Mittwoch, 20.04. bis Montag, 25.04.2022

Gebannt starre ich auf vergleichende Strömungsfilme, Tabellen mit Informationen zu Mittelwind, Böen, Zeit und Ort. Versuche einen Weg zu finden, wo keiner ist, Dinge übereinander zubekommen, die chaotisch bleiben, eine einheitliche Aussage zu sehen, wo keine sein kann.

Die komplexen Wetterinformationen fügen sich nicht zu einem verbindlichen Wert zusammen, der einen segelbaren Weg aufzeigt. Nur in einem sind sie sich einig, wenn man willens und in der Lage ist, wenigstens das aus den Daten herauszulesen: Lass es! Nein, wir bleiben, wo wir sind, das ist es nicht wert! Ich will mich dieser Erkenntnis nicht verschließen.

Ich hatte im Blogpost Gran Canaria – das Match der Wettermodelle mal berichtet, wie ich mein Wetter mache. Dem vorangegangen war unter anderem mal ein Test, bei dem ich auf einem Chartertörn ca. 6 Monate vor Übernahme des Clipper auf Teneriffa eine Reihe von Wetterapps getestet hatte. Mit der anschließenden Erfahrung auf dem Weg entstand die im oben zitierten Blogpost beschriebene Vorgehensweise. Mein dort genanntes Maß aller Dinge war Seaman Pro von WetterWelt. Ein recht einfach zu bedienendes Programm mit einer einheitlichen Aussage zum Wetter, mit dem ich die letzten 1,5 Jahre sehr gut zurechtkam.

Die Aufgabe, die es jetzt aber zu lösen gilt, bringt mich ich an meine technischen Grenzen. Die Situation ist wie folgt:

Nach längerer Stabilität und ständigem Nordwind haben wir nun ganze vier Tiefdrucksysteme im Bereich Marokko, Ostspanien, Balearen und Südfrankreich, die für erheblich Durcheinander sorgen und uns so auf den letzten Drücker noch den Wind zu bringen, um hier rechtzeitig loszukommen. Wir wollen ja nach Hause, der Hafen für diese Zeit ist gebucht, da müssen wir aber erst noch hinkommen.

Das System über den Balearen schickt zusätzlich eine Okklusionsfront auf und uns in den Weg, wie in der Prognose unten zu erkennen ist. Am Donnerstagnacht geht diese mit Sturmböen, Regen und Regenschauer durch.

Das alles sorgt für chaotisches und somit schwierig voraussagbares Wetter zu einer Zeit, zu der wir da eigentlich dringend durch müssen, auch um unsere Verabredung mit Christian einzuhalten, der ja seine Bustour durch Europa mit uns abgestimmt hatte.

Wenn ich mir nun am Montag zur Planung das Bild in SeamanPro ansehe, will ich wissen, wann wir am besten losfahren, um die besten Bedingungen vorzufinden, wo wir dann genau lang müssen, um das Schlimmste zu umfahren und wie hoch der Fehlerfaktor ist, also wie groß die Gefahr ist, dass es doch anders kommt und wir uns mitten in der Nacht in einem Feld von Sturmböen wiederfinden. Fahren wir Dienstag, müssen wir kreuzen, oft hart am Wind, der kräftig, aber aus verschiedenen Richtungen kommt. Fahren wir am Mittwoch, kommen wir dann nicht in die Front rein? Das können Böen mit über 35 Knoten werden, gegen die wir nicht gegenan segeln und das mitten in der Nacht. Also wann müssen wir losfahren, um da irgendwie durchzukommen?

Das bekomme ich mit den unterschiedlichen Tools nicht mehr alles zusammen hin. Ich versuche, die Modelle in Squid gegenüberzustellen. Aber ich habe schon immer mit der Bedienung dieses Programms gefremdelt, es ist für mich einfach nicht intuitiv, gibt mir auch keine Hilfe zur Abfahrtszeitplanung, aber dafür laufend kryptische Fehlermeldungen und ist mir jetzt zu fummeling, immer wieder die gleichen Berechnungen mit unterschiedlichen Abfahrtszeiten durchzuführen. Die Ergebnisse müsste ich mir mit ihren Routen merken, um mir dann noch mal die Beste herauszusuchen und zu schauen, wie sich die Wettermodelle da zueinander verhalten. Das alles dann noch am Handy oder iPad, denn eine Desktop Variante gibt es nicht.

