. Hübsch verwirrend, da uns das nicht klar war. Wir haben zunächst ziemlich an unserem Zeitgefühl gezweifelt. Wir fahren entspannt weiter, quer durch Nordspanien.
Die Strecke führt über das kantabrische Gebirge (noch nie gehört, musste ich googeln) und sehen: Schnee! Ein Schock. Wir sind noch nicht mal halb angekommen, haben vor ein paar Tagen noch mittags kurze Hosen angehabt und müssen uns optisch jetzt damit abfinden:
Ich muss mir von einem Freund noch schreiben lassen, dass alle Welt weiß, dass es in Nordspanien einen Wintereinbruch gab. Na gut. Mein Fehler. Kaum vom Boot runter hatte ich tatsächlich kein Wetterrouting mehr gemacht und wurde somit schuldhaft vom Wetter überrascht.
Wir verarbeiten das und kommen nach 9 Stunden Fahrzeit in Vitoria, der Hauptstadt des Baskenlandes, an. Hier steigen wir in Richtung San Sebastián an der Spanisch- / französischen Grenze um, das wir 1,5 h später gegen 19 Uhr erreichen.
Hier gönnen wir uns einen Tag Aufenthalt. Das hatten wir vorab so geplant, um auf der Reise was zu sehen. Dass die Wahl auf San Sebastián fiel, war purer Zufall. Wir hatten beide keine Vorstellung von der Stadt. Als wir dann jetzt losziehen und durch die Altstadt laufen, bekommen wir den Mund nicht mehr zu. So unglaublich schön!
Die Altstadt sieht fast aus wie Venedig, nur ohne Wasserläufe. Ich lese, dass es hier eine bemerkenswerte Dichte an Sternelokalen gibt, und was nicht alles. Leider ist die Marina winzig und der Ankergrund alles andere als geschützt. Mit dem Boot, vielleicht irgendwann, wird das schwierig.
3. Reisetag San Sebastián-> Frankfurt
Am nächsten Tag erreichen wir das europäische Eisenbahnhochgeschwindigkeitsnetz (schon erstaunlich, was für Worte man im Deutschen bilden kann) und machen damit mit Abstand die meisten Kilometer in der kürzesten Zeit.
Zunächst geht es mit dem Nahverkehr über die Grenze nach Hendaye…
…einem französischen Kaff, dessen für uns herausragendste Eigenschaft es ist, dass hier der TGV abfährt.
Da der Aufpreis für die 1. Klasse nur gering war, hatte ich diese gebucht. Die gesamte Strecke von Hendaye nach Paris kostet für uns beide so nur 158 EUR. Der TGV ist ein Doppeldecker, natürlich buche ich einen Platz im ersten Stock.
So sieht die Röhre dann von innen aus:
Der Zug fährt wie folgt:
Ab Bordeaux wird dann nicht mehr gehalten, es geht ohne Stop mit durchgängig 300 – 330 km/h nach Paris. Ich bekomme sogar eine Auszeichnung verliehen:
Weniger sensationell ist das Umsteigen in Paris. Wir kommen am Bahnhof von Montparnasse im Süden Paris‘ an. Der ICE nach Frankfurt fährt im Gare d‘Est ab, das im Nordosten liegt, womit die Bahnhöfe 5,6 KM entfernt voneinander liegen, getrennt von der Kleinigkeit des Zentrums der Pariser Innenstadt.
Die Metro benötigt theoretisch 14 Minuten, wird in Google Maps mit erheblicher Verspätung und Zugausfällen wegen Baustelle dargestellt und fährt natürlich nicht in unserem Ankunftsbahnhof ab, sondern in einer Metrostation in der Nähe, deren Richtung wir aus dem Bahnhof kommend, das schwere Gepäck ziehend, kaum ausmachen können. Ich breche dieses Himmelfahrtskommando sofort ab. Wir haben eine gute Stunde für das Umsteigen und keine Zeit für diese Art von absurden Experimenten. Wir nehmen ein Taxi, das uns in 20 Minuten fährt. Immerhin schaffe ich es so, noch ein Foto vom Eiffelturm zu machen.
Der ICE fährt pünktlich ab, ist ebenfalls mit über 300 km/ h schnell und auch ziemlich voll, bis wir in Brüssel Strasbourg ankommen und fast alle aussteigen. Dann geht es über die Baden-Baden( warum auch immer), Karlsruhe und Mannheim nach Frankfurt weiter. Wir zahlen für zwei in der 1. Klasse 113 EUR und benötigen 3:40 h bis Frankfurt.
