Seit dem 19. Mai sind wir bereits wieder zurück auf dem Boot in der Marina Segur – Calafell, eine Stunde südwestlich von Barcelona und verleben herrlich ruhige, meist sonnige und zunehmend warme bis heiße Tage in unserem unaufgeregten Bordalltag.

Das Routing mit dem Zug hierher ließ uns in Zürich treffen, wo wir zwei Tage blieben, um dann an einem Tag über Genf nach Lyon zu kommen, wo es schließlich mit dem TGV nach Barcelona weiterging. Von dort kamen wir mit dem Nahverkehr abends in Calafell an, was alles ausnahmslos gut funktioniert hat.

In Zürich war die Anwesenheit der hier zahlreich niedergelassenen Großbanken von erheblichem Vorteil. Es stellte sich nämlich heraus, dass ein Abendessen im Restaurant in Zürich ein dermaßen großes Finanzpolster voraussetzt, dass man dieses bei den derzeitig noch üblichen Zinssätzen am besten mit Fremdkapital beschafft, dass man vorzugsweise von Banken bezieht, die an die Vergabe von großvolumigen Krediten gewöhnt sind. Natürlich ist dies selbst für diese Klientel eine bedeutende Aufgabe, gleich mehrerer Restaurantbesuche zu finanzieren. Aber man schließt sich dann zusammen und teilt sich das Ausfallrisiko. In unserem Fall waren drei Großbanken notwendig, die nur zusammen in der Lage waren, uns das Kapital für unseren Aufenthalt zur Verfügung zu stellen. Die dritte Bank kam dazu, als klar wurde, dass wir uns obendrein noch den Luxus eines Hotelzimmers für unseren zweitägigen Aufenthalt leisten wollten. Dass wir uns deutlich am unteren Ende der möglichen Preise orientierten, die man in Zürich in der Lage ist für eine Nacht zu lassen, half nicht.

Leider schaltete sich die Zentralbank bei der Frage ein, ob sogar ein Nachtisch bei den Abendessen möglich wäre. Die finanztechnische Begründung hatte ich nicht ganz verstanden. Es ging aber irgendwie darum, dass unser kurzfristiger Bedarf an Schweizer Franken, die wir ja ausschließlich mit Euros kaufen müssten, so groß wäre, dass man Auswirkungen auf den Währungskurs nicht mehr ausschließen konnte. Immerhin sei der Wechselkurs zum Euro aus unserer Sicht derzeit besser den je und das wollen man sich durch unsere Extravaganz nicht kaputt machen lassen. Wir hätten uns hierzu die Schweizer Franken frühzeitig und in kleineren Tranchen am Kapitalmarkt beschaffen müssen, nicht alles so kurzfristig und auf einmal.

So blieben wir ohne Nachtisch, besuchten aber im Rahmen einer Stadtrundfahrt mit dem Bus, dann zu Fuß und schließlich ein Stück mit dem Boot über den Zürichsee das Schokoladenmuseum der Firma Lindt, bei der reichlich Schokolade, selbstverständlich ausschließlich zum Zwecke der professionellen Verköstigung und auf keinen Fall zum banalen Genuss, inbegriffen war.

Auch diese Stadtführung verursachte Kosten, die wir sonst für einen Leihwagen für deutlich mehr als eine Woche gewohnt sind. Wir reisen schnell weiter, auch wenn Zürich ein moderner, herrlich ruhiger und unaufgeregter Ort an einem wunderschönen See ist. Die mir sehr sympathischen Einheimischen und erst recht die dort sonst an den Hängen des Zürichsees logierende ausländische Klientel weiß schon, wo es schön ist. Insbesondere die, die das Geld für einen Nachtisch in Form von Eigenkapital direkt mitbringen. Verrückte Vorstellung, aber solche Leute soll es hier viele geben!

Ein Nachspiel hatte das Ganze für die Schweiz dann doch. Wie ich im Nachgang höre, musste die Zentralbank unlängst die Leitzinsen erhöhen. Ich vermute, das waren wir mit unseren absurd hohen Ausgaben, die die im Umlauf befindliche Geldmenge bei den Eidgenossen derart vergrößert hatte, dass man die nun daraus resultierende Inflationsgefahr nicht anders in den Griff zu bekommen gedenkt.

