Wir werden Filips Seekrankheit jetzt erst mal mit den Reisetabletten auf Basis des Wirkstoffs Dimenhydrinat also mithilfe eines Antihistaminikums bekämpfen, um Lebensqualität für ihn auch auf See zu finden. Gleichzeitig werden wir auch die anderen Methoden, wie hoch konzentriertes Vitamin C, ein Ohr mit einem Ohrenstöpsel blockieren, Ingwer, Pflaster auf Basis Skopolamin weiter ausprobieren, bis wir etwas haben, zur Not auch in Kombination, das sowohl zuverlässig als auch möglichst frei oder arm von Nebenwirkungen ist.

Filip ist mit seinem Problem in guter Gesellschaft. Lord Nelson wurde zeit seines Lebens heftig Seekrank. Genau so Rüdiger Nehberg, Ernest Shackleton oder auch einige deutsche Seglerlegenden. Ich wurde mal mit 16 Jahren auf dem englischen Kanal sehr seekrank und dachte damals, das all meine Überlegungen zur Seefahrt mit dieser Behinderung im Wortsinn hinfällig seien, da ich dem Gedankenfehler anheimfiel, dass richtige Seeleute nicht seekrank werden, was völliger Blödsinn ist. Heute habe ich große Glück, dass es bei dem einen Mal blieb. Ich weiß aber auch, dass ich nicht zu dem kleinen Kreis der Glücklichen gehöre, die grundsätzlich von dieser Geißel befreit sind.

Also muss auch ich aufpassen, was ich vor dem Segeln esse und trinke. So wäre ein Rotweingelage am Abend vor dem Auslaufen ein gutes Mittel, auch den härtesten Seemann bei vernünftigem Seegang, falscher Kleidung (zu kalt) und ähnlichen Fehlern von den Beinen zu holen. Rotwein, wie zum Beispiel auch gereifter Käse, enthält viel Histamin, welches zu dem Körpereignen hinzukommt und durch seine zu hohe Konzentration ursächlich für die Übelkeit bei Seekrankheit ist. Ein schöner Artikel zum Thema von Bobby Schenk, oder auch von Aida Kreuzfahrten.

Ich hätte das Boot und mich gerne weiter mit langsam steigendem Anspruch ausprobiert, und wäre am nächsten Morgen bei viel Wind und Welle gegebenenfalls bis nach Gran Canaria durchgefahren. Aber Filip kann ich das nicht antun. Also warten wir und schauen, wie wir uns die Zeit sinnvoll vertreiben können. Eine Mietwagenstation gibt es nicht, also nehmen wir den Bus. Der Busfahrplan ist interessant. Er sagt, wann der Bus jeweils an der ersten Haltestelle abfährt. Wann er aber an den zahlreichen Haltestellen zwischendurch hält, bis er die Endhaltestelle, erreicht, muss man wohl abschätzen oder wir sind zu doof, die geniale Einfachheit des Fahrplans zu erkennen.

Wie auch immer. Wie kommen damit auch so zurecht und fahren sehr günstig von Gran Tarajal über die Insel zur Hauptstadt Puerto del Rosario, ich mag Busfahren sowieso. Eine coole Abwechslung zum Mietwagen.

Die erste Station ist ein Markt der örtlichen Gemüsebauern. Wir decken uns ordentlich ein und erstehen unter anderem am Stand des Biobauern eine mittelgroße Tüte von Erdbeeren. Diese überleben keine Stunde. Sie sind so süß, reif und lecker, dass ich mich nicht erinnern kann, Erdbeeren mal so gegessen und genossen zu haben. Mit üblicher Supermarktqualität hat das jedenfalls rein gar nichts zu tun.

Die nächste Buslinie bringt uns zum Salzmuseum Salinas del Carmen. Hier wird auf die natürlichste Weise Salz hergestellt, wie sie das hier schon seit hunderten von Jahren machen. Die Brandung spritzt das Salzwasser in die Kanäle der Anlage, von wo es leicht abwärts in immer kleiner werdende Becken geleitet und erwärmt wird, bis es schließlich komplett verdunstet ist und das Grobkörnige milde Meersalz zurücklässt.

Wir fahren zurück nach Puerto del Rosario, steigen um und gelangen am späten Nachmittag der Reise zurück zum Ausgangspunkt. Dort erwerben wir in der Apotheke noch die Reisetabletten und sind klar zum Auslaufen am kommenden frühen Morgen.

Dann wollen wir mal – letzte Leinen los…

Angesagt sind doch immerhin noch 6 Windstärken, in Böen bis 7 bei 2 bis 2.5 Metern Welle. Wir entscheiden auf Filips Initiative hin dennoch ab hier durchzufahren und keinen weiteren Stopp in Morro Jable zu machen. Kurz vor Auslaufen nimmt er eine der neuen Tabletten, wir verlassen den Hafen bei, im Vergleich zu den letzten Tagen, relative moderatem Wind und fahren zunächst in der Landabdeckung. Die See hat sich hier beruhigt und das einzige Problem sind die Böen, die uns immer wieder in den Wind drehen, sodass ich über das Erste, schließlich in das zweite Reff gehe.