Der grobe Überblick in Windy ist ok, aber die Tourenplanung ist dort kaum den Namen wert und ein genauer Vergleich der Modelle entlang der Route gar nicht vorgesehen. Dafür ist es nicht gemacht.

Schließlich SeamanPro. Hier muss ich meine Tour selbst planen, kann diese eine der Strecke nach geplante Tour dann zu unterschiedlichen Startzeiten abfahren lassen und schauen, was das mit der Wegezeit macht, die ich für den Track benötige. Aber die Abfahrtszeit an Tag A hat einen anderen optimalen Weg, als dies an Tag B der Fall wäre. Ich muss aufpassen, dass die tolle Zeit, die ich auf einmal sehe, nicht durch das Durchfahren von viel zu viel Wind zustande kommt, den das Programm locker annimmt und einfach in Fahrt umwandelt, während wir im richtigen Leben da nicht so einfach durchkämen.

Kurz gesagt, ich schaue noch mal nach, ob es nicht doch ein Wetter-Programm gibt, dass mir mehr Tools aus einem Guss an die Hand gibt, um mein Verlangen nach Sicherheit durch mehr Informationen gerecht zu werden.

Was ich finde, ist ein alter Bekannter: PredictWind. Ich habe die App noch auf dem iPad und schaue mir erneut die Funktionalität an und sehe WeatherRouting und Departure Planning. Es sind auf den Punkt genau die beiden Funktionen, die ich suche. Eine Desktop Variante gibt es auch. Ich bin zunehmend begeistert, arbeite mich in das Programm hinein, das mir immer recht unsympathisch vorkam, und sehe auf einmal klar, verstehe das Programm nun.

Das war mal grundsätzlich anders. Wenn ich mich richtig erinnere, störte mich unter anderem gewaltig, warum ich einen Standort angeben muss, wo ich mir doch nur ein Strömungsfilm irgendwo ansehen möchte, so wie ich es aus Windy gewöhnt war. Mir war der Sinn dieser Angabe einfach unklar, auf die das Programm so vehement bestand. Auch und vor allem war ich mit der Vielzahl der Wettermodelle und ihren kryptischen Abkürzungen überfordert. Warum soll ich jetzt einem AROME mehr trauen, als einem GFS und ist jetzt ein SPIRE besser als ein UKMO oder doch ein PWE? Ich gab damals überfordert auf.

So kam ich auf Seaman von WetterWelt, die in Deutschland erheblich Werbung machen, wodurch ich sie schon kannte und bekam dort nur ein Wettermodell, mit der Aussage: Wir verraten nicht, was wir nutzen (Ich tippe übrigens auf ICON vom DWD), aber unsere Quelle wird von unseren Meteorologen sowieso noch einmal aufgearbeitet und ist damit unser Hausmodell, mit dem du immer gut fährst. Nimm dieses Wetter und baue damit deine Route. Und das tat ich auch mit gutem Ergebnis, bis heute.

Wenn ich jetzt aber in dieser komplexen Lage nicht eine steile Behauptung haben möchte, die mir Seaman bereitwillig und treu dreinblickend präsentiert, sondern lieber ein paar schwächere Argumente, um mir mit dem mittlerweile erworbenen Wissen meine eigene Meinung zu bilden? Ich schaue mir das Tool an, der Standort, der mich so störte, hat für den Routenplaner gar keine Relevanz. Er ist unabhängig davon zu sehen. Damit würde ich einfach nach einem Wetter an einem Ort schauen und bekomme dann dafür eine große Menge an Daten. Das ist also schon mal O. K.