An Bord in Calafell angekommen packen wir erst mal aus, leben uns neu ein. Der Hafen ist sicher und mit 15 EUR pro Nacht besonders für den Mittelmeerraum günstig, was uns hierher statt zum Beispiel nach Barcelona selbst gebracht hatte. Dafür ist es hier auch relativ tot und abgeschieden. Die Tage plätschern sommerlich und ruhig dahin. Gerade unter der Woche ist der Hafen sehr still und ein Fußgänger auf dem Steg oder eine leichte Brise sind die Aufreger des Tages. Herrlich! Ich installierte alle Sonnensegel, die uns Schatten spendend hervorragende, aber zunehmend auch dringend notwendige Dienste leisten.

NMEA Gateways

Im Reisegepäck habe ich viele Mitbringsel für den Clipper, auch viel Technisches, das ich in den letzten Wochen entdeckt und dann zum Einbau geplant hatte. In den meisten Fällen war Gilles von der Balena, einer ziemlich hoch gerüsteten Sirius 35, der Ideengeber. Dazu geht es an das Allerheiligste des Clipper, also den NMEA Backbone, das interne nautische Bordnetzwerk, über das alle navigatorischen Geräte wie die Plotter, Anzeigen, Tiefen- und Windgeber, der Autopilot, Kompass und GPS etc. miteinander kommunizieren.

Dort wird nun ein NMEA 2000 to Ethernet Gateway von Yachtdevice angeschlossen, der je nach Konfiguration Daten zwischen dem regulären Computer LAN des Bootes und dem NMEA Seatalk Netzwerk von Raymarine hin- und herschiebt. Das ist eine tolle Sache, da man sich so die Daten des Boots auf PC oder Tablet für verschiedene Zwecke zunutze machen kann. Hauptanwendung ist das halb automatische Führen eines elektronischen Logbuchs. Dazu werde ich für die interessierten Hardcore Segel-Nerds unter meinen Lesern ein eigenständigen Blogpost nur zu dem Thema schreiben, in dem ich zwei Kandidaten im Praxistest beschreibe. Das Thema würde hier den Umfang sonst sprengen.

Herausforderung war noch, dass mein Router für LAN und WLAN unterschiedliche Subnetze aufbaute, die naturgemäß nicht miteinander kommunizieren wollen. Eine Supportanfrage beim Hersteller brachte aber dann die Lösung, indem er das Modem per Fernwartung umkonfigurierte. Daran wäre dass Vorhaben beinahe vorläufig gescheitert. Als dann die ersten Daten nach einigen Tagen Schrauben und Konfigurieren am Tablet und PC ankamen, fühlte sich das an, als könne ich endlich die Matrix sehen.

Sicherheitsrelevant ist es allerdings auch. Wer sich in das LAN des Bootes gehackt hat, kann seinen Weg theoretisch weiter Richtung NMEA Netzwerk nehmen und im schlimmsten Fall den Autopiloten übernehmen oder das Boot mit fehlerhaften Navigationsdaten füttern.

Ein interessanten Vortrag zu dem Thema Sicherheit hatte ich im Internet gefunden und aufmerksam geschaut: Stephan Gerling – Hacking Yachts Remotely via Satcom or Maritime Internet Router

Ich schätze das Risiko allerdings für den Clipper als gering ein. Wir sind ja keine Superyacht, die über Satellit immer im Internet hängt. Entweder sind wir im Hafen, dann ist die Navigation aus, oder auf See und dann sind wir meist außerhalb des Internetempfangs. Das NMEA to Ethernet habe ich darüber hinaus so konfiguriert, dass es nur Daten aus dem Navigationsnetz rauslässt, aber keine rein.

Nachdem ich Daten aus dem Bordnetz heraus bekomme, geht es nun darum, weitere Daten in das Netz hinein zu speisen, um auch diese nutzbar zu machen.

