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07.08.2023 – 22.08.2023

Der Clipper schwimmt wieder im Wasser, ist aufgeräumt und geputzt und wartet auf Filip sowie die neuen Gäste. Porto Lagos liegt in einem Marschgebiet. Brackwasserseen, Flamingos, welche Salinenkrebse mampfen, Sumpf. Ich wurde noch am Nachmittag gewarnt, mich vor den Moskitos in Acht zu nehmen. Bei meiner Ankunft in der Nacht zuvor hatte ich von denen nichts bemerkt und bin daher unvorsichtig. Ich möchte noch einmal durchlüften und öffne die Schiebeluke zum Cockpit.

Eine so noch nie beobachtete schwarze Insektenwolke wartet bereits ungeduldig davor und freut sich nun riesig auf den Einlass, so wie früher beim Sommerschlussverkauf. Ich bin sowohl erschrocken als auch beeindruckt, habe alle Hände zu tun und etwa 20–30 tote Stechmücken später nehme ich den Staubsauger noch einmal zur Hand, um die Reste wegzusaugen. Das Boot bleibt jetzt doch zu und wir werden morgen früh auslaufen! Weg hier! Egal wohin!

Thasos

Das Ziel ist schnell gefunden. Wenn es uns schon so weit in den Norden verschlagen hat, dann können wir jetzt auch die Inseln hier erkunden, die so gar nicht mehr auf unserem Zettel standen. Auf nach Thasos! Das ist um die Ecke und der Wind für hin und vermutlich auch zurück ist gut. Nach einer etwas holprigen Hinfahrt, der Wind und Welle kamen genau von achtern und ließen uns ordentlich schaukeln, erfolgt der erste Gang zu Lidl.

Zur Erkundung der Insel benötigen wir einen Leihwagen. Das führt dazu, dass wir zur gleichen Zeit zwei Leihwagen haben. Einen, der in Porto Lagos steht und den wir in Sithonia gemietet hatten und der am Freitag am Flughafen von Thessaloniki abgeben werden muss, wenn Filip die beiden dort zum Flieger bringt. Ein Zweiten nun hier auf der Insel, da wir ersteren ja nicht mitnehmen konnten. Der Trend geht also klar zum Zweitwagen…

Wir besuchen Strände und Wasserfälle. In der Gegend ist jeder kleine See und erst recht kümmerliche Wasserfall schon eine Touristenattraktion. Zugegeben, schön ist es hier.

Der Hafen von Thasos ist aufs Neue so ein hingestelltes Ding, das zwar genutzt, aber nicht bewirtschaftet wird. Das bedeutet, es fallen keine Liegegebühren an, es gibt aber auch kein Wasser oder Strom. Baulich sieht das Ganze ziemlich geschützt und sicher aus, ist es aber nicht. Ganz im Gegenteil! Die Bewertungen auf Navily sind entsprechend und ich setzte noch eine deutliche Warnung dazu. Ich weiß nicht warum, aber wenn auch nur leichter Schwell außerhalb des Hafens steht, setzt sich das im Hafen fort und führt schon bei mäßigem Wetter zu Bewegungen der vertäuten Boote, dass Peter und Klara sogar im Hafen leicht seekrank werden und mich das nicht überrascht. Das sieht von außen dann so aus:

Wenn es draußen auf See vor dem Hafen mal richtig schlechtes Wetter geben sollte, sitzt man hier regelrecht in der Falle, das würde das Material nicht aushalten und mindestens mittlere Schäden an Rumpf und Klampen sind vorprogrammiert. Da helfen dann auch keine Ruckdämpfer und Fender mehr, wenn die Boote richtig anfangen zu bocken. Was für eine Fehlkonstruktion von Hafen! Ich helfe einem deutschen Motorboot beim Festmachen, die aber die Fender zu hoch gehängt haben. Wind und Welle im Hafen lassen das Boot dermaßen während des Manövers taumeln, dass der Anleger unter schmerzhaft hörbarem Krachen und Knacken eine teure Beule in GFK Rumpf produziert.

Wir verlassen den Hafen, fahren mit dem super Wind, der im Hafen für die Turbulenzen sorgte, wieder zurück und haben großes Glück. Über 20 Minuten werden wir von Delfinen begleitet, die mit uns und den Wellen spielen. Wie bestellt.