Fazit
Ich war zu Beginn der Reise etwas muffelig. Gerne hätte ich mich einfach in Faro in den Lufthansa- Flieger gesetzt und wäre gut 3 Stunden später in Frankfurt gewesen, anstatt das Ganze in drei Tagen, wenn man die Zwischenstopps nicht mit rechnet, zu machen. Zugefahren an sich ist aber nicht schlimm, wir sind bequem gefahren, haben in Vigo den schönen Weihnachtsmarkt gesehen, dort an der Marina gestanden und darüber nachgedacht wie das war, als wir vor über einem Jahr dort lagen. Wir haben San Sebastián zufällig kennengelernt und uns den Ort mit 12 Kilometer laufend erschlossen. Man erlebt deutlich mehr, es hat sich für mich unbedingt gelohnt, auch wenn der zeitliche Einsatz erheblich war.
Ich werde das nächste Mal versuchen, mit leichterer Tasche zu reisen und wünsche mir, dass wenn ein Land schon keine Hochgeschwindigkeitszüge hat, es dann wenigstens gescheite und bezahlbare Nachtzugverbindungen erhalten sollte. Es gibt von Lissabon nach Madrid keine direkte vernünftige Zugverbindung. Ich kann es immer noch nicht glauben. Und das Umsteigen in Paris ist ein Skandal, dem wir das nächste Mal vernünftigerweise wohl dadurch versuchen zu begegnen, indem wir ein paar Tage dort bleiben. Dann fällt der Missstand nicht so auf. Wenn man aber ernsthaft und nachhaltig Reisende von der Bahn überzeugen will, müssen diese Lücken geschlossen werden.
Das war nun der letzte Post für dieses Jahr. Mir hat das Schreiben auch weiterhin Spaß gemacht und ich bedanke mich für die Rückmeldungen online und offline, die mir fast allein die Motivation für den Aufwand des Projekts hier geben! Ohne diese würde ich mir nicht vorstellen können, dass das alles ernsthaft noch jemanden außer mir interessiert, geschweige denn liest.
Es war ein schönes atlantisches Jahr. Wir werden sehen, wohin uns die Reise nächstes Jahr führt und ob es tatsächlich mediterran wird und wie lange es das dann bleibt. Ich wünsche dir, lieber geneigter Leser, eine schöne Adventszeit und ruhige See, bei angenehmem Wind aus der richtigen Richtung in ansonsten so stürmischen Zeiten. Ahoi!
Vielen Dank für die schönen authentischen Berichte über Eure Reise.
Die Eindrücke in den Segelalltag mit all den Höhen und Tiefen und die kulturellen und touristischen Einblicke.
Immer weiter eins zwei drei! Schön gesund bleiben.
Mit seglerischem Gruß
Hansjürgen Bothe
Vielen Dank für die schönen authentischen Berichte über Eure Reise.
Die Eindrücke in den Segelalltag mit all den Höhen und Tiefen und die kulturellen und touristischen Einblicke.
Immer weiter eins zwei drei! Schön gesund bleiben.
Mit seglerischem Gruß
Hansjürgen Bothe
Lieber Matthias, wie schade, dass eure Segelreise für dieses Jahr endet. Ich hoffe, es geht nächstes Jahr für dich oder euch weiter. Freue mich von dir und der oder dem Clipper 187 zu lesen. Bis dahin gehabt euch wohl. Schöne Weihnacht und einen guten Start in ein neues Jahr. Gustav
Ps. Hoffe dass ich nächstes Jahr um die gleiche Zeit schon schiffseigner eine 35Ds bin.😁😁
Lieber Matthias,
vielen Dank für die schönen Berichte eurer aufregenden Reise! Ich freue mich schon auf alles, was du nächstes Jahr mit uns teilen wirst – irgendwie hat man oft das Gefühl, man sei dabei…. 🙂. Ich wünsche euch eine schöne Adventszeit und besinnliche Weihnachtsfeiertage! Lieben Gruß und auf bald, Christiane
Lieber Matthias
Zitat:“ Mir hat das Schreiben auch weiterhin Spaß gemacht und ich bedanke mich für die Rückmeldungen online und offline, die mir fast allein die Motivation für den Aufwand des Projekts hier geben!“ Doch wirklich – es ist total schön, durch den Blog ein kleines Bisschen mit dabei sein zu dürfen. Den Zugang hatte ich ja im Sirius Eigner Forum gefunden und teile mir seit dem den Lesegenuss ein. Maximal einen Eintrag jeden Tag nach Feierabend um in gute Stimmung zu kommen!
Am heutigen Blog hat mir besonders das Bahn Experiment gefallen. TEE also TransEuropaExpress war ein Thema in meiner Jugend – und Ihr habt Recht – es wird Zeit für eine Neuauflage.
Also vielen Dank erstmal wieder für ein Jahr Abenteuer mit Clipper, an denen ich teilhaben durfte.
Herzliche Grüße – Frank
Hallo Frank,
die vielen Dank, dass du mich an deiner Freude teilhaben lässt, die du beim Lesen hast. Es kann kein größeres Lob geben, danke dafür!
Viele Grüße
Matthias