Die nächste Errungenschaft sind dann auch zwei neue Thermostate, eines außen und eines innen, die ihre Erkenntnisse zur Temperatur freizügig zunächst an das Multifunktionsdisplay Pico von Simarine weiter geben. Letzteres ist Standard auf einer Sirius 35. Was nicht Standard ist, ist, dass die dort anliegenden Daten, vorwiegend Informationen zu Tankfüll- und Batterieladezuständen, nun ebenfalls dem NMEA Netzwerk zur Verfügung gestellt werden. Hier kommt also das zweite Gateway zum Einsatz. Gerade die Außentemperatur hatte ich bislang nicht, was aber häufig sehr interessant gewesen wäre. All das geht nun auch auf den Backbone, von wo aus es zentral wider ausgelesen werden kann.

Zu guter Letzt sollen auch die Motordaten in das Bordnetz, wie Betriebsstunden, Temperatur, Drehzahl etc., wozu es ebenfalls von Yachtdevice ein Schnittstellenmodul gibt, das als drittes Gateway mit im Gepäck war. Dies erfolgte als letzter Schritt, womit nun alle theoretisch interessanten Daten abfragbar vorhanden sind.

Schnaken und weiteres Interieur

Neben der Technik gab es noch ein Provisorium gegen Schnaken (manche nennen die Quälgeister auch Mücken, Mosquitos), sodass wir auch bei maximaler Durchlüftung einen Schutz gegen die Vampire haben. Viele gibt es hier zunächst nicht, aber eine reicht ja nachts und ich bin auch so zunächst jede zweite Nacht auf meiner schlafraubenden Jagt, da die Viecher manchmal doch ihren Weg finden.

Nachdem es allerdings immer wärmere wird, steigern wir uns in Richtung zwei Schnacken je Nacht und ich frage mich immer drängender, wie die Vampire hereinkommen. Schließlich beobachte ich am frühen Abend, wie eines dieser blutsaugenden Kreaturen das Netz in aller Ruhe abschreitet und nach seiner Lücke sucht. Diese paar Milligramm Gehirn reichen aus, einfach so lange unserem Geruch und unserem CO2 auf unterschiedlichen Wegen entgegenzugehen, bis die Lücke gefunden ist.

Einmal sind wir nachlässig und lassen das Netz nachmittags einige Stunden einfach im Wind unten offen wehen. Am Ende der nachfolgenden Nacht stehen sechs getötete Bestien auf der Abschussliste. Dass die meisten Ungeheuer allerdings vor ihrem Tod selbst zum Zug kamen, bezeugt das getrocknete Blut an meinen Händen, das am nächsten Morgen deutlich sichtbar von der nächtlichen Schlacht mit den Ungeheuern zeugt.

Da sich natürlich nicht alle auf einmal erlegen lassen und man nie sicher sein kann, jetzt alle erwischt zu haben, sind das jede Nacht einige Stunden, die an Schlaf verloren gehen. Zusammen mit der Hitze fängt das alles an, sehr an die Kondition zu gehen. Ich bereue jetzt außerordentlich, gegen den ausdrücklichen Rat der Werft damals, aus Kostengründen die Klimaanlage gegen Ventilatoren getauscht zu haben. Die Überlegung ist nun, diese vielleicht irgendwann, irgendwie und irgendwo nachzurüsten.

Ich verschließe fluchend jede weitere Ritze an den Fliegengittern. Ohne professionell angepasstes Netz, ggf. von einem Segelmacher hergestellt, brauchen wir wohl mit offener Tür nicht mehr in Moskito verseuchten Gebieten an den Start gehen.

Der Salon bekommt zusätzlich zu dem ab Werft eingebauten indirekten Licht aus der Pantry und Naviecke eine neue Lichterkette an der Backbordseite, die ihm abends nun zusätzliches warmes Licht spendet. Von außen sieht das jetzt noch heimeliger aus. Wir genießen so unsere Abende in dieser Atmosphäre.

Zu guter Letzt kam dann noch ein absolutes Highlight für die zerstörten alten Fendersocken per Post an. Neue Fendersocken mit eigenem Branding! So etwas kann man für Geld bei der Firma Fender- Design in Auftrag geben. Der Stolz des Besitzers kennt keine Grenzen mehr.