Die meisten Wettermodelle kenne ich mittlerweile auch. Die Bedeutung der Unbekannten habe ich mir hier schnell angelesen. Einige nehme ich nicht so ernst wie das zwar kostenlose aber grobe amerikanische GFS. Andere dagegen sehr, wie das europäische ECMWF und noch eines, nämlich das UKMO Model aus UK, welches neu dazu kommt. Das geschieht, nachdem ich im Tool eine Funktion gefunden und ausprobiert habe, die die Treffergenauigkeit der letzten 7 Tage zwischen Prognose des Modells und tatsächlichem Wetter, gemeldet von den lokalen Wetterstationen am Standort, analysiert und als lokale Hitliste darstellt. Genial!

Ich investiere also stolze 275 EUR für ein Jahr in die Nutzung dieser Software, habe nun ein etwas komplexeres Wettertool als bisher in der Hand, das mir bereits viel Spaß bereitet und muss meine Skepsis gegenüber dieser Software aus Neuseeland aufgeben.

Nun verbringe ich einige Stunden mit meinem neuen Spielzeug. Die verschiedenen Modelle nebeneinander benötige ich jetzt, um zu sehen, dass bis Mittwoch gar nichts sicher ist. Das ist auch eine Aussage. Wenn die Modelle komplett unterschiedlich rechnen ist die Lage einfach nicht vorhersehbar. Das kann Windy zwar auch, hier ist es aber anders gelöst und gefällt. Das eine Model sagt nun, es werden 25 Knoten Mittelwind zu Beginn der Prognose, alle anderen sprechen von um die 5 – 10 Knoten zur gleichen Zeit, schön an Kurven abzulesen. Im Börsendeutsch würde mal wohl von einem großen Spread sprechen. Eine generelle Linie sieht man aber auch: viel Wind am 21. April um Mitternacht, dann weniger werdend.

Sicherlich wird am Ende das eine mehr recht behalten als das andere, und man hat seine Favoriten, die ich ja bereits im Windy anfeuern konnte, aber wenn so ein Bild entsteht, dann heißt das im Grunde: Fahr und finde selbst raus, wer gewinnt.

Hier rechnet ein Modell sogar, dass der Umweg bis fast nach Ibiza der beste Weg ist, um bis nach Sitges zu kommen. Das liegt auch daran, dass ich der Route ein paar Bedingungen auf den Weg geben konnte, welches Wetter, insbesondere welche Windstärken ich auf dem Weg nicht erleben möchte. Dann kommt schon mal so ein Umweg dabei raus.

Der Kalkulator für die beste Abfahrtszeit bringt eine sehr einfache Erkenntnis zutage, die man sich auf diese hier dargestellte Weise auch kompliziert erarbeiten kann: wenn du da nicht durch willst,

dann warte bis der Wind dreht und die Front durch ist. So mache ich es!

Diese Entscheidung stimme ich mit Christian ab. Wir werden nicht am Donnerstag eintreffen, sondern vielmehr erst am Donnerstagnachmittag losfahren. Wir haben dann zwei Tage Zeit, bis sich das nächste Ungemach ankündigt und in der Zwischenzeit eine interessante Route, über deren Verlauf sich die relevanten Modelle auch sehr einig sind und die im Bogen nach Sitges führt, immer bestrebt den besten verfügbaren Wind zu erwischen und somit deutlich besser ist als der direkte Weg.

Wir planen nun einfach um. Christian kommt mit dem Zug zu uns nach Valencia und segelt mit uns zurück nach Norden, wo sein Bus steht. So haben wir dann auch gemeinsames Segeln.

Am Mittwoch will ich mittags schon mal unsere Liegezeit im Marinabüro bezahlen gehen, solange es noch nicht regnet. In dem Moment, in dem ich mir die Schuhe anziehe, beginnt es aber und hört bis zum späten Nachmittag nicht mehr auf. Wir sind auf dem Boot damit gefangen und verleben einen sehr gemütlichen und ruhigen Nachmittag im Dauerregen. Abends müssen wir noch mal raus, da unser Frischproviant alle ist und wir ja knapp zwei Tage zu dritt sein werden. Es hört auf zu regnen und, wie es sich für eine vernünftige Front gehört, setzt nun sehr starker und böiger Wind ein. Unser Clipper ist gut fest und wir gehen los, an anderen Eignern insbesondere der ganz großen Segler vorbei, die ihren Besitz mit reichlich Leinen gerade zusätzlich absichern. Es bläst ganz schön und ich bin nur froh, da nicht durch gesegelt zu sein, nur um einen Termin zu halten.