Porto Lagos ist ein Industriehafen, daher nicht hübsch und mit Stechmücken erwiesenermaßen überaus gesegnet. Ich schaue, was es noch so in der Gegend gibt und komme auf Fanari, das kurz davor gelegen ist. Da fahren wir jetzt hin.

Fanari

Fanari ist ein kleiner Fischerhafen, der Wasser und Strom hat und ansonsten komplett kostenfrei, aber nicht ohne Untiefe in der Einfahrt ist. Nach einer zünftigen Grundberührung in der Hafeneinfahrt machen wir dann ohne weitere Zwischenfälle römisch-katholisch mit Buganker fest. Ein Blue Flag Strand ist direkt auf der anderen Straßenseite, Restaurants gibt es reichlich, hier wollen wir einige Tage bleiben, um die Gegend zu erkunden.

Mit Klara machen wir eine Rundtour durch die weitere Umgebung, nehmen sogar ein heilendes Schlammbad, was zu einer äußerst matschigen Erfahrung wird, von der ich nicht so genau weiß, was ich davon halten soll.

Am Samstag, dem 12. August sind dann nach einer langen Zeit mit Gästen alle wieder von Bord und wir richten uns hier erst mal ein, ohne konkrete weitere Pläne zu haben. Was aber höchste Zeit wird und nun mit Wasser und Strom von Land einfach umzusetzen ist, ist mithilfe unserer bordeigenen Wäscherei mal so richtig rein Schiff zu machen. Die kleine Waschmaschine steht zwei Tage nicht still. Sieben Maschinen waschen wir, bis wir alles einmal durch haben. Der Clipper wird ansonsten einer ordentlichen Grundreinigung innen und außen unterzogen.

Der neue Burgfried

Stechmücken gibt es natürlich auch hier, wir haben allerdings jetzt schon seit Längerem eine hocheffektive, weitere Verteidigungslinie gegen die unseren Aufenthalt in der Ägäis so bestimmenden Vampire eingebaut: ein Moskitonetz in beiden Schlafkabinen. Hier zunächst die provisorische Variante in der Mittelkabine:

Das haben wir dann mit einer etwas dezenteren und viel effektiveren Befestigung noch mal verbessert, zumal das Panzertape sich ständig vom Netz lösen wollte.

Nachdem wir in Baumärkten und ähnlichem danach gesucht hatten, bekamen wir einen heißen Tipp, wo wir die Moskitonetze sicher finden würden:

Ich hatte doch keine Ahnung, dass so etwas existiert. Es handelt sich hierbei um eine Art IKEA für Kinderspielzeug, welches man in der oberen Etage findet, so wie die Möbel bei IKEA eben. Im Untergeschoss gibt es dann zusätzlich noch unendliche Gänge mit Kram, durch die man locker 10 Minuten im schnellen Schritt durch muss, um zur Kasse zu kommen. Der Laden ist gigantisch groß, es gibt viele davon, und alle sind von Keller bis zum Dach vollgestopft mit buntem Plastik aus China. Wenn man sich fragt, weswegen der Planet bald für Menschen kaum noch bewohnbar sein wird, findet man hier definitiv einen bedeutenden Teil der Antwort. Wir machen uns mitschuldig, indem wir die Moskitonetze und Befestigungsband kaufen. Da das Konzept funktioniert, tragen wir beim Herauskommen zusätzlich Sitzkissen für das Cockpit, eine Kerze gegen Moskitos und einen Tischhalter für Filips Handy, der in der Tat besser ist, dass alle Provisorien, die er vorher genutzt hatte.

So professionell gegen Stechmücken ausgestattet, verlieren nun die schlimmsten Ecken Griechenlands ihren Schrecken. Nur sporadisch verirrt sich noch so ein Biest in unseren Burgfried und muss dort erlegt werden. Manchmal wache ich noch auf, wenn das Geräusch der vor dem Netz frustriert tanzenden Blutsauger nervt. Ich stehe dann gelegentlich auf und töte, um wieder Ruhe zu haben oder schlafe ersatzweise auch einfach nur durch. Damit muss ich hoffentlich ab jetzt nicht mehr über diesen, die Lebensqualität völlig überproportional bestimmenden Kampf berichten.