Barcelona

Die Woche vor Auslaufen machen wir noch eine Rundreise an der Küste. Wir sind zwei Tage in Barcelona, wo ich unter anderem einen Arbeitskollegen treffe. Sebastian ist mit Freundin hier im Urlaub. Wir hatten vor Monaten mal darüber gesprochen, dass er um die Zeit hier ist und es klappte tatsächlich kurz, uns zu sehen. Wir reisen erst am Sonntag an, da Barcelona im ganzen Monat an den Wochenenden restlos ausgebucht ist. Keine Chance auf ein Hotelzimmer zu normalen Preisen am Wochenende. Wir sind aber ja ohnehin um die Ecke ansässig und reisen mit dem Nahverkehr an, also geht es auch deutlich günstiger in der Woche. Ich habe hier in der Großstadt die Chance, noch ein bisschen Elektronik für meine Basteleien einzukaufen, insbesondere in einem dieser Läden mit den 1.000 Schubladen, die es nicht mehr so häufig gibt.

Ich war schon zweimal in Barcelona. Was ich aber aus völlig unbegreiflichen Gründen bislang nicht geschafft hatte, kann ich nun endlich auch erledigen: der Besuch in der beeindruckenden Kathedrale Sagrada Familia von Gaudí. Ich staune immer noch!

In Barcelona erwerben wir für 22 EUR ein Nahverkehrsticket für 3 Tage und machen damit fast alles. Zusammen mit Google Maps kommen wir so perfekt durch die Stadt. Die Kombination von Google Maps und dem Nahverkehr in einer großen Stadt ist immer wieder eine hochwirksame Kombination. In Zürich funktionierte das auch so gut, dass wir noch nicht mal an ein Taxi dachten.

Was wir hier nun ebenfalls erledigen, ist das zweite Fahrrad. Damit sind wir jetzt beide mit diesem so überaus nützlichen Fortbewegungsmittel ausgestattet und unternehmen in der Folge damit auch die ersten gemeinsamen Touren.

Meine neue fragwürdige Superpower

Am Ende der Woche gehen wir Billard spielen. Irgendjemand in dem Laden hat in seinem Parfüm gebadet, ich bin richtig wütend auf Mr. Unbekannt, zumal mich Filip dreimal knapp, aber zuverlässig im Spiel schlägt. Ich fühle mich sowieso nicht so toll heute und dann noch so ein Vollidiot, der mit regelrecht den Atem nimmt. Als wir wieder draußen sind, rieche ich das Parfüm noch 2 Meter entfernt auf der Straße und berichte Filip erbost davon. Der teilt mir dann mit, dass er erstens nichts dergleichen gerochen hat und er mir zweitens einen COVID Schnelltest vorschlägt, um damit ggf. meine neue Superpower zu erklären. So machen wir es, den ich fühle mich tatsächlich immer schlapper. Nach dem Test soll man 15 Minuten warten, ob sich der zweite Streifen entwickelt. In meinem Fall war der zweite Streifen schon nach 1 Minute da und böse Zungen behaupten gar, dass der Test weitere 3 Minuten später in Flammen aufging und sich nach 5 Minuten durch den Tisch brannte.

Ich bin also positiv und lege mich mit erhöhter Temperatur ins Bett, die sich dann die folgenden Stunden den Symptomen nach zu einer leichten Sommergrippe mit allem Drum und Dran entwickelt. Unangenehm, aber ich bin froh, dass ich noch ein bisschen Impfschutz vom letzten Boostern habe. Es ist das Pfingstwochenende. Für Dienstag und Mittwoch melde ich mich beim Arbeitgeber krank, das erste Mal seit Jahren („Seit 30 Jahren bin ich beim Fernsehen. Nur einmal war ich krank, 39 Fieber – und da war ich professioneller als der ganze Haufe hier zusammen!„). Na ja, ich versuche erst gar nicht, es Heinz Wäscher aus Kein Pardon gleichzutun und bleibe im Bett. Männergrippe, ich bin raus!

Filip folgt mir dann zwei Tage später. Ich werde irgendwann vom Gepflegten zum Pfleger und es ist zumindest gut, dass wir uns nicht beide gleichzeitig angesteckt hatten, sodass wir uns umeinander kümmern können. In Spanien jedenfalls ist COVID kein Thema mehr. Wir sind noch nicht mal in Quarantäne und können uns theoretisch frei bewegen. Man lässt es jetzt wohl jetzt einfach laufen.