Donnerstag bezahle ich die Marina, wir verabschieden uns von den Nachbarn am Steg, machen den Clipper über den Tag in aller Ruhe seeklar, was nach diesen zwei Wochen auch nötig ist. Unser Wohnraum hatte in der Zeit nicht allzu viel Zuwendung erhalten, ganz im Gegensatz zu Valencia, was man ihm nun ansieht.

Blitzblank geputzt und aufgeräumt geht es um 15:30 Uhr zur Tankstelle. Von dem günstigen Sprit aus Ceuta ist nicht mehr viel übrig, ich hätte gerne vollgemacht, um flexibel zu sein. An der Tankstelle angekommen lernen wir, dass wenn dieselbe bis 16 Uhr vorgibt offen zu sein, das nur solange gilt, wie der Tankwart überzeugt ist, dass noch jemand kommt. Entsprechendes war heute nicht der Fall, der Tankwart ist über alle Berge und wir somit für die Fahrt auf die 55 Liter angewiesen, die noch an Sprit da sind. In dem Moment kommt auch Christian angeradelt. Wir verstauen sein Klapprad, das Code Zero liegt bereits festgebunden auf dem Vordeck, wir werden es benötigen. Dadurch ist in der Backskiste reichlich Platz, allemal genug für nun zwei Prompton Klappräder.

Wir passen die Rettungsweste an unseren Passagier an und legen auch schon ab, denn der Wind, den wir brauchen, haben wir draußen bereits stehen. Wir fahren zügig aus dem Hafen, vorbei an der Reede und durch reichlich Verkehr hindurch, der zum Hafen strebt oder aus ihm hinausdrängt. Filip macht erst mal ein Brot, während wir Gulasch auftauen. So richtig hat heute noch keiner gegessen und die Mägen wollen gefüllt sein. Die See ist immer noch bewegt.

Ich habe den Track aus dem Wetterrouting in den Plotter eingelesen und der Clipper fährt den jetzt ab. Mal schauen, wie genau das am Ende passen wird! Es wird dann auch bald Abend und die Herrschaften ziehen sich nach und nach in ihre Gemächer zurück, was dabei helfen wird, über Magengrummeln und größere Irritationen hinwegzukommen.

Wir fahren so durch die Nacht, in der es die Herausforderung ist, wie üblich, mit niemandem zusammenzustoßen. Heute Nacht kommt noch hinzu, nicht gegen alte Vulkane zu fahren. Einer ist genau auf dem Weg und die Spitze eines Kraters ist so dicht unter der Wasseroberfläche, dass dringend geraten wird, da drumherum zu fahren. Auf einem anderen kam man auf offener See bei 25 Metern Wassertiefe Ankern, was in Anbetracht des Schwells von um die 2 Meter schon aus dem Grund nicht in Betracht kommt. Der größte Vulkanschlot, es handelt sich hier um den Columbrete Grande der Inselgruppen der Islas Columbretes, schaut aber ein ganzes Stück dunkel drohend aus dem Wasser, als wäre er die Sommerresidenz Saurons.

Nach und nach stehen alle auf. Ich versorge Christian und mich mit reichlich Kaffee, Filip trinkt von dem Teufelszeug nichts, das ihn eh nur hibbelich macht. Ich stelle zur Diskussion, in den Vulkankrater der größten Insel hineinzufahren, was wir dann auch angehen. Die Ankunftszeit in Sitges ist eh am frühen Morgen. Ob wir hier jetzt etwas Zeit investieren oder nicht, ändert an Sitges nicht viel und wir sind uns auch einig, dass wir hier wohl so schnell nicht wieder vorbeikommen werden.