Filip geht es ausgezeichnet, bis er sich einfach hinlegt. Die Nebenwirkung Müdigkeit fordert ihren Tribut. So schläft er 40 Minuten und ist danach wieder mit dabei und bester Laune. Erleichterung auf meiner Seite.

Reisetablettenverdauungsschlaf

Ich fahre relativ knapp um die Landspitze herum, hinter der Morro Jable ist. Der Ort ist überaus touristisch, besteht von der See schauend ausschließlich aus Hotelburgen, während der Hafen industriell und hässlich ist. Hier haben wir wirklich nichts verpasst. Gut, dass wir uns diesen Aufenthalt sparen und ich kann meinen Frieden mit dem Durchfahren machen, nachdem ich zunächst sehr an dem Ort interessiert war.

Der Leuchtturm von Morro Jable sieht aus, wie ein großer DDR-Wachturm. Die Hässlichkeit wird am Ort als Attraktion gehandelt. Dann weiß man ja, was es sonst noch so Lohnenswertes zu sehen gibt?!

Vor Morro Jable kommen wir dann unerwartet in eine Schwachwindzone. Der Wind dreht einmal um 360 Grad, ist komplett weg, bis er leicht weiter aus Norden pustet. Natürlich muss in dem Moment auch noch die Hochgeschwindigkeitsfähre aus dem Hafen kommen. Die Dinger sind beeindruckend und man möchte unbedingt von denen gesehen werden. Selbst zu versuchen auszuweichen, kann man bei denen ganz getrost vergessen. Sie machen deutlich über 30 Knoten Fahrt in ihrer Marschfahrt und sind damit um den Faktor 7 schneller als wir.

Wir verlassen langsam die Landabdeckung und ich bereite mich auf deutlich mehr Action vor, als es dann tatsächlich wird. Wir bleiben bei sehr moderaten und jetzt kaum böigen 5 Windstärken auf Halbwindkurs und machen sehr gute Fahrt. Die Welle kommt schräg von vorne und selten nehmen wir mal eine auf das Vordeck, sodass deren Wasser ihren Weg bis in das leere Cockpit findet. Wir sitzen drinnen, haben aus alten Fehlern gelernt und nur die Tür ist offen, das Verdeck zu, sodass das Wasser nicht nach innen findet und wir mal wieder trocken und gemütlich die Vorzüge des Deckssalons in Fahrt genießen.

Zwischendurch ziehe ich mich mal in mein Aquarium zurück. Es sieht schon auch bei Tag toll aus, dem Wasser so im Vorbeiflitzen zuzuschauen. Nur Fische sieht man nicht. Nach kurzem Überlegen ziehe ich auch die Tatsache vor, dass ich alleine bleibe, beim durch die Scheibe gucken. Ich würde glaube ich nur ungern auf der anderen Seite auch ein Augenpaar entdecken, das zu mir reinschaut.

Der Weg zwischen den Inseln hat noch die Besonderheit, dass es ein Verkehrstrennungsgebiet gibt, von dem man sagt, dass es von der Verkehrszentrale gegen Segler sofort verteidigt wird, die hier meinen Unfug beim Queren treiben zu können. In der Mitte gibt es ein Stück, für den zwischen den Inseln querenden Verkehr, das wir auch nutzen. Hier muss man nicht in 90 Grad zur VTG Richtung fahren, ich mache das aber dennoch, um den Bereich möglichst schnell zu passieren, denn der eine oder andere ist hier im VTG schon unterwegs.

Im Prinzip verläuft die Überfahrt ruhig, alle an Bord sind wohl auf, wir verpflegen uns gut und kommen entsprechend und mit hervorragender Fahrt über den Tag. Gegen 19 Uhr erreichen wir den großen Industriehafen von Las Palmas de Gran Canaria, der uns in dramatisch malerischer Kulisse fast schon kitschig empfängt.

Wir sehen die Insel selbst erst spät, so tief hängen die Wolken. Vor dem Hafen bekommen wir es mit reichlich Großschifffahrt zu tun.

Der große Tanker verlässt unter Ballast den Hafen und muss um uns herum fahren
Im Hintergrund die Borturmschiffe, die vor der afrikanischen Küste Öl fördern. Im Vordergrund ein Tanker.

Wir finden unseren Weg in den großen Yachthafen, machen am Rezeptionssteg fest, erledigen die Formalitäten. Es ist schon spannend, wie unterschiedlich die Atmosphären jeder einzelnen Marina ist. Das Besondere hier ist, dass deren Mitarbeiter alle von Kopf bis Fuß in Helly Hansen Klamotten eingekleidet sind und sich irgendwie alle auch ein bisschen in ihrer Körpersprache wie Models bewegen und verhalten. Die Marina ist übrigens extrem günstig. Viele Eigner haben hier ihre Boote liegengelassen und sind zu Hause und warten COVID ab. Deswegen ist es hier sehr voll und man muss sehen, wo man noch unterkommt. Auch Miss Sophie liegt hier, die Hallberg Rassy von Markus und Diana, die auch beide aktuell zu Hause sein müssen aber Anfang Juni endlich wieder hier her zurückkommen können.