Am Donnerstag bin ich zwar längst wieder fieberfrei, aber immer noch ziemlich durch den Wind. Wortfindungsstörungen vom Feinsten. Ich freue mich auf das zweite Wochenende, an dem immer noch viel geschlafen wird. So schnell ging es dann doch nicht, wie nach 5 Tagen gedacht.

Warten auf Wetter

Ich beobachte im Prinzip seit dem Einlaufen auch aus der Entfernung neugierig das Wetter für die Weiterreise, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das Segelwetter hier im Mittelmeer so ist. Es gab nur wenige Momente, in denen ich dachte, dass das jetzt ein passendes Wetterfenster für das Weiterkommen sein könnte. Pünktlich zur geplanten Abfahrt nach Mallorca gibt es dann tatsächlich eine gute und eine schlechte Nachricht.

Die Gute Nachrichten ist, dass der zur Fortbewegung notwendige Wind der übereinstimmenden Einschätzungen aller Modelle tatsächlich kommt.

Die Schlechte ist, wie kann es auch anders sein, dass er sich von den vielen möglichen Himmelsrichtungen, aus denen er pusten kann, genau diese aussucht, in die wir wollen. Es hilft nichts. Anstatt einen Tag werden wir zwei Tage für die Überfahrt benötigen. Aber noch eine Woche warten und auf bessere Umstände wetten, dauert noch länger. Ob es dann tatsächlich besser wird, ist auch nicht sicher, ich will endlich weg hier und die Modelle sind sich wirklich mal einig, dass dieser Wind auch der Richtung nach genau so kommt. Nur in der Windstärke sind sie sich nicht ganz einig, die Range liegt aber im akzeptablen Bereich:

Grund für diese Strömung ist ein kleines Tief über der nordafrikanischen Küste, das Luft nach Norden schaufelt und durch Mallorca und Menorca hindurchdrückt.

In der 1km Auflösung des französischen Arome Models sieht man schön den Wirbel, der hinter Mallorca entsteht.

Wir werden zunächst mit fast raumen Wind losfahren können und versuchen, so weit nach Osten zu gelangen, wie wir können. Dann soll es nachts durch das Flautenfeld durchgehen, um an den Wind aus der Düse zwischen den Inseln zu kommen, gegen den wir dann mühsam einen Tag lang ankreuzen.

Filip hat noch einen dritten und letzten Physiotherapie Termin in Barcelona, macht dort zusätzlich noch ein paar Besorgungen und kommt gegen 18 Uhr zurück an Bord. Ich hatte den Tag genutzt und das Hausboot in jeder Hinsicht wieder sauber, seeklar und überhaupt zu einem Segelboot zu machen, war Einkaufen, den Liegeplatz bezahlen, Wasser auffüllen und so weiter. Ab jetzt sollen Segel wieder zum Vortrieb durch Wind und nicht zum Abhalten der Sonne genutzt werden.

Die Wochenendsegler kommen gerade wieder von ihrer Tagestour in den Hafen zurück, als wir nach 8 Wochen Liegezeit die Leinen einholen und, wie die Sonne, hinter dem Horizont verschwinden. Der Wind kommt etwas stärker und in einem besseren Winkel, sodass es bis 4 Uhr morgens zu ganz anständigen Kursen und Geschwindigkeiten kommt. Dann sind wir im Windloch und die nächsten 5 Stunden muss der Motor mit langsamer Fahrt helfen, dort wieder hinaus und in das Windfeld zu finden.

Der Morgen ist dann zunächst wie gemalt…

…bis der Wind dann tatsächlich immer weiter auffrischt, um schließlich stabile 5–6 Windstärken zu erreichen, gegen die wir erfolgreich kreuzen. Das ist doch einiges mehr, als wir nach dem europäischen Wettermodell ECMWF hätten erwarten dürfen. Der Brite UKMO hatte hier eher den richtigen Riecher gehabt und ich nähere mich in meinem Routing an dessen Empfehlung an.