Auf der Insel sind ständig 2–3 Wächter, die den Naturpark bewachen. Ansonsten sind die Inseln unbewohnt und man muss um Erlaubnis fragen, wenn man hier an Land möchte. Für einen der Wächter sind wir vermutlich die Attraktion des Morgens, wie wir uns aus dem Morgengrauen von See kommend herausschälen. Er steht oben am Leuchtturm zwischen Säulen, die vermutlich um eine Terrasse herum laufen. Vielleicht ist Sauron ja sogar gerade zu Hause und blickt finster auf uns hinab? Nein, wir haben den Ring nicht.

Wir wollen hier nicht mal an einer der Bojen fest machen. Dafür steht zu viel Dünung im Krater, es wäre zeitlich dann doch zu viel und wer weiß schon, ob Sauron da oben bereits gefrühstückt hat oder mangels Nahrung noch schlechter gelaunt ist, als ohnehin schon. Wir drehen aber unter Maschine eine Runde an diesem sehr beeindruckenden Ort…

…bevor wir ins sicherheitshalber wieder auf den Weg machen.

In der Yacht oder auf Blauwasser.de war vor längerer Zeit ein Artikel über diese Inseln, den ich recht spannend fand. Dort heute vorbeigeschaut zu haben, war für mich etwas Besonderes. Für alle von uns war es in jedem Fall beeindruckend.

Wir segeln weiter, kochen, essen. Der Nachmittag vergeht bei Unterhaltungen und Ratespielen. Ich darf mal 1–2 Stunden schlafen, während die anderen beiden aufpassen.

Der Nachmittag kredenzt uns dann noch einen zweifelhaften Höhepunkt in Form eines Delfins, genau gesagt eines Regenbogen-Plastik-Delfins, der sich, mit Helium gefüllt, irgendwo vielleicht von einer Kinderhand befreite, auf See vertrieb und hier nun als Plastikmüll seine Reise durch die Nahrungskette antritt, um zu einem kleinen Teil vielleicht irgendwann zu dem dann erwachsenen Kind über einen leckeren Fisch zurückzukehren. So romantisch! Vor lauter Rührung versäumen wir es, den Müll aus dem Wasser zu fischen.

Die zweite und damit auch letzte Nacht bringt eine Menge Verkehr, der mich beschäftigt. Dabei gab es eine Ausweichsituationen mit zwei Schiffen gleichzeitig.

Alle ändern früher oder später ihren Kurs, umfahren uns, während ich etwas helfe und meinerseits Platz schaffe, ohne dass ich erkennbar meine Kurshaltepflicht verletze. Der Kontakt auf Steuerbord voraus wird uns später dennoch so beeindruckend knapp passieren, dass ich die Maschine schon anhabe, um im Zweifel Manöver des vorletzten und letzten Augenblicks fahren zu können. Deren Weg ist Zeit und Zeit ist Geld und ich bin der Schwächere….

Was mich ebenfalls nur kurze Schlafintervalle machen lässt, ist der Umstand, dass wir jetzt auf eine Küste zufahren. Während des Interwallschlafs zu verschlafen, wäre hier suboptimal, da Küsten gemeinhin zuverlässig, aber sehr unsanft und mit weitreichenden Konsequenzen wecken. Um 1:10 Uhr setzte ich das Code Zero und nehme das Groß weg, wir sind auf Vorwindkurs. Um 3:20 Uhr nehme ich die Maschine mit langsamer Fahrt dazu, um schließlich um 4:45 Uhr alle Segel zu bergen und unter Maschine und weiterhin langsamer Marschfahrt weiterzufahren. Wir konnten ja nicht tanken und ich muss jetzt wirklich sparsam sein. Es graut dem Morgen und vor uns kommt die Küste in Sicht, wo sich im Dunst irgendwo Sitges verstecken muss.

Obwohl wir kaum Wind haben, soll dieser am frühen Vormittag noch kräftig auffrischen, was wir mal wieder an dem, dem Wind vorauseilenden Wellenbild sehen können, dass mit 1,5 bis knapp 2 m seinen höchsten Stand auf dieser Fahrt erreicht. Wir kommen dem Hafen nun nahe genug, dass ich uns schon mal über UKW Funk anmelden kann. Gegebenenfalls bekommen wir direkt unseren Liegeplatz, reserviert hatte ich ja. Die Marina meldet sich sogar direkt, fragt aber erst mal die Bootsabmessungen, insbesondere den Tiefgang ab.