Bei den Pomaken in den Rhodopen

Wir liegen jetzt also in Fanari, das Boot ist wieder hergerichtet und wir könnten in unseren normalen Alltag zurückkehren. Aber es geht nicht. Aus heiterem Himmel fallen wir beide in ein riesiges mentales Loch. Wir hängen den ganzen Tag nur herum und raffen uns zu nichts mehr auf. Ich weiß nicht, warum wir beide so lustlos sind. Vielleicht war alles einfach von allem zu viel. Zu viel Menschen zu lange Zeit auf zu kleinem Raum, zu viel Action, zu viel Traumstrände. Vielleicht zu viel Kuchen und zu wenig Butterbrot, gegebenenfalls Luxusprobleme, aber auch wenn es so ist, ändert es am Problem nichts.

Zu viel Hitze, Tag und Nacht war es in jedem Fall und eine weitere Hitzewelle ist angesagt, bis zu 40 °C soll es wieder werden ohne viel Wind. Wir sind erschöpft. Wir können das Boot generell gerade nicht mehr sehen, nicht bei dem Wetter. Grund genug, die Flucht zu ergreifen. Filip hat hierzu die richtige Eingebung. Es gibt in der Umgebung faszinierende Nationalparks. Also nehmen wir uns einen Leihwagen und fahren für den notwendigen Tapetenwechsel in die Berge!

Der erste Stopp erfolgt am Fluss Nestos, an dessen Ufer sich ein Naherholungsgebiet befindet. Die Leute verbringen hier den Tag am Strand, manche campen, das Wasser ist herrlich kalt, erfrischend und die aufragende Felswand gegenüber gewaltig. Filip schwimmt, mir ist es dann doch zu frisch, bis zu den Waden rein hilft auch. Wir wandern ein Stück den Fluss herauf und herunter und fahren weiter.

Bei den Bergen, in die wir fahren, handelt sich um die Rhodopen, einen Höhenzug, den sich Griechenland und Bulgarien teilen und von dem ich natürlich noch nie etwas gehört hatte. Das Besondere daran ist, dass es hier einen der letzten völlig unberührten Urwälder Europas gibt, dessen Betreten auch tatsächlich weitestgehend verboten ist, um diese Einzigartigkeit zu schützen. Etwas weiterer östlich gibt es einen weiteren Nationalpark nördlich von Alexandroupolis, in dessen Wald von Dacia die letzten europäischen Geier leben.

Das letzte Hotel vor der Wildnis ist unsere Herberge, auch gerne von Forschern benutzt, die in der Wildnis arbeiten. Am Morgen geht es von hier los. Direkt hinter dem Ort hört die asphaltierte Straße schon auf und wir quälen unser eigentlich völlig ungeeignetes Gefährt Stunden über Schotterpisten zu dem Ausgangspunkt für unsere eigentliche Wandertour.

Auf dem Weg kommen wir an einer Gruppe Arbeiter vorbei, die am Rand der Schotterstraße im Schatten eine Pause machen. Erst ein paar Meter weiter merke ich, dass mit den Arbeitern etwas nicht stimmt. Da gab es gar keine Baustelle. Wir kommen noch mal an so einer Gruppe vorbei. Das sind keine Arbeiter. Das sind Flüchtlinge, die sich hier in den Bergen auf dem Weg über die grüne Grenze nach Bulgarien befinden. Die Erkenntnis müssen wir erst mal verarbeiten, sie bestimmt einen großen Teil unserer Unterhaltung des Tages.

Die Wanderung bringt uns erneut zu sehenswerten Wasserfällen, die hier auch mehr Wasser führen. Geschwommen wird natürlich auch, den Filip ist nicht zu bremsen. Ich halte mal den Kopf darunter.

Wir sind hier schon wirklich weit draußen im Wald, auch wenn das noch nicht der richtige Urwald ist, ist man hier doch sehr für sich. Auf dem Rückweg erschrecken wir zwei Rehe und diese uns, die zum Trinken an den Wasserlauf kommen wollen und nicht mit uns gerechnet haben. Ein komisches Gefühl, so weit entfernt von der Zivilisation zu sein.

Hier oben auf dem Berg und im Wald sind die Temperaturen einigermaßen, das Wandern ist dennoch mühselig und die Klimaanlage im Auto auf dem Weg zurück und im Hotel hochwillkommen.