So versuche ich mehr nach Süden als nach Osten zu fahren, um mich am Rande des Windfeldes zwischen der Düse und dem Windschatten der Insel zu halten und nur soweit hinein zu kreuzen, wie es notwendig ist. Das Kämpfen gegen Wind und Welle fordert sehr zeitig seinen Tribut und Filip muss erneut dermaßen leiden, dass wir ein weiteres Mal eines dieser Gespräche ohne Lösung über den Sinn des gesamten Unterfangens Leben auf einem Segelboot führen. Sehr schwierig. Dabei ist es zwar wirklich ziemlich anstrengend, aber seglerisch auch nicht ohne Reiz. Bei 21 Knoten Wind, einem Windwinkel von 45°-50° und etwa 1-1,5 m Welle aus der gleichen Richtung machen wir immerhin 4,5 Knoten Fahrt, nachdem ich ins 2. Reff gegangen war und anschließend noch ein wenig hier gezupft und da getrimmt hatte, sodass ich nun sehr damit zufrieden bin, wie wir uns vorwärts bewegen. Ich bin aber der Einzige an Bord, der diesem Details etwas abgewinnen kann.

Auch außerhalb des Bootes passiert einiges. Seit dem Auslaufen gibt es eine Abfolge von Dringlichkeitsrufen und schließlich ein Mayday Relay am Samstag und noch einen am Sonntag. Das vom Samstag hatte ich inhaltlich gar nicht verstanden, das am Sonntagmittag dagegen sehr gut. Das Freizeitboot Dolce Vita ist in Seenot nördlich zwischen Menorca, von mir aus 42 Meilen (ca. 68 km) gegen den Wind, also weit weg. Auch die französische Küstenfunkstelle setzt eine Dringlichkeitsmeldung (Pan Pan) nach dem anderen ab. Allerdings alles auf Französisch und damit exklusiv für Französisch sprechende Seeleute, also nicht für uns.

Ich bin tags wie nachts außerdem sehr mit meinen beiden elektronischen Logbüchern und den neuen Datenanbindungen beschäftigt. Doppelte Buchführung sozusagen. Es ist ja eine Art Testfahrt für die beiden, um dann zu entscheiden, welcher Kandidat es zukünftig werden soll.

Zu Beginn der zweiten Nacht kommen wir ein ganzes Stück weiter in die Winddüse hinein, als ich das beabsichtige. Ich bin bei Filip in der Mittelkabine, wo es abgesehen von der Krängung des Bootes recht ruhig und behaglich zugeht. Er hat endlich eine Tablette genommen, danach geschlafen und zumindest die Seekrankheit damit in die Schranken gewiesen. Leider wird er Kopfschmerzen und Husten nach seiner Covid Infektion nicht los, was für ihn gerade eine doppelte Belastung ist.

Ferne Windgeräusche locken mich dann aber doch mal an den Navitisch und schließlich, mit der Weste ans Boot angeleint, nach draußen ins dunkle Cockpit. Wie ich feststelle, kreuzen wir mittlerweile gegen Böen von 30 Knoten an, alle Wetter! Freiwillig wäre ich hier nicht reingefahren, schon gar nicht im Dunkeln. Aber die Erfahrung ist es dann auch mal wert. Wenn ich nicht komplett falsch liege, machen wir selbst bei diesen Bedingungen mit dem Groß im 2. Reff und der kleinen Selbstwendefock – beide nicht allzu dicht geholt – immer noch Höhe am Wind und fahren mit respektablen 4–5 Knoten über Grund. Ich bin fasziniert, dass das geht und etwas besorgt, wie stark es noch pusten könnte und wende, um mit dem nächsten Kreuzschlag Abstand zwischen dem hier und uns zu bekommen. Es ist mir dann doch etwas zu gruselig und die Beanspruchung für das Boot und vor allem das Rigg muss enorm sein.

Filip bekommt von dem gar nichts mit. Erst als wir zwei lange Stunden später wieder in das Flautenfeld gelangen und der Großbaum anfängt zu schlagen, kommt er erschreckt in den Salon. Es ist erneut keine ruhige Nach. Für keinen von uns.