Wir bekommen dann mitgeteilt, dass die Hafeneinfahrt derzeit nur ca. 4 Meter Wassertiefe hat, was bei unseren 1,66 m Tiefgang und der Welle dann schon mal im Wellental nur noch 1 Meter Wasser unter dem Kiel sein können. Uff, ok. Ich musterte die Wellen und entscheide, dass das Wellenbild ja recht einheitlich ist, also keine extremen Ausreißer. Ich gebe dann durch, dass wir reinkommen, da wir jederzeit ausreichend Wasser haben werden, um nicht aufzusetzen.

Was ich dabei etwas vernachlässige ist der bekannte Umstand, dass sich Wellen ja bei flacher werdendem Wasser gerne mal munter auftürmen und irgendwann auch schon beim Brechen beobachtet wurden. Das beginnen sie dann auch in der Einfahrt im Grunde wenig überraschend zu tun. Es folgt die haarsträubendste Hafeneinfahrt, die ich bisher hingelegt habe. Probleme mit Wellen gibt es ja immer mal. Viana do Castelo in Portugal war so was, aber im Gegensatz zu hier ein industrieller Hafen mit einer riesigen Einfahrt und viel Platz für Dummheiten. Garachico auf Teneriffa war auch holprig, aber am Ende harmlos.

Nicht so aber hier. Wir werden von jeder Welle achtern mehr angehoben, die unter uns durchgeht, während wir auf Nordkurs auf den Wellenbrecher zufahren, um dann über Steuerbord nach rechts in den Hafen einzufahren. Von See aus sehen Wellen immer harmloser aus, als vom Strand. Den Point of no Return haben wir hinter uns, ich habe keinen Plan B.

Ich halte mich schon nach Steuerbord, sodass, falls wir gedreht werden, es wenigstens in die richtige Richtung geht. Und so geschieht es dann auch. Die letzte Welle erwischt uns und der Clipper mit uns darauf wird zum Passagier der Welle, die uns achtern nach Backbord wegdreht. Ich bekomme unter Vollgas und Hartruderlagen die Kontrolle ein wenig zurück, wir schauen, jetzt 70° gedreht, in die Hafeneinfahrt. Weiter unter Vollgas, aber vom letzten Wellenrücken herabrutschend und somit fast auf der Stelle stehend, strebe ich langsam und mühsam in das vor mir liegende, ruhigere Hafenwasser, bevor die nächste Welle kommt. Ich wüsste nicht, ob ich den Hebel schon mal so lange auf voll voraus stehen hatte. Das macht man mit so einem Schiffsdiesel ja normalerweise nicht.

Es gelingt. Filip verkündet, dass sein Herz gerade wieder anfängt zu schlagen. Meine Hände zittern. Unser Gast Christian schaut nur interessiert. Auf spätere Nachfrage erklärt er, dass er mangels Erfahrung die Situation ja nicht einschätzen konnte. Nur unsere Anspannung blieb ihm nicht verborgen.

Ich nehme das Gas raus, um jetzt nicht dich den Hafen zu schießen und konzentriere mich auch die nächsten Aufgaben. Ich rufe den Hafen wieder und verkünde unsere Ankunft. Der Marinero winkt schon und weißt uns ein. Wir müssen rückwärts anlegen, die Mooring geht nach vorne. Filip fällt das erste Mal überhaupt ein Fender ins Wasser, den wir auch im zweiten Fender über Bord Manöver im engen Hafenbecken nicht mehr rausgefischt bekommen. Er lässt sich mit dem Bootshaken einfach nicht richtig schnappen und ich lasse es dann sein, es reicht!