Der nächste Tag führt uns in das Gebiet der Pomaken, einer muslimischen Minderheit im Nordosten des sonst so Christlich-Orthodoxen Griechenlands. Im Kalten Krieg war der Teil des Landes regelrecht abgeriegelt und die Pomaken konnten nur mit behördlicher Genehmigung zum Beispiel nach Xanthi fahren. Selbst ein medizinischer Notfall war da nicht Grund genug, die Schranken zu öffnen und den Weg frei ins nächste Krankenhaus zu machen, falls diese Genehmigung nicht vorlag. Das ist heute vergangen, aber nicht vergessen. Die Lage der Pomaken hat sich deutlich verbessert, aber die griechische Regierung tut sich schwer mit diesem Teil der Bevölkerung, während das Nachbarland Türkei hier fleißig über die religiöse Gemeinsamkeit intrigiert.

In Echinos gerade angekommen, passiert dann dieses unter der griechischen Flagge, wie es sich täglich abspielt:

Beeindruckend! Wir genießen die Exotik und fahren zu einer Taverne, die hier im Nirgendwo von einem unverbesserlichen Idealisten aufgebaut wurde. Er wuchs in einem Bergdorf in der Nähe auf, also ist hier auch seine Taverne. Dass es gerade einmal nur eine Art Feldweg durch die Berge zu seinem Anwesen führt und es keinerlei Hinweise gibt, dass diese Oase überhaupt existiert, stört den Wirt nicht. Alle hielten ihn für bekloppt, als er mit dem Bau begann, aber das Kleinod ist heute regelrecht berühmt, für das, was es ist und zählt zu den besten Restaurants der Gegend, verbürgt durch entsprechende Preise und Mundpropaganda.

Eine Karte gibt es nicht. Es gibt genau ein Menü mit Vor- und Hauptgang sowie einem Nachtisch und das kommt auf den Tisch und wird gegessen. Nur beim Wein darf man wählen.

Zurück geht es an einer der heißen Quellen vorbei, die hier mit über 80 °C aus dem Boden sprudeln. Mit europäischem Fördergeld wurde ein kleines Freithermalbad um die Quelle gebaut, in welches wir natürlich hineinhüpfen müssen, auch wenn ich mir nicht gerade klar wird, warm ich bei heißem Wetter nun in heißem Wasser sitze.

Auf dem Parkplatz vor dem Schwimmbad sind wir mit unserem Leihwagen das einzige griechische Kennzeichen. Die drei anderen Fahrzeuge haben Deutsche! Das bedeutet aber nicht, dass hier viele Deutsche Urlaub machen. Vielmehr sind aus dieser armen Gegend nach dem Krieg viele Gastarbeiter nach Deutschland gegangen und haben vor allem im Schiffsbau gearbeitet. Das macht die zweite und jetzt auch dritte Generation ebenso und kommt mit dem eigenen Auto zurück nach Griechenland, um Urlaub zu machen und die Verwandtschaft zu besuchen. An anderer Stelle sehen wir zum Beispiel zwei Autos aus Esslingen. Man wundert sich gründlich, wenn man die Hintergründe nicht kennt.

Wir besuchen den letzten malerischen und höchsten Wasserfall auf dieser Tour, in dessen See natürlich erneut geschwommen werden muss…

… bevor wir nach dem Ausflug in den Bergen in die für den Blog namensgebenden Stadt fahren: Drama, eine griechische Stadt in der Region Ostmakedonien und Thrakien mit knapp 45.000 Einwohnern.

Dort beziehen wir ein tolles Hotel in einem ehemaligen Tabaklager, das direkt neben dem Wasserpark der Innenstadt liegt. Eine malerische Umgebung, die wir vorzugsweise morgens und abends bestaunen, um uns ansonsten im Schutze der leistungsstarken Klimaanlage des Hotels aufzuhalten. Der Park und das viele Wasser kühlen die Innenstadt zwar etwas ab, es ist aber dennoch tagsüber kaum erträglich.

So klingt unsere recht erfolgreiche Flucht vor der Hitze langsam aus. Die Tour in die Berge hat gut getan und wir sind bereit, uns unter Segeln langsam Richtung Süden aufzumachen. Auf Skiathos will ich mit drei engen Freunden meinen 50. Geburtstag im kleinsten Kreis feiern. Dafür muss ich rechtzeitig da sein, aber noch sind drei Wochen Zeit. Als wir das Auto zurückgeben, werden wir auf die gewaltigen Rauchwolken hingewiesen, die am Horizont stehen. Es sollte die erste von zwei schrecklichen Naturkatastrophen werden, die wir in kurzer Abfolge hier erleben müssen und dessen direkte Auswirkungen wir zu spüren bekommen.

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