Von jetzt auf gleich ist der Wind weg. Noch 2–3 Knoten. Ich wende wieder zurück und komme aber nicht mehr an den Wind heran, der sich offenbar von uns entfernt. Wir müssen noch mal eine Stunde die Maschine bemühen, bevor wir mit 8-10 Knoten und hart dran unseren Weg Richtung Cap de Formentor fortsetzen. Südwestlich davon gibt es eine gut geschützte Bucht bei Port de Pollença, wo es ein großes Ankerfeld geben soll, das nicht zu voll ist. Das ist unser Ziel.

Am Morgen kreuzen wir fleißig in den Canal de Menorca hinein, runden erst kurz vor 13 Uhr das schroff aus dem Meer aufsteigende Cap de Formentor, welches sich spät aus dem Dunst hervor schält. Ist das Kap nicht auch der IAF (initial approach fix) für den Anflug auf den Flughafen hier?

Na ja, falls meine Erinnerungen nicht trügt, ist dies jedenfalls im Moment für uns von vernachlässigbarer Bedeutung. Wir fahren in die tief eingeschnittene Bucht ein und finden die Ankerbucht. Das Ankerfeld hat sicherlich noch die eine oder andere Lücke und wir versuchen in einer davon unser Eisen fest in den Boden zu bekommen, was einfach nicht gelingen will. Entweder hält er nicht oder wir haben zu viel Kette, dass wir den Nachbarn zu nahe kommen. Entweder müssen wir hier weit ab vom Schuss ankern, wo wir eine sehr lange Dinghyfahrt zum Hafen hätten, aber dafür die notwendige Kettenlänge ausbringen könnten oder wir legen gerade mal ein Minimum an Kette, dass es eben so hält und wir uns in unserer Lücke bewegen können. Dass manche an Bojen mit wahrscheinlich recht kurzer Kette liegen, vereinfacht das alles auch nicht.

Dann kommt auch noch ein Schlauchboot mit einem Herren, der eine Flyer hinüberreicht, auf dem erklärt ist, dass man auf Seegras bei Strafe nicht ankern darf. Das weiß ich zwar, wie ich aber jetzt in der Praxis in einem dichten Ankerfeld bei trübem Wasser auch noch DAS berücksichtigen soll, ist mir unklar. Wir haben bereits ein paar Stängel erwischt, wie unser Anker zeigt, der gerade unter dem Bug baumelt. Very bad meint der Herr und verschwindet.

Zwei Stunden lang versuchen wir, irgendwie unser Fleckchen zu finden. Die Nerven liegen am Ende blank, bis es dann doch einigermaßen passt. Einen Sturm werden wir bei der ausgebrachten Kettenlänge hier nicht abwettern können, auch kein Stürmchen. Aber für eine Nacht wird es hoffentlich gehen. Mann sieht es ganz gut an der Karte, wie aufreibend die Suche war:

Ich schwimme einmal um das Boot, was mal eine echte Erholung ist. Danach gehen wir an Land, erkunden das kleine Dorf und essen zu Abend. Zurück an Bord lüften wir das Boot mal anständig durch. Der Wind am Ankerplatz macht es möglich. Die Quittung erfolgt dann auch hier in der Nacht. Es werden 6 Schnaken, die im Boot zu töten sind und in der Hitze entsprechend wenig Schlaf. Filip versucht draußen in der Frische des Cockpits zu schlafen, was auch anfänglich gut funktioniert. Als der vierte Stich im Gesicht dann in die Unterlippe erfolgt, gibt er dort auf und kehrt nach drinnen zurück. Wir liegen ja ganz romantisch, können bei toller Wassertemperatur ums Boot schwimmen und leben und arbeiten auf unserem Clipper an einem Ort, an dem sonst nur Urlaub gemacht wird. Aber man muss sagen, dass zumindest hier neben viel Licht auch viel Schatten ist. Irgendwas machen wir hier falsch oder die anderen richtiger? Wir kommen so jedenfalls bei 28-30°C nicht zu einem erholsamen Schlaf und bringen daher die Praxis hier mit der Theorie nicht übereinander, die wir vorher von den Balearen in der Hauptsaison hatten. So fremdeln wir weiter mit dem Mittelmeer.

2 Gedanke zu “Von Segur – Calafell nach Mallorca (Malle): Zurück an Bord, neue Technik und COVID”

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