Wir machen mit sehr professioneller Hilfe durch den resoluten, weiblichen Marinero fest. Was ist die weibliche Form von Marinero? Ich bin mir nicht sicher, ob die Sprache das vorsieht. Das Dinghy ist noch Achtern und stört ein wenig, aber am Ende sind wir provisorisch fest. Sie fragt noch, wie die Einfahrt war. Ich stapel tief und sage on the edge. Ich will versuchen, das nächste Mal auch zwischen den Zeilen zu lesen und konkret nachzufragen, wenn der Hafen Probleme bei der Einfahrt meldet. Später verholen ich das Clipperchen auf das Seitendeck, löse das Provisorium der Leine auf und mache den Clipper sturmsicher fest.

Ein anschließender Blick auf die Tankanzeige vermeldet noch 16 Liter Diesel im Tank. Da ist zwar noch Reserve nach der 0, aber es ist nicht allein wegen des zur Neige gehenden Diesels gut, dass wir angekommen sind.

Wir laufen in die schöne Stadt und suchen uns ein noch schöneres Restaurant, um Einlaufbier und Mittagessen zu uns zu nehmen. In meinem Fall, in exakt dieser Reihenfolge!

Auf dem Rückweg ist auch der Wind da, der zu den Wellen gehört, die wiederum die Wiedervereinigung mit ihrem Schöpfer durch neue Höchststände feiern. Wenn der Hafen vorher schon im Prinzip kaum noch erreichbar war, ist ein Einlaufen jetzt komplett unmöglich.

Christian radelt zurück zu seinem Bus, den er hier in der Nähe vor drei Tagen abgestellt hatte. Wir waschen drei Maschinen Wäsche, um schon mal die ersten Arbeiten vor Verlassen des Clipper zu erledigen. Am Nachmittag gehen wir erneut in die Stadt und auf dem Rückweg schüttet es dermaßen, dass sich große Pfützen auf der Straße bilden. Unsere Wäsche der letzten Maschine hängt draußen am Clipper. Ich habe restlos genug und ein echtes Tief.

Wir kommen hier her und ich investierte stolze 50 EUR pro Nacht für einen Hafen, was ein Geld ist, das wir noch nie für eine Marina ausgegeben haben, um im Frühling einen besonderen Tag in einem besonders schönen Mittelmeerhafen zu verbringen. Man sieht es uns glaube ich an, wie weit die ursprüngliche Erwartung von der erlebten Realität gerade abweicht.

Der nächste Morgen bringt Sonnenschein, blauen Himmel und etwas bessere Laune. Wir lassen es langsam angehen, denn wir werden am Nachmittag besseren Wind bekommen, um zu dem Hafen zu fahren, in dem wir den Clipper und das Dinghy Clipperchen sicher lassen können. Von da aus machen wir uns dann auf den Weg zu unsern Eltern, wo wir jeweils etwa zwei Wochen bleiben werden, bevor es wieder auf Umwegen zurückgeht.

Ich schaue mir vor Auslaufen die Hafeneinfahrt genau an und finde, dass es zwar holprig wird, aber ansonsten kein Problem geben dürfte, den Hafen jetzt zu verlassen.

So ist es dann auch. Dieser letzte Törn erfolgt hart am Wind und lässt mich allerlei Segeltrimm ausprobieren. Ich bin mit dem Ergebnis recht zufrieden. Bei 35 Grad zum Wind schaffe ich bei um die 16 Knoten Wind noch 3,1 Knoten Fahrt über Grund. Mal mehr, mal weniger. 40 Minuten vor Ankunft wird mir der Wind dann zu wenig. Durch zwei Kreuzschläge dauerte die Angelegenheit dann wieder so lange, dass wir werden deutlich später ankommen als gedacht.

Wir erreichen die Einfahrt der richtig gut gesicherten Marina und erleben schon wieder so ein Ritt. Filip meint, es sei genauso wie in Sitges gewesen, ich finde, es war deutlich nicht so schlimm. Aber dass die Häfen bei etwa 1,5 Meter Welle schon Probleme in ihrer Einfahrt bekommen, kann doch wirklich nicht angehen. Immer mehr wird mir das Mittelmeer suspekt und der Atlantik mit all seinen Eigenschaften bleibt sympathisch.