Wir bekommen einen Platz in der hintersten Ecke und quetschen uns zwischen ein Stahlmonster und der Pier. Das Stahlmonster neben uns ist ein komisches Teil, eine Art OneOff, bereits ziemlich heruntergekommen mit Heimathafen Wilhelmshaven, niederländische Flagge und mit amerikanischem Akzent sprechendem Eigener. Das Ungetüm wird sich im Wind noch öfter gegen uns und an die Pier drücken. Ich überlege, ob de Clipper empfindlich ist und sich von dem ungehobelten Ding belästigt fühlt. Es ist, wie wenn jemand Unsympathisches in der U-Bahn einfach den Abstand nicht einhalten kann und ohne erkennbare Not zu dicht aufrückt.

Glücklich angekommen

Wir machen am nächsten Tag einen Hafenrundgang und ich werde aus verschiedenen Gründen ein wenig sentimental. Zum einen ist das der Hafen, von dem aus die ARC, die Atlantic Rallye for Cruisers startet. Der größte Hafen der Kanaren wird zu dem Zweck fast geräumt und hunderte von Yachten treffen sich hier, um von hier aus gleichzeitig über den Atlantik in die Karibik zu segeln. Während der Atlantik groß genug ist, dass man dort auf der Überfahrt weitestgehend für sich ist, muss der Rummel, die Seminare und Kurse der Organisatoren und das Networking auf den Partys vor der Abfahrt enorm sein. Manche tun das als betreutes Segeln ab, ich glaube, mir würde das gut gefallen.

Leere Partylocation? Was ist hier normalerweise ggf los?

Wie vor allem auf der Azoreninsel Horta, gibt es offenbar auch hier den Brauch, das eigene Logo des Schiffes auf einen Stein zu malen. Na ja, das nach einer Atlantikrunde zu machen ist schon etwas besonderes ehrenvolles. Es davor zu tun, geht offenbar auch. Ich sehe so einige Segelboote und YouTuber, die ich kenne bzw. deren Videos ich gelegentlich sehe, die sich hier verewigt haben. Vor allem Mothership adrift mit ihrem Boot von Amel, einer tollen „Super Maramu“ für Weltumsegler, war gerade erst hier, das wusste ich, und freue mich doch sehr, mir das alles anzuschauen und es ist ein weiterer Grund für die kurze Sentimentalität.

Im den Yachtshops kann man gewöhnlich Gastlandflaggen für die umliegenden Länder kaufen. Hier ist allerdings die komplette Karibik vertreten.

Hier liegen dann auch wieder die Verlassenen, also die wehmütig dreinschauenden, teilweise bereits ausgeschlachteten alten Yachten, die vorläufig ihre beste Zeit hinter sich haben und nach vielleicht ereignisreichem Leben hier ihrem Ende entgegen Dämmern.

Welche spannenden Geschichten aus deinem Leben könntest du uns vielleicht erzählen?

Wesentlich besser ist es da an der Pier. Hier liegen die modernen und teilweise Großen. Eine Moody liegt neben einem Typ, den ich nicht kenne. Letztere hat aber das größte Steuerrad, das ich bisher gesehen habe. Angeber !

Etwas lebendiger geht es hier zu. Diese Yachten sind auf dem Zenit ihres Daseins.
Noch so ein riesen Rad von Hooksiel (Nordsee). Unter einem Meter Durchmesser machen dies es in dieser Ecke des Hafens offenbar nicht. Der Motorsegler sieht langsam aber gutmütig aus.
Das kann man für 70.000 EUR pro Woche mieten. Nebensaison. Versteht sich.

Wir machen erst mal das tolle La Palma de Gran Canaria per Skateboard unsicher. Es gibt hier sehr viele Radwege, so dass sogar ich bedingt bequem, aber schnell mit dem Skateboard vorankomme. Es stehen nun erst mal zwei Wochen Gran Canaria an.

3 Gedanke zu “Kanarensegeln II (Fuerteventura, Gran Canaria)”
  1. Hallo auf die Clipper,
    Danke für die immer wieder interessanten und gut gemachten Reiseberichte und auch die Beschreibung der „Erfahrungen“.

    Zum Kampf gegen die Seekrankheit habe ich eine gut wirksame Lösung gefunden (Medizinerempfehlung irgendwo im Internet): Seirin Pyonex Akupunkturnadeln. Das ist ein 5 Cent großes Pflästerchen mit einer ganz kleinen Nadel in der Mitte. Wird in die Innenseite des Handgelenks „auf den Punkt“ geklebt. Tut nicht weh und kann da zwei Tage lang gut wirken ohne irgendwelche Nebenwirkungen. Ich bin seit Einführung dieses Pflasters ein neuer Mensch – zumindest an Bord bei Seegang.

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