Es folgt noch eine umfangreiche Putzaktion, innen und außen. Ich bin fix und fertig, als ich gegen 23 Uhr ins Bett gehe. Der nächste Tag wird bis zur Abfahrt dann noch einmal ähnlich. Anmelden in der Marina, was wegen der späten Ankunft gestern nicht ging, endgültig parken, das Boot richtig gut fest machen, einmotten, alles abschalten und runterfahren. Wir verlassen nach 11 Uhr den Ort und machen uns auf den langen Heimweg.

So geht es nun an drei Tagen mit Christians Bus nach Freiburg, von wo aus wir auf getrennten Wegen per Zug weiter fahren werden.

An Tag 2 der Busreise pausieren wir auf einem völlig unbekannten Campingplatz südlich eines nahezu bedeutungslosen Ortes mit dem Namen Neuvéglise-sur-Truyère in Frankreich. Es gibt hier immerhin die heißesten Thermalquellen Europas. Eine hat 82° Celsius, kommt dampfend aus der Erde und verbrennt den durchaus vorhandenen Touristen ständig die Hände. Ich weiß gar nicht, was die größere Attraktion ist, das dampfend, heiße Wasser oder die erwachsenen Menschen, die nicht müde werden, sich hier einer nach dem anderen unter dem Wasser die Finger weh zu tun.

Das ist natürlich der Grund, warum Christian hier stoppen und auch wandern wollte. Der Ort ist dermaßen ereignislos und in der Nebensaison ruhig, dass es schon mal eine willkommende Abwechslung zu unserem normalen Leben ist. Endlich mal kein Windgeheul, Geschaukel mit Ruckdämpfern und durchgemachten Nächten, Wellen und Wetter. Nur Wiesen. Nur Ruhe. Es lebe die Abwechslung.

Die Leute hier heizten ihre Häuser seit dem 14. Jahrhundert und bis vor einigen Jahren mit dem heißen Wasser aus der Quelle, immerhin 300 Liter pro Minute, die in Kanälen durchs Ort geleitet wurden. Das kostete zwischen 30 bis 100 Euro im Jahr, die dadurch anfielen, das die Leitungen sich ständige zusetzen und einmal im Jahr gewechselt oder gereinigt werden mussten.

Dann aber wurde ein Thermalbad für die Touristen errichtet, was zwar Arbeitsplätze bringen soll, den Leuten jedoch die Heizung nimmt, die deswegen außerordentlich erbost sind, da sie seitdem konventionell heizen müssen. Seit 4 Jahren ist das Dach dieses neuen Bads defekt, so dass man weder Heizung noch ein Thermalbad hat. Auf der Straße in weißer Farbe geschmiert, das eine gewisse Marie für alles die richtige Lösung hat. Ein bisschen verstehen kann man es fast.

Es ist schon faszinierend. Man kommt in so ein Dorf im nirgendwo und es gibt doch immer irgend etwas zu entdecken. Weiter geht es in unserem Bus Richtung Norden.

Damit endet der nächste Abschnitt unserer Reise. Das Mittelmeer haben wir erreicht und sind ein gutes Stück vorangekommen, haben andere Ort kennengelernt als geplant, was mindestens in Ordnung, mit der Bekanntschaft von Valencia sogar super ist. Darüber hinaus haben wir mittlerweile den größten Teil der iberischen Halbinsel besegelt.

Was nicht in Ordnung ist, ist das Mittelmeer selbst. Das Segeln ist beschwerlich, das hatte ich so ähnlich erwartet. Was ich mir anders vorstellte, sind die Häfen, die bei Weitem nicht das halten, was ich als Anspruch in meinem Kopf hatte und ich schaue dem Sommer mit gemischten Gefühlen entgegen. Ich lese in anderen Blogs von Stürmen, die über Nacht vor Anker abgewettert werden mussten. Booten, deren Anker nicht hält, die Richtung Land getrieben werden, von in der Hochsaison überfüllten und völlig überteuerten Häfen und ähnlichen üblen Geschichten. Wir werden sehen. Jetzt geht es erst mal nach Hause zu den Eltern, drauf freue ich mich nun wirklich sehr!

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